Keine Kommunikation im Krankenhaus
Die westliche Gesellschaft leistet sich ein technisch üppig ausgestattetes Medizinsystem, in dem sich die Patienten jedoch zunehmend verlassen, ungehört und einsam fühlen. In seinem Buch "Medizin und Mitgefühl" klagt Maximilian Gottschlich die Unmenschlichkeit in Krankenhäusern und Praxen an, ohne jedoch einen Ausweg aus der Situation aufzuzeigen.
Ärzte überhören, ignorieren, belächeln ihre Patienten. Sie drehen ihnen den Rücken zu und erledigen Verwaltungsaufgaben, die sie auch ohne Patienten erledigen könnten. Ärzte enthalten ihren Patienten Informationen vor und reden sie in einer Sprache an, von der sie genau wissen, dass der Patient sie nicht versteht. Ihr ohnehin spärliches Kommunikationsangebot lassen sie umso mehr versiegen, je schwerer ein Patient erkrankt ist. All das sind keine Vorurteile: In seinem Buch "Medizin und Mitgefühl" zitiert der Wiener Kommunikationswissenschaftler Maximilian Gottschlich eine Fülle aktueller Studien, die seine Grundeinschätzung mit harten Daten untermauern - es ist ein Elend zwischen Arzt und Patient.
Und die Patientinnen und Patienten? In ihrer großen Mehrheit, so zeigt Gottschlich, ducken sie sich in das System. Sie signalisieren Unterwerfungsbereitschaft, zeigen übertriebenes Verständnis für die Zeitknappheit des Arztes und nehmen unaufgefordert die Mitschuld an ihren Schwierigkeiten auf sich. Sie tun das, um den Arzt emotional zu entlasten - in der vergeblichen Hoffnung, dieser werde ihnen im Gegenzug etwas schenken, das im modernen Medizinbetrieb absolute Mangelware ist: menschliche Zuwendung, aufrichtige Empathie.
"Wer leidet, sucht sein Leid anderen mitzuteilen. Wer es nicht kann, bei dem bleibt das Leid und vergiftet es." Dieses Zitat der Philosophin Simone Weil zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch, immer wieder kommt der Autor darauf zurück. Nicht nur Patienten fühlen sich von ihrem unausgesprochenen Leiden vergiftet. Ärzten geht es nicht anders - die hohen Burnout-Raten sprechen eine deutliche Sprache. Nicht die vorgeschobene Zeitknappheit sei der Grund für die Misere, argumentiert der Autor, sondern Ärzte verfehlen den Sinn ihres Berufes, weil sie sich der eigentlichen Herausforderung - der Öffnung ihres Herzens für das Leiden und Empfinden ihrer Patienten - nicht stellen. Als ganzer Mensch wäre der Arzt gefragt, doch weil er sich nicht einmal Sachfragen stellen lässt, stürzt er in dieselbe emotionale Leere wie seine Patienten.
Fühlen heilt, das ist eine psychotherapeutische Binsenweisheit. Ärzte aber verstehen sich nicht als Psychotherapeuten. Die Antwort der Medizin? Sie hat keine. So wie Fühlen heilt, heilt auch Mitgefühl, erklärt der Autor - und kann auch das anhand zahlreicher Studien untermauern: Patienten, die sich verstanden und emotional aufgehoben fühlen, heilen schneller, erleiden weniger Rückfälle, durchstehen Operationen komplikationsloser: Die Liste ist längst bekannt und ließe sich endlos fortsetzen, doch sie interessiert den modernen Medizinbetrieb nicht.
Der Autor zeige Wege aus der Misere, heißt es im Klappentext des Buches. Das tut er nicht. Er rüttelt auf, klagt an, schlägt seine Thesen unversöhnlich an die Tore der Krankenhäuser. Stark ist er in der Analyse des Elends. Schon die Kommunikationsethik, die er entwirft - symbolhaft an der Buchstabenfolge des Wortes Arzt orientiert, fordert er Achtung, Reaktivität, Zuwendung und Kommunikation - wirkt künstlich. Mit keinem Wort erklärt er, wie sich seine hohen Ansprüche im Klinikalltag umsetzen ließen. Ratlos werden seine Ausführungen, wo es um Medizin und Spiritualität geht: Irgendwie tut es gut, aber man weiß nicht genau, wann und wie.
Alles das tut dem Buch keinen Abbruch, im Gegenteil. Es ist genau dieser unverblümt nach außen getragene Schmerz, der die Schönheit des Buches ausmacht. Gottschlich hat den Mut zu fühlen, zu leiden, Fragen zu stellen und auszuhalten, dass es einfache Antworten nicht gibt. Die Patienten stimmen derzeit mit den Füßen ab und laufen scharenweise ins alternativmedizinische Lager über. Erst wenn Ärzte sich eingestehen, dass es auch für sie selbst so nicht weitergeht, wird sich in Krankenhäusern und Arztpraxen etwas verändern.
Rezensiert von Susanne Billig
Maximilian Gottschlich: Medizin und Mitgefühl.
Die heilsame Kraft empathischer Kommunikation
Böhlau Verlag, Wien 2007, 343 Seiten, 29,90 Euro
Und die Patientinnen und Patienten? In ihrer großen Mehrheit, so zeigt Gottschlich, ducken sie sich in das System. Sie signalisieren Unterwerfungsbereitschaft, zeigen übertriebenes Verständnis für die Zeitknappheit des Arztes und nehmen unaufgefordert die Mitschuld an ihren Schwierigkeiten auf sich. Sie tun das, um den Arzt emotional zu entlasten - in der vergeblichen Hoffnung, dieser werde ihnen im Gegenzug etwas schenken, das im modernen Medizinbetrieb absolute Mangelware ist: menschliche Zuwendung, aufrichtige Empathie.
"Wer leidet, sucht sein Leid anderen mitzuteilen. Wer es nicht kann, bei dem bleibt das Leid und vergiftet es." Dieses Zitat der Philosophin Simone Weil zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Buch, immer wieder kommt der Autor darauf zurück. Nicht nur Patienten fühlen sich von ihrem unausgesprochenen Leiden vergiftet. Ärzten geht es nicht anders - die hohen Burnout-Raten sprechen eine deutliche Sprache. Nicht die vorgeschobene Zeitknappheit sei der Grund für die Misere, argumentiert der Autor, sondern Ärzte verfehlen den Sinn ihres Berufes, weil sie sich der eigentlichen Herausforderung - der Öffnung ihres Herzens für das Leiden und Empfinden ihrer Patienten - nicht stellen. Als ganzer Mensch wäre der Arzt gefragt, doch weil er sich nicht einmal Sachfragen stellen lässt, stürzt er in dieselbe emotionale Leere wie seine Patienten.
Fühlen heilt, das ist eine psychotherapeutische Binsenweisheit. Ärzte aber verstehen sich nicht als Psychotherapeuten. Die Antwort der Medizin? Sie hat keine. So wie Fühlen heilt, heilt auch Mitgefühl, erklärt der Autor - und kann auch das anhand zahlreicher Studien untermauern: Patienten, die sich verstanden und emotional aufgehoben fühlen, heilen schneller, erleiden weniger Rückfälle, durchstehen Operationen komplikationsloser: Die Liste ist längst bekannt und ließe sich endlos fortsetzen, doch sie interessiert den modernen Medizinbetrieb nicht.
Der Autor zeige Wege aus der Misere, heißt es im Klappentext des Buches. Das tut er nicht. Er rüttelt auf, klagt an, schlägt seine Thesen unversöhnlich an die Tore der Krankenhäuser. Stark ist er in der Analyse des Elends. Schon die Kommunikationsethik, die er entwirft - symbolhaft an der Buchstabenfolge des Wortes Arzt orientiert, fordert er Achtung, Reaktivität, Zuwendung und Kommunikation - wirkt künstlich. Mit keinem Wort erklärt er, wie sich seine hohen Ansprüche im Klinikalltag umsetzen ließen. Ratlos werden seine Ausführungen, wo es um Medizin und Spiritualität geht: Irgendwie tut es gut, aber man weiß nicht genau, wann und wie.
Alles das tut dem Buch keinen Abbruch, im Gegenteil. Es ist genau dieser unverblümt nach außen getragene Schmerz, der die Schönheit des Buches ausmacht. Gottschlich hat den Mut zu fühlen, zu leiden, Fragen zu stellen und auszuhalten, dass es einfache Antworten nicht gibt. Die Patienten stimmen derzeit mit den Füßen ab und laufen scharenweise ins alternativmedizinische Lager über. Erst wenn Ärzte sich eingestehen, dass es auch für sie selbst so nicht weitergeht, wird sich in Krankenhäusern und Arztpraxen etwas verändern.
Rezensiert von Susanne Billig
Maximilian Gottschlich: Medizin und Mitgefühl.
Die heilsame Kraft empathischer Kommunikation
Böhlau Verlag, Wien 2007, 343 Seiten, 29,90 Euro