Kein Teufel

Von Alexander Kohlmann · 26.01.2013
Dem Teufel ins Auge geschaut hat die "FAZ"-Journalistin Karen Krüger und festgestellt: Der Teufel ist ein Mensch. Ihre Übersetzung der "Protokolle von Toulouse" hat der Körber-Studio-Preisträger Malte C. Lachmann dramatisiert - und in der Thalia-Spielstätte Garage uraufgeführt.
Nur scheinbar unterhalten sich in den Protokollen von Toulouse zwei junge Muslime über alltägliche Dinge. Tatsächlich ist der Polizeipsychologe in jedem Satz zu erkennen. Wie er sich höchst professionell bemüht, Vertrauen zu einem Terroristen aufzubauen, ihn nach möglichen Mittätern auszufragen und zu verstehen, wie es zu den schrecklichen Morden kommen konnte, die Mohammed Merah verübt hat. Der Polizist stellt diese Fragen auch, weil Mohammeds Leben jetzt ganz unmittelbar bedroht ist. Ergibt er sich nicht, wird ihn eine Antiterroreinheit erschießen, letztlich kämpft der Polizeipsychologe hier um das Leben des Terroristen.

Dieser bemerkt natürlich, dass er nach allen Regeln der Polizei-Kunst manipuliert wird und spielt das Spiel trotzdem lange mit: Er sucht die Nähe und das Vertrauen, wohl wissend, dass er nicht mehr lange zu leben haben wird. Ein psychologisches Kammerspiel wie es das Leben schrieb, heißt es im Programmheft, und tatsächlich lesen sich die "Protokolle von Toulouse" über weite Strecken wie ein gebautes Theaterstück, das geschickt mit den Erwartungen des Zuschauers spielt.

Malt C. Lachmann umschifft in der Garage, der kleinsten Spielstätte des Thalia-Theaters in der Gaußstraße geschickt alle Klischees, die der schwierige Stoff mit sich bringen könnte. Er versucht gar nicht erst, einen Schauspieler mit Schminke und Maske in einen arabischen "Islamisten" zu verwandeln, der dem gerne bemühten Bild westlicher Medien entspricht. Mohammed Merah (Thomas Niehaus) und der Polizeipsychologe (Rafael Stachowiak), dessen Name nicht bekannt ist, kommen als Hamburger Jungs mit Jeansjacke auf die kleine Showtribüne, die vor dem Garagentor aufgebaut ist.

Während Sie die Texte spielen, können Sie sich durchaus sehen, ja sogar berühren. Etwa wenn der Psychologe bekennt, er würde Mohamed gerne mal in die Augen sehen und beide Schauspieler sich befreit von einem allzu strengen Realismus gegenseitig mit Blicken belauern. Auch Umarmungen erlaubt die kluge Konzeption, die Nähe die sich in den Texten nur durch Wort ergibt, findet im Imaginationsraum Theater ganz körperlich statt. Und macht die Texte nur noch bedrückender, als es jede Form eines falschen Theater-Realismus hier vermocht hätte.

Kein Teufel kommt so hinter der Fassade des Terroristen Mohamed zum Vorschein, sondern ein im Leben gescheiterter Mensch, der sich nach einer auseinandergegangenen Beziehung und einer als Unrecht erlebten Behandlung durch die französische Justiz in die Ideologie des Terrors geflüchtet hat. Die Banalität der Beweggründe verstört gerade deshalb so sehr, weil sie die Morde von Toulouse noch überflüssiger erscheinen lässt, als das bequeme Zerrbild einer islamistischen Krake, die unsere Werte bedroht.

Sympathy for the devil? Wohl kaum, sondern viel mehr jene Vermenschlichung des Terroristen, die ein erster Schritt ist, ihn und seine Umgebung vor sich selbst zu retten.

Die Protokolle von Toulouse
Von Malte C. Lachmann
Regie: Malte C. Lachmann
Thalia Theater Hamburg, Garage in der Gaußstraße
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