"Keine Herrscher mehr von Gottes Gnaden"

Moderation: Christopher Ricke · 12.07.2013
Der Berliner Politologe Bernd Ladwig setzt darauf, dass sich die Demokratie auch in anderen Teilen der Welt durchsetzen wird. Schon heute gäbe es kein Land mehr, in dem nicht eine wachsende Zahl an Menschen eine Legitimation ihrer Herrscher einfordern. Oftmals gingen diese Prozesse aber mit Konflikten einher.
Christopher Ricke: Es sieht nicht immer gut aus für die Demokratie, es gibt Defizite in Ungarn, die völlige Abwesenheit in Weißrussland, sie ist gelenkt in Russland, und wenn es dann mal eine Revolution gibt, ist es auch wieder nicht recht, denn manche mögen tatsächlich insgeheim froh gewesen sein, als das ägyptische Militär die demokratisch legitimierte Staatsspitze abgeräumt hat. Doch wie ist das mit unserem Demokratieverständnis eigentlich in Einklang zu bringen? Ich spreche mit Bernd Ladwig, er ist Professor für politische Theorie an der Freien Universität Berlin. Herr Ladwig, darf denn ein Demokrat wenigstens insgeheim froh sein, wenn das Militär einen demokratisch gewählten Präsidenten in Ägypten aus dem Amt putscht?

Bernd Ladwig: Froh sein wohl nicht, weil es natürlich immer ein Verstoß gegen demokratische Regeln ist. Man kann darüber diskutieren, ob es manchmal das kleinere Übel sein kann, aber da es ein Übel ist in jedem Fall, sollte man sich darüber nicht freuen.

Ricke: Demokratie ist ja ein bisschen mehr als nur die Mehrheit, da geht es auch um Minderheitenschutz und Menschenrechte. Aber das funktioniert nicht überall auf der Welt. Muss man sich damit abfinden?

Ladwig: Ich denke, es bedarf bestimmter Lernprozesse, die den jeweiligen Gesellschaften auch niemand von außen abnehmen kann. Diese Lernprozesse werden über Konflikte vermittelt und vielleicht – das wäre jetzt die optimistische Deutung – erleben wir gegenwärtig an verschiedenen Orten der Welt, die Sie eben erwähnt haben, genau solche Prozesse. Aber deren Ergebnis ist offen.

Ricke: Wie lange kann so ein Prozess dauern?

Ladwig: Der kann über hundert Jahre dauern! Also, wenn Sie etwa daran denken, was passiert ist seit 1789, seit dem berühmten Sturm auf die Bastille in Frankreich, das feiern wir sozusagen als Beginn der Französischen Revolution. Aber was folgte, waren ja sehr wechselvolle Jahre mit Militärputschen, mit Diktaturen, mit Kriegen, mit Reaktion, mit Aufständen, mit deren blutiger Niederschlagung. Und am Ende des Tages stand in Teilen der Welt ein gefestigter demokratischer Verfassungsstaat. Aber das eben war das Ergebnis sehr langer, konfliktvermittelter Zeiträume.

Ricke: Aber eben nur in Teilen der Welt. Es gibt andere Teile in der Welt, da wird man Ihnen widersprechen und sagen, die Demokratie ist überhaupt für unsere Kultur nicht die richtige Regierungsform. Das sind Länder, die wirtschaftlich durchaus erfolgreich sind, China zum Beispiel.

Ladwig: Es gibt heute keinen Teil der Welt mehr und kein Land der Welt mehr, in dem nicht, ich würde sagen, eine wachsende Zahl von Menschen sagt: Wenn uns jemand beherrschen will, braucht er dazu unsere Legitimation. Die Herrschaft kann nur von unten, aus dem Volk heraus legitimiert werden. Das ist zunächst der allgemeine Gedanke, von dem ich sagen würde, er hat in dem Maße Chancen, sich durchzusetzen, wie die Menschen zum Beispiel Bildung erwerben, wie sie über die Bildung Selbstbewusstsein erwerben, wie sie Informationen erlangen darüber, was anderen Menschen anderswo auf der Welt schon selbstverständlich geworden ist, sodass ich nicht glaube, dass man auf Dauer den Leuten erfolgreich einreden kann, dass in ihrer Kultur Demokratie nicht die geeignete Herrschaftsform wäre. Man kann dann darüber reden, was Demokratie unter den jeweiligen kulturellen und gesellschaftlichen Bedingungen heißen sollte, aber der Grundgedanke, dass, wer herrscht, sich dazu die Legitimation von unten aus dem Volk besorgen muss, und das immer wieder, dieser Grundgedanke, glaube ich, ist nicht gebunden an ganz bestimmte Weltgegenden.

Ricke: Das hat man bei den Menschenrechten auch gesagt und dennoch werden Menschenrechte in unterschiedlichen Staatensystemen ausdrücklich unterschiedlich gelesen.

Ladwig: Aber immerhin werden sie wenigstens als Lippenbekenntnis akzeptiert. Das zeigt ja zunächst einmal, dass ein Rechtfertigungsdruck aufgebaut wurde, zu dem sich jedes Regime verhalten muss. Also, wenn Sie so wollen, ist hier mal wieder die Heuchelei der Tribut des Lasters an die Tugend. Also, immerhin kommt heute kaum ein Regime auch mehr umher, wenigstens sich eine Fassade von demokratischer Rechtfertigung zu geben. Mindestens das Wort und die entsprechende Rhetorik scheinen also angekommen zu sein und dafür zu sprechen, dass niemand mehr einfach sagen kann, ich bin beispielsweise Herrscher von Gottes Gnaden!

Ricke: Es funktioniert aber auch genau andersherum, dass sich demokratische Staaten, die eigentlich ordentlich und seit Langem demokratisch verfasst sind, sich undemokratischer Mittel bedienen, da können wir gerne auch auf uns selber schauen, da müssen wir gar nicht auf andere zeigen, auch unsere Geheimdienste spitzeln, wir sind ein großer Waffenexporteur, wir arbeiten mit Staaten zusammen, in denen gefoltert wird, und nennen es dann besondere Vernehmungsmethoden. Müssen wir mit Kritik und Oberlehrerfinger nicht sehr, sehr vorsichtig sein?

Ladwig: Ja. Ich glaube, zunächst einmal ist der fundamentale Unterschied gar nicht der zwischen Gegenden, in denen es solche Missstände gibt und denen es sie nicht gäbe, da haben Sie natürlich recht, die kann man überall finden. Sondern der entscheidende Gegensatz ist der zwischen Gegenden, wo so etwas aufgedeckt werden kann, wo es halbwegs ohne Gefahr für Leib und Leben geäußert werden kann, angeprangert werden kann, und Gegenden, wo das alles nicht möglich ist. Also, Demokratie ist ja kein sicherer Besitz, der uns jetzt zur Selbstgefälligkeit verleiten darf, sondern Demokratie ist etwas Erkämpftes, was auch immer wieder neu behauptet werden muss. Und das natürlich ohne jede Erfolgsgarantie. Also, das Entscheidende ist die Zulassung einer kritischen, reflexiven Öffentlichkeit.

Ricke: Aber dass Demokratie auch bei uns immer wieder erworben, erkämpft werden muss, das wissen viele nicht. Wir gehen auf Bundestagswahlen zu, bei denen eine sehr niedrige Wahlbeteiligung befürchtet wird. Die Menschen sind also offenbar der Demokratie müde geworden. Warum?

Ladwig: Das wäre jetzt eine komplizierte Frage, ob, wenn Ihre Voraussage stimmte, das auf Demokratiemüdigkeit hindeutet oder auf etwas anderes. Es kann ja zum Beispiel darauf hindeuten, dass die Leute mehrheitlich erstens keine Wechselstimmung verspüren, also zumindest die Kanzlerin gern behalten würden, und dann das Gefühl haben, in dieser Hinsicht kommt es auf ihre Stimme nicht an. Also, ob das Demokratiemüdigkeit ist, sei dahingestellt. Aber es gibt natürlich die auch nicht unbegründete Wahrnehmung, auch etwa im alten Europa, dass der einzelne Staat und damit auch die demokratisch gewählte Regierung zum Beispiel gegen die entfesselten Wirtschaftsmächte immer weniger ausrichten kann. Und das kann neben anderen Faktoren dazu beitragen, dass die Leute das Gefühl haben, ihre Stimme sei nicht so wichtig.

Ricke: Ist das Gefühl berechtigt?

Ladwig: Es ist in Teilen berechtigt, weil natürlich man viele dieser, sagen wir, etwa finanzkapitalistischen Einflussfaktoren nur wieder einfangen kann, indem man oberhalb der Einzelstaaten Institutionen bildet und Regelungen findet. Aber solche oberhalb der Einzelstaaten angesiedelten Institutionen und Regelungen sind dann nur noch sehr indirekt demokratisch kontrollierbar. Sodass wir im Moment ein bisschen sehen, dass, wenn wir überhaupt politische Handlungsspielräume zurückerobern, das auf Kosten der demokratischen Einflussmöglichkeiten von unten geht.

Ricke: Bernd Ladwig, er ist Professor für politische Theorie an der Freien Universität Berlin. Vielen Dank, Herr Ladwig, und einen guten Tag!

Ladwig: Ich danke auch!

Ricke: Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.