Kein Vergleich
Vergleichen heißt nicht Gleichsetzen, und ein politischer Kommentar, eine Rede sind keine Geschichtsstunde. Hinter diesen Allgemeinplätzen kann FDP-Generalsekretär Dirk Niebel, der eben die letzte Nummer in der beliebten Politiker-Disziplin des zugespitzten Vergleichens abgeliefert hat, beruhigt in Deckung gehen.
Er hat ja nicht behauptet, die Große Koalition sei so etwas wie die Nationale Front der DDR, die seit einiger Zeit aufzuführende Steuer-Identikationsnummer erlaube den gleichen totalen Zugriff auf den Bürger wie die Personenkennzahl in der DDR und die Bundeskanzlerin sei die Generalsekretärin eines Zentralkomitees nach SED-Muster. Er hat auch keine Lektion über die DDR halten wollen. Er hat nur die Kanzlerin und die Große Koalition treffen wollen, an einer empfindlichen Stelle.
Weshalb ist der Mann, der einmal Fallschirmjäger war, trotzdem ziemlich unsanft gelandet? Und verdientermaßen? Hat wieder einmal die leidige deutsche politische Korrektheit zugeschlagen: keine Vergleiche mit dem Dritten Reich, weil sie so leicht verharmlosen, was nicht verharmlost werden darf, als auch keine Vergleiche mit der DDR? Vielleicht war es doch eher der Verdacht, dass sich der Generalsekretär nicht klar über die politischen Größen gewesen ist, mit denen er da zündelte. Die Nationale Front zum Beispiel, das Zwangsbündnis , das den Parteien ihren Parteicharakter austrieb und sie zu Transmissionsriemen der SED degradierte, hat mit dem angestrengten, meinetwegen auch verkrampften auf der Stelle-Treten der Großen Koalition nun wirklich nichts gemein. Wo aber ein Vergleich Unvergleichbares vergleicht, geht die Zuspitzung, die sie transportieren soll, ins Leere. Sie schürt nur den Argwohn, dass die eben lauthals beklagte Ahnungslosigkeit über die DDR nicht nur bei Brandenburger Schülern vorkommt, sondern auch bei hochrangigen Politikern.
Oder nimmt das die Sache unangemessen ernst? Jedenfalls unangemessen? Verkennt, dass der Vergleich in der Politik eine polemische Funktion hat? Denn da ist er, natürlich, Waffe im Meinungskampf, Florett oder Säbel. Er soll die Kritisierten an den Pranger stellen, ironisch oder derb, aber so, dass alle sehen, was es mit ihm auf sich hat. Niebel, zum Beispiel, will klar machen: Kanzlerin und Koalition sind auf einer abschüssigen Bahn – Richtung weniger Freiheit, größere Umverteilung, mehr Staat. Und damit auch jeder aufmerkt und merkt, wie ablehnenswürdig das ist, wird das alles drapiert mit den Farben und Formen der versunkenen zweiten Diktatur auf deutschem Boden. Der Zweck heiligt die Mittel, die Absicht den Vergleich. Soweit kann man in Niebels Kolumne sogar als Beispiel einer fulminanten Polemik nehmen – wenn sie sich in ihrem Furror nicht überschläge und die Sache, um die es geht, auf der Strecke bliebe, zumindest halbtot. Der Generalsekretär hat den Öffentlichkeitseffekt, aber er zahlt dafür den Preis, dass die Begriffe verschwimmen: mehr immerhin doch demokratischer Staat geht irgendwo über in die totalitäre Allzuständigkeit des DDR-Staats, angreifbare Umverteilung ist nicht mehr zu unterscheiden von ihrem alles beengenden Gleichheitsdogma und der populistisch-doktrinäre Lafontaine gerät in die Nachbarschaft Honeckers. Dem hat der Chef der Links-Partei zwar seinerzeit in saarländisch-sozialistischer Gefühlsduselei heftig die Hand gedrückt und sich ihm, dem Himmel sei’s geklagt, gehörig angebiedert. Aber selbst er ist doch rubikonweit entfernt von dem trockenen Kader-Politiker altstalinistischer Observanz.
Es sind nicht ohne Grund Politiker gewesen, die – wie beispielsweise Hans-Dietrich Genscher – wussten, was die DDR war und was sie ausmachte, die Niebels Äußerungen am heftigsten getadelt haben. Sie wissen, dass Bundesrepublik und DDR so unterschiedlich waren, dass der Vergleich in Gefahr ist, die prinzipiellen Grenzen zwischen beiden auszublenden, besser: zu überblenden. Am Ende weiß dann keiner mehr richtig, weshalb die Bundesrepublik ein lebensfähiges, erfolgreiches Gemeinwesen ist, und die DDR auf dem Misthaufen der Geschichte landete. Mehr oder weniger Staat, der Grad der Umverteilung oder der Mief, den der Generalsekretär feinnäsig in Großer Koalition oder Nationaler Front erschnuppert, waren nicht der Grund. Aber vielleicht demonstriert Niebels Polemik auch einfach nur, wie weit sich die DDR schon aus unserem Bewusstseinshorizont entfernt hat. Dann wäre sie nur noch Spielmaterial, beliebig einsetzbar, um den politischen Gegner anzuschwärzen. Wenn alles, was sie war, nicht mehr bedeutet, kann man in der Tat so mit ihr umgehen. Aber das brächte in unsere politische Debatte nur noch mehr Beliebigkeit. Und davon hat sie, die ja ohnedies unter Maßstabslosigkeit leidet, wahrhaftig genug.
Hermann Rudolph ist Herausgeber der in Berlin erscheinenden Zeitung "Der Tagesspiegel". Es war zuvor Chefredakteur des Blattes. Vor seiner Aufgabe beim "Tagesspiegel" war Hermann Rudolph unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Die Zeit" und die "Süddeutsche Zeitung'"tätig. Er ist mehrfach ausgezeichnet worden, darunter mit dem Karl-Hermann-Flach-Preis.
Weshalb ist der Mann, der einmal Fallschirmjäger war, trotzdem ziemlich unsanft gelandet? Und verdientermaßen? Hat wieder einmal die leidige deutsche politische Korrektheit zugeschlagen: keine Vergleiche mit dem Dritten Reich, weil sie so leicht verharmlosen, was nicht verharmlost werden darf, als auch keine Vergleiche mit der DDR? Vielleicht war es doch eher der Verdacht, dass sich der Generalsekretär nicht klar über die politischen Größen gewesen ist, mit denen er da zündelte. Die Nationale Front zum Beispiel, das Zwangsbündnis , das den Parteien ihren Parteicharakter austrieb und sie zu Transmissionsriemen der SED degradierte, hat mit dem angestrengten, meinetwegen auch verkrampften auf der Stelle-Treten der Großen Koalition nun wirklich nichts gemein. Wo aber ein Vergleich Unvergleichbares vergleicht, geht die Zuspitzung, die sie transportieren soll, ins Leere. Sie schürt nur den Argwohn, dass die eben lauthals beklagte Ahnungslosigkeit über die DDR nicht nur bei Brandenburger Schülern vorkommt, sondern auch bei hochrangigen Politikern.
Oder nimmt das die Sache unangemessen ernst? Jedenfalls unangemessen? Verkennt, dass der Vergleich in der Politik eine polemische Funktion hat? Denn da ist er, natürlich, Waffe im Meinungskampf, Florett oder Säbel. Er soll die Kritisierten an den Pranger stellen, ironisch oder derb, aber so, dass alle sehen, was es mit ihm auf sich hat. Niebel, zum Beispiel, will klar machen: Kanzlerin und Koalition sind auf einer abschüssigen Bahn – Richtung weniger Freiheit, größere Umverteilung, mehr Staat. Und damit auch jeder aufmerkt und merkt, wie ablehnenswürdig das ist, wird das alles drapiert mit den Farben und Formen der versunkenen zweiten Diktatur auf deutschem Boden. Der Zweck heiligt die Mittel, die Absicht den Vergleich. Soweit kann man in Niebels Kolumne sogar als Beispiel einer fulminanten Polemik nehmen – wenn sie sich in ihrem Furror nicht überschläge und die Sache, um die es geht, auf der Strecke bliebe, zumindest halbtot. Der Generalsekretär hat den Öffentlichkeitseffekt, aber er zahlt dafür den Preis, dass die Begriffe verschwimmen: mehr immerhin doch demokratischer Staat geht irgendwo über in die totalitäre Allzuständigkeit des DDR-Staats, angreifbare Umverteilung ist nicht mehr zu unterscheiden von ihrem alles beengenden Gleichheitsdogma und der populistisch-doktrinäre Lafontaine gerät in die Nachbarschaft Honeckers. Dem hat der Chef der Links-Partei zwar seinerzeit in saarländisch-sozialistischer Gefühlsduselei heftig die Hand gedrückt und sich ihm, dem Himmel sei’s geklagt, gehörig angebiedert. Aber selbst er ist doch rubikonweit entfernt von dem trockenen Kader-Politiker altstalinistischer Observanz.
Es sind nicht ohne Grund Politiker gewesen, die – wie beispielsweise Hans-Dietrich Genscher – wussten, was die DDR war und was sie ausmachte, die Niebels Äußerungen am heftigsten getadelt haben. Sie wissen, dass Bundesrepublik und DDR so unterschiedlich waren, dass der Vergleich in Gefahr ist, die prinzipiellen Grenzen zwischen beiden auszublenden, besser: zu überblenden. Am Ende weiß dann keiner mehr richtig, weshalb die Bundesrepublik ein lebensfähiges, erfolgreiches Gemeinwesen ist, und die DDR auf dem Misthaufen der Geschichte landete. Mehr oder weniger Staat, der Grad der Umverteilung oder der Mief, den der Generalsekretär feinnäsig in Großer Koalition oder Nationaler Front erschnuppert, waren nicht der Grund. Aber vielleicht demonstriert Niebels Polemik auch einfach nur, wie weit sich die DDR schon aus unserem Bewusstseinshorizont entfernt hat. Dann wäre sie nur noch Spielmaterial, beliebig einsetzbar, um den politischen Gegner anzuschwärzen. Wenn alles, was sie war, nicht mehr bedeutet, kann man in der Tat so mit ihr umgehen. Aber das brächte in unsere politische Debatte nur noch mehr Beliebigkeit. Und davon hat sie, die ja ohnedies unter Maßstabslosigkeit leidet, wahrhaftig genug.
Hermann Rudolph ist Herausgeber der in Berlin erscheinenden Zeitung "Der Tagesspiegel". Es war zuvor Chefredakteur des Blattes. Vor seiner Aufgabe beim "Tagesspiegel" war Hermann Rudolph unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", "Die Zeit" und die "Süddeutsche Zeitung'"tätig. Er ist mehrfach ausgezeichnet worden, darunter mit dem Karl-Hermann-Flach-Preis.

Hermann Rudolph© privat