Keine fröhliche Lektüre

Rezensiert von Gregor Ziolkowski |
Der zweite Tagebuchband des 2001 verstorbenen Bühnenbildners, Regisseurs und Autors Einar Schleef umfasst die Jahre 1964 bis 1976. Er studiert damals an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee Malerei und wird nach wenigen Monaten exmatrikuliert. Darauf folgt eine Zeit fiebrigen Suchens und Probierens.
Natürlich war man nach dem Erscheinen des ersten Bandes dieses Tagebuchs, das Einar Schleefs Sangerhausener Jahre von 1953 bis 1963 umfasste, durchaus gewarnt: eine fröhliche Lektüre konnte der zweite Band kaum werden. In der Tat notiert der 20-jährige Abiturient seinen geballten Widerwillen, der sich nicht nur gegen die Schule richtet: "Furchtbare Menschen und Feinde. Sie lächeln und betrügen. Eine Hölle. Jedes Denken, jeder Versuch wird getötet. Sie wollen Maschinen, Marionetten, die vor ihnen zittern, jedem Wink gehorchen, für sie alles tun, gegen jedes menschliche Empfinden."

Eine früh – in der Folge des 17. Juni 1953 und des Mauerbaus 1961 – ausgeprägte politische Distanz zur DDR und die Schauerlichkeiten, die sich offenbar im Haus der Schleefs abgespielt haben, prägen den Beginn dieser Aufzeichnungen. "Vater alles zerrissen." ist da zu lesen, und gemeint sind die Blätter, die der kunstbegeisterte und talentierte junge Mann in seinem Zeichenzirkel produziert. Auch von Schlägen ist die Rede – eine Fortsetzung all der Grausamkeiten, die der junge Mann in seinem Elternhaus seit der Kinderzeit zu ertragen hat.

Da scheint die Abreise nach Berlin – zum Malereistudium an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee – ein großes befreiendes Aufatmen zu versprechen. Es stellt sich kaum ein. Denn nach wenigen Monaten wird Schleef exmatrikuliert, weil er eine abfällige Bemerkung über die Werke eines seiner Professoren ins Besucherbuch von dessen Ausstellung geschrieben hatte.

Zweieinhalb Jahre lang arbeitet er beim Fernsehen, an Theatern und bei der Comic-Zeitschrift "Mosaik", während er seine Wiederzulassung zum Studium betreibt. Es ist die Zeit eines fiebrigen Suchens und Probierens: in der eigenen Kunst, in der Kunst anderer (Oper, Theater, Film, Ausstellungen), in der Liebe (und dem Sex).

Schleefs Aufzeichnungen zeigen einen allseits hungrigen jungen Mann, der aber auch an seinen inneren Zerrüttungen und einer immensen Einsamkeit leidet. Der sein inneres Chaos in einem expressionistischen Stil umkreist und in der eigenen Kunst so etwas wie Konzentration (wenn auch keine Ruhe) findet. Gedichte, herausgestoßene Text-Fragmente, Entwürfe für Erzählungen sind zwischen die Alltagsnotizen gestreut. Hinzu kommen Reflexionen über das Geschriebene, die der Autor insbesondere seit den späten 90er Jahren und bis kurz vor seinem Tod 2001 zwischen die originalen Tagebucheinträge gefügt hat.

Schleefs offenkundiges Talent findet Förderer: es ist maßgeblich der Fürsprache Karl von Appens zu danken, dass Schleef 1967 sein Studium wiederaufnehmen darf, von Appen holt ihn später, 1971, als seinen Meisterschüler an die Akademie. Noch als Student, dann als Meisterschüler erarbeitet er Bühnenbildentwürfe für das Theater. Von hier aus folgt eine allmähliche Hinwendung zu Regiearbeiten.

Zunehmend drängt das schlechter werdende kulturpolitische Klima in die Aufzeichnungen, wenn auch nicht in Form einer allgemeinen Lagebeschreibung. Vielmehr enthalten diese Texte Schleefs persönliche Konflikte bei seiner Arbeit, mehrfach bricht er die Arbeit an einer Inszenierung ab. Mag man solche Vorkommnisse zum Teil seinem nicht einfachen Charakter zuschreiben, zeigen sie dennoch deutlich, wie eine junge Generation von Theaterkünstlern von der Kulturbürokratie gegängelt und gedeckelt wurde. Für Schleef endete dies – parallel zur Ausbürgerung von Wolf Biermann aus der DDR – mit seiner Weigerung, von einer geplanten Gastinszenierung am Burgtheater Wien in die DDR zurückzukehren.

Wie bereits der erste Band enthält auch der vorliegende ein entscheidendes Problem: Der Text ist eine enorme Materialsammlung, die aus verschiedenen Zeiten stammt. Das eigentliche Tagebuch sowie die zu verschiedenen Zeiten verfassten Kommentare, die darüber hinaus auf verschiedenen Computerfestplatten lagerten, haben es den Herausgebern sichtlich schwer gemacht, alles an seinen Platz zu rücken.

Um das Konvolut nicht noch umfangreicher zu machen, wurde ein sparsamer Anhang mit knappen Kommentaren erarbeitet, zu knappen, denn manche Begebenheit oder Person bleiben zu verschwommen. Je weiter die Zeit voranschreitet, umso spärlicher werden auch die Aufzeichnungen Einar Schleefs. Das hochspannende Jahr 1976 wird fast ausschließlich in Form von einigen erhaltenen Briefen und späteren Kommentaren und Erzählungsentwürfen Schleefs präsentiert. Und schließlich mussten Briefe, die ursprünglich im Tagebuch standen, getilgt werden aus Gründen des Persönlichkeitsrechts. Das empfindet man bei diesem Text, der insgesamt auf Intimität zielt, dann doch als Mangel.

Einar Schleef: Tagebuch 1964-1976
Ostberlin. Herausgegeben von Winfried Menninghaus, Sandra Janßen und Johannes Windrich.
Mit Abbildungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2006.
480 Seiten, 30,00 Euro.