Keine halben Sachen

Karl Markovics im Gespräch mit Waltraud Tschirner |
Seinen ersten eigenen Film zu drehen habe ihn viel Mut gekostet, sagt der österreichische Schauspieler Karl Markovics. Denn er wolle nicht Mittelmaß sein: "Entweder ich mache einen Film, als hätte ich in meinem Leben nichts anderes gemacht, oder ich lasse es lieber ganz."
Waltraud Tschirner: Wenn ein Wiener mit seinem ersten Spielfilm voll im Klischee landet - die Wiener und ihre ewige Todessehnsucht, ihr verbreitetes Kokettieren mit dem Tod, Georg Kreisler lieferte in einem Lied quasi die Überschrift dazu: "Der Tod, des muss a Wiener sei!" -, ja, wenn jemand also genau in dieses Zentrum geht, dann muss man natürlich fragen, warum sollte das Ganze ausgerechnet in einem Bestattungsunternehmen spielen?

Karl Markovics: Genau, um das Klischee auch wegzuräumen. Weil der Tod ist ja kein Klischee, das ist ja eine Tatsache. Und das ich diesen Film in diesem Milieu spielen lasse, hat ja genau damit zu tun, dass mir das schon so gegen den Geist ging. Also auch dieser Tatort-Tod, oder dieser CSI-Tod, der nur als eine Art von Requisite dient, um eben der Krimihandlung irgendwie so ein menschliches Gewicht zu geben: Kurz sieht man den Tod, dann kommt der Blechdeckel drauf, und dann wird er weggetragen, oder er liegt in der Pathologie herum, und irgendein - meistens sehr komischer - Pathologe mit Rockmusik aus dem Walkman seziert dann die Leiche. Ich wollte eben im Gegensatz dazu einen Film machen, der so mit dem alltäglichen, handgreiflichen Tod zu tun hat und in diesem Bestatter-Milieu spielt und eben aufräumt von Klischeevorstellungen.

Worum es in diesem Film mir ja im Grunde genommen ging, ist das Leben. Eine Geschichte lebt im Grunde genommen immer von einem möglichst kräftigen Spannungsbogen oder von einer großen Fallhöhe. Und die Fallhöhe könnte ja nicht größer sein, als einen Film über das Leben zu machen, und genau den Tod aber zu thematisieren.

Tschirner: Sie sind aus, denke ich, ziemlich nachvollziehbaren Gründen nicht der erste Schauspieler, der irgendwann auf die andere Seite wechselt - klar, weil man sich wahrscheinlich oft genug über Regisseure ärgert, wundert, und weil man auch meint, ich habe mittlerweile das Handwerkszeug von der Gegenseite mit gelernt.

Nun gibt es aber hier die ziemlich interessante Grundkonstellation, dass ihr jugendlicher Hauptdarsteller 18 Jahre alt ist und eben kein ausgebildeter Schauspieler, sondern Laie. Kommt man da nicht manchmal an so einen Punkt und denkt: Herrgott, jetzt sprich das doch mal richtig, oder jetzt guck halt so, wie ich sagte! Oder ist es eher viel einfacher mit so jemandem?

Markovics: Hier kann man nicht verallgemeinern. Es war einfach mit Thomas, weil Thomas mit Sicherheit eine der größten Begabungen ist, die mir jemals untergekommen sind, der einfach einen unglaublichen Instinkt und eine darstellerische Intelligenz hat. Ich glaube, was das Allerwichtigste in der Zusammenarbeit war - und das galt für uns beide -, dass wir einander beide von Anfang an absolut vertraut haben. Wir haben so 200 Jungs gecastet an zwei verschiedenen Terminen, dann waren noch zwei weitere Runden dann, wo wir so sukzessive verringert haben, bis dann nur noch zwölf übrigblieben wie bei den Geschworenen, obwohl schon relativ früh auch meine Frau gesagt hat: Den finde ich interessant.

Tschirner: Da fällt mir natürlich so ein Satz ein wie: Hinter jedem großen Mann steht eine kluge Frau. Arbeiten Sie mit Ihrer Frau zusammen, oder ist sie einfach eine immer für Sie gute Beraterin?

Markovics: Ja, also der Satz stimmt in meinem Fall mit Sicherheit. Ohne meine Frau hätte es diesen ganzen Film nicht gegeben. Nicht nur so nicht, sondern überhaupt nicht, weil sie auch die war, die gesagt hat: Du schreibst ständig Bücher und hörst auf, bevor du sie fertig hast, zeigst sie niemandem her und fluchst immer drüber, dass du es eigentlich machen willst, aber dass das alles nicht gut genug ist. Warum maßt du dir an, das selbst zu beurteilen? Du hast doch überhaupt keinen Blick dafür. Du musst einfach einmal den Mut haben, es aus der Hand zu geben.

Und das hat mir dann schon irgendwann einmal so zu denken gegeben, dass ich mir dann gesagt habe: Wenn das wirklich das ist, was so in meinem tiefen Inneren eigentlich das Ziel so meines Lebens ist, die eigenen Geschichten in die Welt zu setzen, die eigene Welt zu erfinden, dann muss ich das tun. Und dann habe ich eben dieses … war das erste wirklich zu Ende geschriebene Drehbuch, und sie war natürlich auch der erste Mensch, dem ich es zu lesen gegeben habe. Und ihr ja zu diesem Drehbuch, und ihre Aussage, das wird ein Film, haben mir einfach genau den Mut gegeben, es dann auch aus der Hand zu geben, zu einem Produzenten zu gehen, und überhaupt die ganzen restlichen Qualen des wirklich bis zur Drehfassung Kommens mit dem Buch auch durchzustehen.

Tschirner: Wir sitzen jetzt hier aus gutem Grunde, deshalb ist es auch so schön laut um uns herum, weil gerade die Vorbereitungen zum Europäischen Filmpreis laufen und die Leute hier langsam ankommen und sich alle irgendwo versammeln. Das ist ja dann auch schon, sagen wir mal, sicher ein heimlicher Wunsch von jedem, der so einen Film macht, der sagt: Wenn ich jetzt endlich mal einen Film mache, dann möchte ich auch, dass alle Welt den beachtet, aber es ist ja nur wenigen vergönnt.

Also steckt dahinter auch ein ganz akribischer perfektionistischer Arbeiter, der sagt, ich gehe mit diesem meinem Film-Baby wirklich erst in die Welt, wenn ich selber so ein gutes Gefühl habe, dass das auch alle anderen merken, dass es besonders ist?

Markovics: Ja, da haben Sie mit Sicherheit absolut recht. Was anderes wäre es gewesen, wenn ich 25 bin. Natürlich wünscht man sich dann auch das gleiche, aber da ist nichts dabei, wenn der nicht gleich so die volle Aufmerksamkeit bekommt. In meinem Fall - ich war 47, mittlerweile bin ich 48, wie ich den Film gemacht habe -, da wäre es mir lächerlich erschienen, so einen ganz guten ersten Film zu machen. Also entweder ich mache einen Film, so als hätte ich in meinem Leben nichts anderes gemacht als Filme, oder ich lasse es lieber ganz.

Also da gebe ich Ihnen absolut recht, dieser Film hatte immer den Anspruch, es mindestens nach Berlin, Cannes oder nach Venedig zu bringen, und auf jeden Fall das Zeug zu haben, der österreichische Kandidat für den Auslands-Oscar zu werden und auf jeden Fall das Zeug zu haben, auf den Festivals durch die ganze Welt rauf und runter gespielt zu werden, und in Österreich 70.000 Zuschauer zu kriegen. Natürlich wollte ich das. Ich habe meinen Film nicht darauf hin zugeschnitten, aber ich habe den Film gemacht, den ich machen wollte, und wünschte mir für diesen Film natürlich genau all das. Dass das dann in Summe eintritt, ist wunderschön und eine Überraschung trotzdem und eine große Freude, aber ich würde mir jetzt komisch vorkommen, wenn ich hier auf bescheiden täte und sage, das hat mich vollkommen unvorbereitet getroffen.

Tschirner: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem österreichischen Schauspieler und jetzt auch erfolgreichen Regisseur Karl Markovics. Man kennt Sie als Schauspieler, aber es kann ja sein, dass man auch - Sie sagten, 48 sind Sie - dass man in so eine Lebensphase kommt, wo man sagt: Ich habe eigentlich nicht mehr so sehr die Lust zum Zirkuspferd, und immer irgendwo rumzuspringen und etwas zu bedienen, was Leute von mir erwarten. Ich ziehe mich zurück. Und haben Sie jetzt den zweiten, den dritten, den vierten Film möglicherweise in der Schublade oder schon weiter?

Markovics: Also bei mir ist es schon so, dass das das Zentrum meiner Arbeit sein wird, weiter Filme zu drehen. Ich bin auch jetzt gerade am Entwickeln des nächsten Drehbuches schon. Der Schritt zum Filmemacher hat weniger damit zu tun, dass ich das Gefühl gehabt habe, ich will kein Zirkuspferd mehr sein, sondern im Grunde genommen ist es das, was ich schon als Kind immer werden wollte, ein Welterfinder. Der Schauspieler trifft es zum Teil, aber eben nicht in dieser Komplexität, wie wirklich vom weißen Blatt Papier, vom Nullpunkt an eine Geschichte selbst zu erfinden, sie dann mit anderen Menschen zu teilen und in so einem wunderbaren Kollektiv, wie das nun mal eine Filmarbeit auch ist, dann wirklich ins Leben zu setzen, also diese Welt tatsächlich auch sichtbar zu machen, mit Krempel voll zu räumen und mit Menschen zu füllen, die sich dann in dieser Welt bewegen. Das ist das Faszinierendste, was es gibt auf der Welt.

Natürlich ist das das Kind, das sagt: Hallo, schau mal her, was ich da habe! Hier ist meine große Zauberkiste! Schau mal, wie ich das gemalt habe! Und ich wünsche mir natürlich Leute, die nicht sagen, na, aber es gibt doch gar keinen orangen Hasen, sondern Menschen, die sagen: Wahnsinn, so anders diese Welt ist, aber ich finde mich trotzdem wieder. Und das ist schön in einem Film, der so ein zugewiesenes Milieu hat und eine Verortung hat, dass der in Sao Paolo auf dem Festival läuft und dort einen Preis gewinnt oder in Kiew läuft und dort sein Publikum findet, in Quebec oder Toronto oder Sarajevo, und man eine Geschichte wirklich hat, die auf der ganzen Welt gesehen wird und auch aufgenommen wird. Das ist schon ein unglaubliches Gefühl.

Tschirner: Dieser Weltenerfinder, der Sie schon als Kind sein wollten - waren Sie der tatsächlich im Sinne eines Platzhirsches, der dann immer die Kinder um sich herum hatte, oder saßen Sie mehr am Tisch und haben für sich fantasiert, und es reichte Ihnen, gedanklich die Kinder um sich zu haben dabei?

Markovics: Weder noch. Also mir hat es nicht gereicht, das nur alleine mit mir zu machen, obwohl das auch gut ging, wenn eben niemand anderer da war. Das andere passierte eher automatisch, dass daraus entstanden ist, dass ich das eben am besten konnte. Spielen kann jedes Kind, aber manche Kinder können irgendwie noch besser spielen, die erfinden für sich die spannenderen Spiele, und die anderen lassen sich davon gerne anstecken. Also ich war schon der, der immer wusste, worum es heute geht, also ob wir jetzt den großen Gottesdienst machen - wir spielen Priester und Ministranten und so weiter, und spielen jetzt irgendwie Kathedrale - oder wir sind die Astronauten und betreten irgendwie einen neuen Planeten, oder wir bauen uns eine große Mähmaschine aus Pappkartons und fahren jetzt über den Acker und so.

Ich war ganz gut deswegen, weil ich das ganze perfektioniert habe, nicht? Also es reichten dann nicht die Requisiten, sondern ich habe das dann durch meine Kommentare und die Art, wie ich dann Tonfall und Dialog dieses Arbeitsmilieus, das wir dann nachgestellt haben, immer wieder angenommen habe, woher ich das hatte, was auch immer, vom Fernsehen oder vom Radio oder so irgendeinem Buch, wo ich dachte: Also so reden jetzt die Astronauten wohl bei dieser oder dieser Entdeckungsreise, oder was auch immer. Das habe ich ganz gut hinbekommen, das ist natürlich für die anderen super, weil da fällt man dann um so besser da rein.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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