Kein radikaler Bruch mit der Aufklärung

03.09.2007
Viel ist über die Romantik geschrieben worden; es mangelt nicht an großen Abhandlungen, von Heines "Die romantische Schule" über Ricarda Huchs "Die Romantik" bis hin zur ausufernden Forschungsliteratur der letzten Jahrzehnte.
Jetzt hat Rüdiger Safranski den Mut aufgebracht, der zweifellos wirkungsmächtigsten und neben der Weimarer Klassik berühmtesten Epoche der deutschen Kulturgeschichte noch einmal eine Gesamtdarstellung zu widmen.

Kein Zweifel, er ist prädestiniert dafür, denn sei je interessieren diesen nüchternen Kopf die unter Irrationalismusverdacht stehenden Schriftsteller und Philosophen, die Enthusiasten und Phantasten, die Denker aus Leidenschaft. Über E.T.A. Hoffmann, Schopenhauer, Nietzsche, Heidegger und zuletzt Schiller hat er viel gerühmte Biographien geschrieben.

Safranskis Romantik-Buch hat zwei Teile. Im ersten wird die Epoche der Romantik vermessen, im zweiten ihre Nachwirkung analysiert und jene Geisteshaltung des "Romantischen" beschrieben, deren Spur bis in die jüngste Gegenwart reicht, zumindest bis zur politischen Romantik der 68er-Zeit. Keine literarische Bewegung seit 1818, die nicht direkt oder indirekt auf die Epoche Bezug nahm, indem sie entweder an die Romantik anschloss oder sie entschieden mittels diverser Ernüchterungsprogramme bekämpfte.

Die Romantik war kein radikaler Bruch mit der Aufklärung; vielmehr hat sie Traditionen und Tendenzen des 18. Jahrhunderts fortgesetzt. Das betonen zumindest die Spezialisten in Sachen Frühromantik, die bekanntlich eine besondere spekulative Energie entwickelte. Zwar beginnt auch Safranski mit den Vorleistungen des Sturm und Drang und der Klassik, wenn er Herders Aufbruch aus Riga, seine neue Leidenschaft für das Historische und Volkstümliche als Urszene der Romantik beschreibt und Schillers Konzeption des ästhetischen Spiels als wichtigste theoretische Voraussetzung des romantischen Gedankenlaboratoriums geltend macht.

Ansonsten aber ist er weitgehend der verbreiteten Vorstellung des Romantischen als Antwort auf die Entzauberungen der Moderne verpflichtet. Waldeinsamkeit, Todessehnsucht, wunderbare Ahnungen, Singen der Seele, Entfesselung des Genies, skeptische Phantastik - das und noch viel mehr gehört zum Profil dieser Geisteshaltung.

"Der romantische Geist ist vielgestaltig, musikalisch, versuchend und versucherisch, er liebt die Ferne der Zukunft und der Vergangenheit, die Überraschungen im Alltäglichen, die Extreme, das Unbewusste, den Traum, den Wahnsinn, die Labyrinthe der Reflexion. Der romantische Geist bleibt sich nicht gleich, ist verwandelnd und widersprüchlich, sehnsüchtig und zynisch, ins Unverständliche vernarrt und volkstümlich, ironisch und schwärmerisch, selbstverliebt und gesellig, formbewusst und formauflösend."

Das ist glänzend formuliert, und der Leser darf sich über ein kenntnisreiches und kluges Buch freuen, zweifellos ein Standardwerk zum Thema. Allerdings vermisst man vor allem im zweiten Teil etwas vom kühnen essayistischen Schwung, der die Schriften der Romantiker oft auszeichnete. Während im ersten Teil neben die bloße Chronologie noch eine systematische Durchdringung der romantischen Grundideen tritt, hangelt sich der zweite Teil durch die Geistes- und Kulturgeschichte von eineinhalb Jahrhunderten.

Immer bestens informiert, aber etwas brav wird das Bildungspensum abgearbeitet, und es hat auf Dauer etwas Ermüdendes, wenn der nüchterne Safranski eine brodelnde Ideenküche nach der anderen aufsucht und die Bestandteile des jeweiligen Gebräus mit der leicht schulmeisterlichen Gebärde des Ideengeschichtlers seziert. Wagner, Nietzsche, George, Hofmannsthal - ein (spät)romantischer Feuerkopf nach dem anderen kühlt zischend ab in Safranskis analytischem Wasserbad.

Kein Zweifel: Es ist nie falsch und oft erhellend, was wir da zu lesen bekommen, man vermisst aber doch gelegentlich - um es romantisch zu sagen - den Funken der Inspiration. Er ist da, wenn Safranski zum Beispiel das Motiv der Seefahrt und des Aufbruchs ins offene Meer verfolgt: von Herders initiatorischer Reise zu Schiff über Kants Bodenständigkeit auf der Insel der Vernunft bis hin zu Nietzsches Meer-Metaphern und der wilhelminischen Schlachtschiff-Romantik. Solche Schlaglichter und perspektivische Schneisen durch die Kulturgeschichte hätte man sich öfter gewünscht.

Merkwürdigerweise bleiben gerade die Abschnitte über Autoren, denen Safranski schon ganze Bücher gewidmet hat, etwas matt, während sichtlich von unverbrauchter Faszination und Sympathie getragene Kapitel wie die über Heine oder Ludwig Tieck voll überzeugen. Weniger rekapitulierende Darstellung und mehr passioniertes Für und Wider hätten dem Buch gutgetan.

Das spürt man, wenn Safranski gegen Ende den Mut aufbringt, mit einem kanonischen Roman des 20 Jahrhunderts, Thomas Manns "Doktor Faustus", zu hadern. Zu viel Romantik stecke in diesem ambitionierten Werk, und Mann erweise Hitler und dem Nationalsozialismus die Ehre einer allzu tiefsinnigen Großdeutung.

Die fatale Allianz von Politik und Romantik löst Safranski dann erwartungsgemäß zugunsten einer pragmatischen Sphärentrennung von demokratischer Vernunft und ästhetisch-romantischer Radikalität auf. Da stimmt man ihm wieder einmal zu. Und das ist vielleicht ein Problem des Buches. Es hätte etwas widerborstiger, ungeschmeidiger, provokanter ausfallen dürfen.


Rezensiert von Wolfgang Schneider

Rüdiger Safranski: Romantik. Eine deutsche Affäre
Hanser Verlag, München 2007
416 Seiten, 24,90 Euro