Kein übermenschlicher moralischer Riese

Rezensiert von Pike Biermann · 28.07.2005
Das Buch "Oskar Schindler" von David M. Crowe sorgte bereits bei seiner Veröffentlichung in den USA für Aufsehen. Der Historiker und Holocaust-Forscher widerlegt, dass es - wie es in Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste" dargestellt wurde - nur eine Liste gab. Es existierten mindestens 13 Listen. Nun ist die Studie auf Deutsch erschienen.
John Keneallys berühmter Roman von 1982, nach dem Steven Spielberg seinen noch berühmteren Film gedreht hat und den wir im deutschsprachigen Raum als "Schindlers Liste" kennen, hieß eigentlich Schindler’s Ark. "Die Arche Schindler" müsste man das übersetzen. Ark heißt aber auch Truhe, Koffer, Kiste. Den Doppelsinn kann der Australier Keneally nicht gemeint haben - die Kiste mit Originaldokumenten von Oskar Schindler wurde erst 1997 auf einem Dachboden in Hildesheim gefunden. Vielleicht hätte die deutsche Übersetzung sonst "Schindlers Kiste" geheißen. Denn aus eben dieser Kiste stammen entscheidende Beweisstücke dafür, dass es die Schindler-Liste nie gegeben hat. Das hat der US-amerikanische Historiker und Holocaust-Forscher David M. Crowe in sieben Jahre Recherche herausgefunden, es war die Mediensensation, als Ende 2004 sein Buch Oskar Schindler - The Untold Account Of His Life, Wartime Activities, And The True Story Behind The List erschien. Wohl deshalb stürzten sich rechte Ideologen darauf wie feixende Habichte.

Tatsächlich: Eine Schindler-Liste gab es nie - es gab mindestens dreizehn. Neun hat Crowe gefunden. Keine einzige hat Schindler selbst geschrieben. Sondern einige der "Schindlerjuden". Wenn jetzt die sehr gute Übersetzung von Klaus Binder und Bernd Leineweber auf den deutschen Markt kommt, verstummt hoffentlich auch der Jubel auf hiesigen rechten Internetseiten. Denn für Geschichtsrevisionismus eignet sich Crowes große Studie nicht. Im Gegenteil - sie zeigt, was alles eben doch möglich war an Widerstand. Gerade wenn man kein übermenschlicher moralischer Riese war.

Oskar Schindler hat 1089 Jüdinnen und Juden vor dem Tod bewahrt. Durch Kollaboration, Bestechung, Tricks, unter Einsatz seines Vermögens und seines Lebens und gemeinsam mit seiner Frau Emilie. Crowe entfaltet ihn vor uns als Zerrissenen. Äußerlich der Ideal-Nazi - groß, blond, mit sehr blauen Augen. Von Jugend ein charmanter Hallodri, Trinker, Raufer, Spieler, Weiberheld, Freund schneller Autos und Motorräder, immer in Geldnot. Ab 1935 Agent der Abwehr, des militärischen deutschen Geheimdienstes. Ein Sudentendeutscher, geboren in Mähren, und so nazifreundlich eingestellt, dass er an der "Zerschlagung der Rest-Tschechei" im März 1939 mitwirkt und polnische Uniformen für die Nazi-Aktion beschafft, die schließlich zum Überfall auf Polen am 1.September 1939 und in den Zweiten Weltkrieg führt.

Mitte September ist Schindler in Krakau. Er will Geld machen. Er kauft eine Emaillefabrik und stellt vor allem jüdische Arbeiter ein, die sind am billigsten. Aber er behandelt sie anständig. Er ist als Geschäftsmann eine Katastrophe - seine jüdischen Geschäftsführer sind exellent. Sie sind bedroht von der rasant durchgepeitschten "Endlösung der Judenfrage" - er nutzt brillant seine langen Kontakte zu Abwehr, Partei, SS und Wehrmacht und deren Konkurrenz untereinander. Im Januar 1945 evakuiert er die ganze Fabrik samt Arbeitern ins tschechische Brünnlitz. Er rettet sie alle, und sie werden dafür sorgen, dass er und Emilie überleben können.

David M.Crowes Buch achthundert Seiten schweres Buch ist detailfreudig bis zur Versessenheit, aber das kann man einem Autor nachsehen, der sieben Jahre lang quer durch die Kontinente kleinste Spuren verfolgt und mit Dutzenden Zeugen gesprochen hat. Es springt manchmal unchronologisch hin und her, aber es ist ein wahrer Steinbruch - korrekt, gerecht und uneitel. "Die Biographie" allerdings, die der deutsche Titel suggeriert, ist es nicht. Es ist vielmehr ein Polylog mit allen, die sich recherchierend, erinnernd oder narrativ mit Oskar Schindler beschäftigt haben. Oder vielleicht eine Art Biographie jener Listen, die seinen Namen tragen. Mit all deren historischen und persönlichen Voraussetzungen.

David M. Crowe: Oskar Schindler - Die Biographie
Aus dem Amerikanischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber
Eichborn Berlin, 34,90 Euro