Keine Angst vor Einzelklagen

Max Straubinger im Gespräch mit André Hatting · 07.01.2011
Der CSU-Sozialpolitiker Max Straubinger sieht Klagen von Hartz IV-Empfängern gelassen entgegen. Die Neuregelung werde vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben, sagt der Vizevorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag.
André Hatting: Seit Januar warten 6,5 Millionen Menschen auf die von der Bundesregierung beschlossene Erhöhung der Hartz-IV-Sätze. Die kann nicht ausgezahlt werden, weil die Opposition das Gesetz im Bundesrat gestoppt hatte. Sie ist mit der Neuberechnung des Regelsatzes – Ergebnis: fünf Euro mehr für Erwachsene – nicht einverstanden. Eine Gruppe unter Leitung der Bundesarbeitsministerin von der Leyen, CDU, und der mecklenburg-vorpommerschen Sozialministerin Schwesig, SPD, sucht seitdem nach einem Kompromiss. Sie trifft sich heute erstmals im neuen Jahr. Mit dabei ist auch Max Straubinger, der Arbeits- und Sozialpolitiker ist stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Straubinger!

Max Straubinger: Guten Morgen!

Hatting: Herr Straubinger, nach Meinung der Bundesarbeitsministerin ist eine Einigung so gut wie sicher. Glauben Sie das auch?

Straubinger: Ich bin auch sehr optimistisch, weil ich der Meinung bin, dass wir gefordert sind als Politiker, sehr schnell auch die Lösung herbeizuführen, damit die Menschen, die auf die Hartz-IV-Leistungen angewiesen sind, sehr schnell auch zu den neu abgeschlossenen Leistungen, die wir im Gesetz bereits beschlossen haben, zumindest im Deutschen Bundestag, dass die dann für die bedürftigen Menschen zugute kommen kann.

Hatting: Heißt das, Sie werden auch der Forderung nach gesetzlichen Mindestlöhnen nachgeben?

Straubinger: Hier sehe ich eine Kompromisslinie, dass es natürlich, also, unter Branchengesichtspunkten zu Lohnuntergrenzen kommen kann, insbesondere in der Zeitarbeit.

Hatting: Aber nicht, wie die SPD fordert, für alle Branchen?

Straubinger: Nein, kein gesetzlicher Mindestlohn, denn ein gesetzlicher Mindestlohn über ganz Deutschland hinweg würde letztendlich nicht die regionalen Unterschiede widerspiegeln, die auch nötig sind und die tagtäglich ja von den Tarifpartnern, den Gewerkschaften mit den Arbeitgebern gemeinsam, in Deutschland gefunden werden. Nicht umsonst haben wir Tausende von Tarifverträgen, die auf die regionalen Spezifika hier Rücksicht nehmen.

Hatting: Das ist aber eine zentrale Forderung der SPD – denken Sie, dass die Sozialdemokraten Ihnen dort jetzt entgegenkommen?

Straubinger: Ich glaube nicht, dass das ein Entgegenkommen ist, sondern es liegt in der Natur der Sache, hier auch den regionalen Gegebenheiten, den arbeitsmarktpolitischen Bedürfnissen in den einzelnen Bundesländern beziehungsweise in den einzelnen Regionen entgegenzukommen.

Hatting: Die SPD fordert auch – auch das Bedingungen für einen Kompromiss – mehr Sozialarbeit an den Schulen. Das lehnt die Koalition bislang strikt ab. Warum?

Straubinger: Das lehnen wir deshalb ab, weil wir hier eine klare Zuständigkeitsfrage zu beantworten haben, nämlich die Sozialarbeiter in den Schulen ist Kulturhoheit, und es ist letztendlich eine Aufgabe der Bundesländer. Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode gerade mit der SPD gemeinsam eine Föderalismuskommission in Gang gesetzt und diesbezüglich dann auch Zuständigkeitsfragen von Bund und Ländern neu gelöst. Es kann nicht sein, dass wir deshalb jetzt wieder zurückfahren und wieder verschiedene Mischfinanzierungsformen vornehmen werden. Und deshalb lehnen wir diese Forderung ab.

Hatting: Sie finden die Forderung unlauter?

Straubinger: Die Forderung ist nicht unlauter, sondern ist sicherlich in einzelnen Bereichen notwendig, mehr Sozialarbeiter in den Schulen auch mit zu installieren, aber dafür sind letztendlich die Bundesländer zuständig.

Hatting: Was die Verhandlungen auch verzögert, ist die von der Opposition beantragte Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze. Wieso war die Bundesregierung nicht in der Lage, innerhalb der vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten Frist diese Sätze korrekt zu veranschlagen?

Straubinger: Wir haben diese Sätze korrekt ermittelt, nämlich es geht ja nicht um die Höhe der Sätze, was das Bundesverfassungsgericht hier bemängelt hat, sondern um die Transparenz und die Nachvollziehbarkeit der Berechnung der Sätze, insbesondere was auch für die Kinder hier auch notwendig geworden ist aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Und unsere Sätze, die wir ermittelt haben, die sind transparent und sind nachvollziehbar. Dass man sicherlich immer wieder über Höhen streiten kann, das liegt in der Natur der Sache, aber ich glaube, wir sind hier dem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts ordentlich nachgekommen.

Hatting: Das glauben die Sozialrichter in Deutschland aber nicht. Sie sagen, das Gesetz landet wahrscheinlich wieder vorm Bundesverfassungsgericht, eben weil die Sätze auch diesmal nicht transparent berechnet worden sind.

Straubinger: Wir sehen das anders und das sehe ich auch ganz gelassen, aber dass natürlich jeder, der auf solche Leistungen angewiesen ist, auch die Möglichkeit hat, dann entsprechende Bereiche wieder gerichtlich überprüfen zu lassen, das ist im Rechtsstaat auch so richtig.

Hatting: Und Sie denken trotzdem, dass am 11. Februar das neue Gesetz durch den Bundesrat kommt, auch wenn dann vielleicht Sozialrichter wieder klagen werden?

Straubinger: Na gut, also wir können Klagen nicht verändern, denn jedes Gesetz ist natürlich möglich auf gerichtlichem Wege zu überprüfen. Und das ist natürlich in einer solch breit angelegten Gesetzgebung, wie es hier bei den Hartz-IV-Sätzen insgesamt und mit dem neuen Bildungspaket zusätzlich dann mitkommen kann, da bin ich mit überzeugt, dass es bei sieben Millionen Menschen, die vielleicht auf Hartz-IV-Sätze auch angewiesen sind, dass es hier Einzelfälle geben kann, die unter dem Gesichtspunkt des Einzelfalls vielleicht nicht vollendet gerecht auch mit dem Gesetz gelöst werden können. Aber das ist dann eine Frage, die natürlich dann von den Gerichten auch beantwortet werden muss. Aber ich bin sehr optimistisch, dass wir mit diesem Gesetz auf alle Fälle die Forderungen des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt haben.

Hatting: Kinder bekommen nach dem neuen Gesetz keine Erhöhung, sondern zweckgebundene Bildungsgutscheine. Also noch mehr Bürokratie in den Jobcentern, noch mehr Warteschlangen – denn wie soll der Sachbearbeiter entscheiden, welches Kind welchen Gutschein bekommt?

Straubinger: Es ist so, dass dies natürlich also nachgewiesen werden muss, ob entsprechender Nachhilfeunterricht notwendig ist.

Hatting: Das klingt nach sehr viel Bürokratie.

Straubinger: Ja, natürlich, aber wir sollen ja den Einzelfällen gerecht werden, und jede Einzelfallgerechtigkeit bedeutet natürlich auch mehr bürokratischen Aufwand. Es kann ja nicht sein, dass wir in der Pauschalität einfach Gelder ausgeben an die Kommunen, was wir unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sowieso nicht dürften, aber dass wir in einer Pauschalität einfach Geld ausgeben, aber dabei dann der bedürftige Einzelfall nicht mehr abgedeckt wird. Das wäre ja wiederum dann angreifbar über das Gericht, und deshalb ist hier eine Einzelfallentscheidung letztendlich notwendig, aber Einzelfallentscheidungen bedeuten natürlich auch erhöhten Verwaltungsaufwand.

Hatting: Heute trifft sich die Arbeitsgruppe aus Bundesregierung und Opposition, es geht um die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze. Das war ein Gespräch mit Max Straubinger, er ist Arbeits- und Sozialpolitiker der CSU und stellvertretender Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Herr Straubinger, vielen Dank für das Gespräch!

Straubinger: Bittschön!
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