Keine dunkelhaarige Unschuld

Von Bernd Sobolla · 08.06.2005
Als junge Schauspielerin durchkreuzte Bancroft Hollywoods Pläne, als "dunkelhaarige Unschuld" und Gegenstück zu der blonden Monroe aufgebaut zu werden. Obwohl sie mit der Oscar-Verleihung und dem Film "Die Reifeprüfung" (1967) dennoch ein Filmstar wurde, war das Theaterspielen immer wichtiger für sie.
Filmszene aus "Die Reifeprüfung": " Oh, nein, lassen Sie mich raus! / Nicht nervös werden. / Gehen Sie weg von der Tür da. / Hör erst mal zu. Du sollst wissen, dass ich dir immer zur Verfügung stehe. Und wenn du heute nicht mit mir schlafen willst, wenn du heute nicht mit mir schlafen willst, kannst du mich jeder Zeit anrufen, und wir werden etwas arrangieren. Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe? / Lassen Sie mich raus. / Hast du verstanden, was ich gesagt habe? "

Benjamin hat verstanden. Und so dauert es nicht lange, und er landet in Mrs. Robinsons Bett. Für Dustin Hofmann war "Die Reifeprüfung" der große Durchbruch, und auch für Anne Bancroft war der Film von Mike Nichols ein großer Erfolg. Aber für sie war der damit verbundene Ruhm zwiespältig: Einerseits war sie damit ihr Image der "dunkelhaarigen Unschuld", das sie sich in den 50er Jahren erworben hatte, los. Andererseits sprach man sie fortan immer auf diesen Film an. Noch zwei Jahre vor ihrem Tod sagte sie dazu in einem Interview:

" Es wundert mich schon, dass kaum jemand darüber hinausblicken mag. Einiges in meinem Gesamtwerk ist doch wirklich sehr gut. Aber alle reden nur von Mrs. Robinson."

Anne Bancroft wird 1931 als Anna Maria Louise Italiano in New York geboren. Ihr Vater ist Modellschneider, ihre Mutter Telefonistin. Mit drei Jahren singt die Tochter italienischer Einwanderer in den Straßen der New Yorker Bronx den Arbeitern vor. Mit neun entschließt sie sich, Schauspielerin zu werden. Und zehn Jahre später erhält sie ihre erste kleine Fernsehrolle sowie ihren ersten Filmvertrag. 1952 debütiert Bancroft in Hollywood neben Marilyn Monroe in dem Film "Versuchung auf 809".

Fortan versuchen die Hollywood-Produzenten, sie zu einer Art Gegenstück der blonden Monroe zu machen, zu einer "dunkelhaarigen Unschuld". Anne Bancroft reagierte auf ihre Weise: Sie verlässt Hollywood und geht an den Broadway. Dort gewinnt sie unzählige Preise, unter anderen den Tony Award für ihre Rolle in "Two for the seesaw" an der Seite von Henry Fonda. Aber vor allem begeistert sie das Publikum "The miracle worker". Darin bringt sie als Lehrerin einer jungen Frau, die taubstumm und blind ist, das Sprechen bei. Das Stück, das den deutschen Titel "Licht im Dunkel" erhält, wird 1962 von Arthur Penn verfilmt – wiederum mit Anne Bancroft in der Hauptrolle. Und Bancroft wird als Beste Darstellerin mit dem Oscar ausgezeichnet.

Mit dem Erfolg des Films "Die Reifeprüfung" dann, für den sie wiederum eine Oscar-Nominierung erhält, könnte sie eigentlich zum Superstar aufsteigen. Aber Anne Bancroft verzichtet darauf und hält stattdessen eine kritische Distanz zu Hollywood. Mainstreamfilme sind nicht ihre Welt. Und mit dem Dramatiker, Komödianten und Produzenten Mel Brooks, den sie 1964 geheiratet hat, und für den sie auch arbeitet, lebt sie die meiste Zeit in New York. Vielleicht drückt sie ihr Verhältnis zum Theater am besten als Schauspielerin Mrs. Kendell in David Lynchs Film "Der Elefantenmensch" aus.

Filmszene aus "Der Elefantenmensch": " Mr. Triest hat gesagt, dass sie im Theater sind. / Ja. / Leben Sie dort? / Oh, nein, Mr. Merick. Ich arbeite dort. / Ich glaube, es muss wundervoll sein, dort zu arbeiten. Macht es Ihnen Spaß? / Sie waren noch nie im Theater? / Nein, es tut mir leid. Leider nicht. / Oh, Mr. Merick, dann müssen Sie hingehen. Es ist der wundervollste Ort der Welt. Natürlich bin ich ein bisschen parteiisch. "

Auch wenn das Theater immer wichtiger für sie ist, wirkt Anne Bancroft in insgesamt 65 Filmen mit und wird insgesamt fünf Mal für den Oscar nominiert. 1979 debütiert sie gar mit der Komödie "Fetty - Der Dicke ist los" auch als Regisseurin. Immer wieder brillierte sie auch noch in den 90er Jahren. Allerdings sind es zuletzt häufig Fernsehrollen wie "The Mother" oder "Homecoming" für die sie vor der Kamera steht und mit Emmy-Nominierungen geehrt wird.
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