Kein monolithischer Block
In der Zeit des Kalten Krieges wirkte der Warschauer Pakt stets wie ein monolithischer Block unter sowjetischer Vorherrschaft. Die Öffnung der Archive der ehemaligen Bündnispartner zeigt jedoch immer deutlicher, dass seine Geschlossenheit oftmals nur nach außen bestand. Renommierte Autoren stellen Forschungsergebnisse vor und vermitteln einen Eindruck von der nationalen Gemengelage im „Roten Bündnis“.
Bei diesem Buch sollte man sich erst einmal das Abkürzungsverzeichnis kopieren. Es ist sieben Seiten lang und bietet von „AA“ bis „ZWZ“ alt Bekanntes und irritierend Neues – jedenfalls für den Leser aus dem Westen. „AA“ für Auswärtiges Amt ist ihm geläufig. Doch „ZWZ“?
Das meint „Związek Walki Zbrojnej“, den polnischen „Bund für den bewaffneten Kampf“, die Untergrundorganisation im Zweiten Weltkrieg. Der Leser West wird auch von seinem beliebten Bild Abschied nehmen müssen: dass es sich bei der „WVO“ (der Warschauer Vertragsorganisation) um einen monolithischen Ostblock gehandelt hat – nach dem Motto, wenn der Russe auf den Tisch haut, parieren all anderen.
Gewiss: Da gibt es in den Jahren vor der Gründung des Warschauer Paktes am 14. Mai 1955 eine starke Dominanz der Sowjets etwa in der polnischen Armee. Von deren 62 Generalen im aktiven Dienst stammten 1951 48 (!) aus der Sowjetunion. Der Marschall der Sowjetunion Konstantin Konstantinowitsch Rokossowski war sogar bis 1956 polnischer Verteidigungsminister und verlangte, dass die polnischen Soldaten nur russisch mit ihm sprechen sollten.
Das war eine Seite. Die andere zeigt sich etwa im langen Prozess, der zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) führte, die mit der Schlussakte von Helsinki 1975 auch zur Basis für oppositionelle Bewegungen in den Staaten des Warschauer Paktes wurde.
Bevor Verhandlungen mit dem Westen für die Konferenz aufgenommen wurden, gab es heftige innerhalb des Warschauer Paktes heftige Auseinandersetzungen mit den Hardlinern aus DDR und aus Polen – die als Vorbedingung die Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik verlangten. Da konnten die Sowjets nicht mit der Faust auf den Tisch hauen.
Bevor die Außenminister der Pakt-Staaten im März 1969 den „Budapester Appell“ als Angebot an den Westen verabschiedeten, hatten die Delegationen tage- und nächtelang verhandelt: auf der einen Seite die Hardliner aus der DDR und Polen, auf der anderen Seite Rumänien, das bereits diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik unterhielt, dazwischen die Sowjets mit den Ungarn.
Mit Ausnahme der Tschechoslowakei ist jedem ehemaligen „WVO“ in dem Sammelband mindestens ein Kapitel gewidmet – sogar dem abtrünnigen Albanien. Erschienen als Band 16 in der Reihe „Militärgeschichte der DDR“ des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) der Bundeswehr, kommen die DDR und ihre Nationale Volksarmee NVA darin nicht zu kurz: Die DDR als wichtiges Uran-Reservoir für die Atomrüstung der Sowjets – und die NVA, die als eine Art Missgeburt beschrieben wird. Entstanden als „deutlichstes Symbol staatlicher Souveränität“ – auch, um die Rolle der sowjetischen Besatzungstruppen als Besatzer zu kaschieren.
In der Konkurrenz zur Bundeswehr bis hin zu Stechschritt und Uniformschnitt sollte sie als „alleiniger Erbe der deutschen nationalen militärischen Tradition“ auftreten. Einerseits sollte sie westliche Vorhut im Falle eines Krieges mit der NATO sein (dabei ungeeignet für einen Einsatz im Innern), andererseits war sie für die Chefstrategen der Roten Armee am Ende nicht so ganz zuverlässig, ebenso wenig wie die ungarische Armee.
Fazit der Autoren: Die „WVO“ war alles andere als monolithisch. Es ist frappierend, wie wenig das der Westen registriert hat – ja: wie wenig der Westen davon wusste.
Abkürzungen kommen in dem Sammelband übrigens reichlich vor. Ansonsten ist er erfreulich eingängig und verständlich verfasst. Entweder haben wir es hier mit einem sorgfältigen Lektorat zu tun – oder tatsächlich einmal mit lauter Wissenschaftlern, die beim Schreiben an die interessierten Laien gedacht haben.
Rezensiert von Klaus Pokatzky
Torsten Diedrich, Winfried Heinemann und Christian F. Ostermann (Hrsg.): Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch 1955-1991
Ch. Links Verlag, Berlin 2008,
376 Seiten, 34,90 Euro
Das meint „Związek Walki Zbrojnej“, den polnischen „Bund für den bewaffneten Kampf“, die Untergrundorganisation im Zweiten Weltkrieg. Der Leser West wird auch von seinem beliebten Bild Abschied nehmen müssen: dass es sich bei der „WVO“ (der Warschauer Vertragsorganisation) um einen monolithischen Ostblock gehandelt hat – nach dem Motto, wenn der Russe auf den Tisch haut, parieren all anderen.
Gewiss: Da gibt es in den Jahren vor der Gründung des Warschauer Paktes am 14. Mai 1955 eine starke Dominanz der Sowjets etwa in der polnischen Armee. Von deren 62 Generalen im aktiven Dienst stammten 1951 48 (!) aus der Sowjetunion. Der Marschall der Sowjetunion Konstantin Konstantinowitsch Rokossowski war sogar bis 1956 polnischer Verteidigungsminister und verlangte, dass die polnischen Soldaten nur russisch mit ihm sprechen sollten.
Das war eine Seite. Die andere zeigt sich etwa im langen Prozess, der zur Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) führte, die mit der Schlussakte von Helsinki 1975 auch zur Basis für oppositionelle Bewegungen in den Staaten des Warschauer Paktes wurde.
Bevor Verhandlungen mit dem Westen für die Konferenz aufgenommen wurden, gab es heftige innerhalb des Warschauer Paktes heftige Auseinandersetzungen mit den Hardlinern aus DDR und aus Polen – die als Vorbedingung die Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik verlangten. Da konnten die Sowjets nicht mit der Faust auf den Tisch hauen.
Bevor die Außenminister der Pakt-Staaten im März 1969 den „Budapester Appell“ als Angebot an den Westen verabschiedeten, hatten die Delegationen tage- und nächtelang verhandelt: auf der einen Seite die Hardliner aus der DDR und Polen, auf der anderen Seite Rumänien, das bereits diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik unterhielt, dazwischen die Sowjets mit den Ungarn.
Mit Ausnahme der Tschechoslowakei ist jedem ehemaligen „WVO“ in dem Sammelband mindestens ein Kapitel gewidmet – sogar dem abtrünnigen Albanien. Erschienen als Band 16 in der Reihe „Militärgeschichte der DDR“ des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) der Bundeswehr, kommen die DDR und ihre Nationale Volksarmee NVA darin nicht zu kurz: Die DDR als wichtiges Uran-Reservoir für die Atomrüstung der Sowjets – und die NVA, die als eine Art Missgeburt beschrieben wird. Entstanden als „deutlichstes Symbol staatlicher Souveränität“ – auch, um die Rolle der sowjetischen Besatzungstruppen als Besatzer zu kaschieren.
In der Konkurrenz zur Bundeswehr bis hin zu Stechschritt und Uniformschnitt sollte sie als „alleiniger Erbe der deutschen nationalen militärischen Tradition“ auftreten. Einerseits sollte sie westliche Vorhut im Falle eines Krieges mit der NATO sein (dabei ungeeignet für einen Einsatz im Innern), andererseits war sie für die Chefstrategen der Roten Armee am Ende nicht so ganz zuverlässig, ebenso wenig wie die ungarische Armee.
Fazit der Autoren: Die „WVO“ war alles andere als monolithisch. Es ist frappierend, wie wenig das der Westen registriert hat – ja: wie wenig der Westen davon wusste.
Abkürzungen kommen in dem Sammelband übrigens reichlich vor. Ansonsten ist er erfreulich eingängig und verständlich verfasst. Entweder haben wir es hier mit einem sorgfältigen Lektorat zu tun – oder tatsächlich einmal mit lauter Wissenschaftlern, die beim Schreiben an die interessierten Laien gedacht haben.
Rezensiert von Klaus Pokatzky
Torsten Diedrich, Winfried Heinemann und Christian F. Ostermann (Hrsg.): Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch 1955-1991
Ch. Links Verlag, Berlin 2008,
376 Seiten, 34,90 Euro