"Kein Mensch weiß genau, wann aus schwarzem Geld weißes wird"

John le Carré im Gespräch mit Denis Scheck · 29.10.2010
Der Schriftsteller John le Carré erzählt von den Recherchen zu seinem neuen Buch "Verräter wie wir" und spricht darüber, wie der Bau der Berliner Mauer die Entstehung seines preisgekrönten Romans "Der Spion, der aus der Kälte kam" beeinflusst hat.
Frank Meyer: Lüge, Verrat, mit Doppeldeutigkeiten leben, das sind die großen Themen von John le Carré. So auch in seinem neuen Roman "Verräter wie wir". Das Buch erzählt von einem ausstiegswilligen russischen Geldwäscher und von der Bedenkenlosigkeit, mit der zum Beispiel in Großbritannien Millionen- und Millardenbeträge aus Russland in Empfang genommen werden, ohne zu fragen aus welchen Quellen dieses Geld stammt.

Mein Kollege Denis Scheck hat mit John le Carré gesprochen und ihn zuerst gefragt: Warum wenden wir in den westlichen Staaten denn den Blick ab, warum interessieren wir uns nicht dafür, woher diese unglaublichen russischen Reichtümer stammen?

John le Carré: Es gibt viele Gründe. Wie Balzac sagte: Hinter jedem großen Vermögen liegt ein großes Verbrechen. Hinter russischen Vermögen zurzeit liegen eine ganze Menge Verbrechen. Also die Gründe sind erst mal: Kein Mensch auf Erden weiß genau, wann schwarzes Geld weiß wird, in welchem Moment. Ich bin zum Beispiel Pablo Escobar, ...

Denis Scheck: Der kolumbianische Drogenboss!

Le Carré: ..., der ehemalige Pablo Escobar, ein großer Drogenkönig, Drogenbaron. Ich baue - und das ist jetzt Tatsache - in Panama City eine Menge Hotels. Die hießen damals Cocaine Hotels, ganz weiße schöne Gebäude, mitten in Panama City. Sie und ich, wir riefen an und fragten, ob wir da übernachten können. - Leider voll, völlig voll, alles besetzt. Auch im Restaurant alles besetzt. Casino? - Nein, nein, nein, heute Abend großes Fest, niemand kommt. - Jede Woche dann, obwohl das Hotel völlig leer blieb, ging ein Securicor-Mann, oder wie es hieß, auf die Bank und hat eine Menge Bargeld dann an die Bank gegeben, theoretisch Geld, was im Hotel verdient wurde, also im leeren, ganz leeren Hotel.

Nach ein paar Jahren kommt ein sehr respektabler Hotelier und sagt, ich möchte das Hotel kaufen. Gut sagen sie, hier sind die Zahlen von der Bank.

Scheck: Die Umsätze, was generiert wird.

Le Carré: Ja, fantastischer Umsatz. Hier ist das Hotel, unangetastet, und der Hotelier kauft das. Also gut. In dem Fall sind wir von schwarzem Hotel bis zum weißen Hotel.

Scheck: Das ist ein ideales Rezept für die Geldwäsche, die wir hier gerade unterbreiten. Ich glaube, das funktioniert auch heute noch, vielleicht am Bodensee.

Le Carré: Ja, ja, und auch an der türkischen Südküste. Ich habe das gesehen, diese Dörfer, diese kleinen weißen Dörfer. Wer lebt da? - Meistens niemand, und der Grund ist klar.
Und dann zweitens will jede Bank eine Menge Geld. Ich bin etliche Male zu Großbankiers gegangen und habe gesagt, ich bin Herr Rolov, ich komme aus Moskau, hier sind meine References, mein Gutachten aus Moskau von einem Großbankier, von einem Advokaten, sehr berühmt, von einem großen Politiker. Alle sagen, ich bin ein respektabler Mensch, und ich möchte sagen wir 500 Millionen Dollar bei ihrer Bank.

Scheck: Ein schöner Tag für einen britischen Banker.

Le Carré: Ein schöner Tag für jeden Bankier. - Mehr als, ich glaube, dreimal habe ich dieselbe Antwort bekommen von den Bankiers: "Well, we are not policemen, wir sind keine Polizisten." - und große Banken haben große Bußen bezahlt, die sind fast vergessen. Aber Royal Bank of Scotland 300 Millionen hier für Geldwäscherei, eine Schweizer Bank, ich glaube Schweizer Kreditbank, 500 Millionen. Diese kleinen Summen als Buße, die werden so unter den Teppich gekehrt.

Scheck: Sie haben ja Kinder?

Le Carré: Ja.

Scheck: Und diese Kinder haben wiederum Kinder. Würden Sie Ihren Enkeln erlauben, heute ins Bankwesen zu gehen, oder würden Sie sagen, lern du lieber mal Taschendieb, werde was Vernünftiges?

Le Carré: Als guter Vater bin ich überzeugt, dass wenn meine Kinder ins Bankwesen gehen würden, würden sie das Bankwesen verbessern.

Scheck: Gut, das ist eine diplomatische Antwort. - Apropos, Sie haben ja als Diplomat zu schreiben begonnen, und zwar in den 60er-Jahren. Ihr berühmtester Roman, "Der Spion, der aus der Kälte kam", entstand während einiger Wochen in Königswinter bei Bonn.

Le Carré: Ganz richtig, ja. Ich war, glaube ich, am Vorabend in Nürnberg. Damals war ich Berichterstatter für Innenpolitik in Deutschland, einer der vielen, und fuhr nach Nürnberg, und Willy Brandt hat dann seiner Partei eine große Rede gehalten. Er sagte damals, soviel ich mich erinnere, wir haben so ein Fingerspitzengefühl, dass bald in Berlin etwas losgeht. Ich fuhr dann nach Bonn zurück. Ich hatte auch mit Kollegen von Willy Brandt gesprochen und dieses Gerücht schien mir, so tief eingegraben zu sein. Mitten in der Nacht kam ich an der Botschaft vorbei und dachte, ich würde meinen Bericht dann schreiben, ehe ich ins Bett ging. Alle Lichter brannten und Leute liefen in den Korridoren, und da kam die Nachricht rein, dass Stacheldraht an der Friedrichstraße aufgebaut wurde.

Scheck: Die Mauer.

Le Carré: Ja, Anfang der Mauer. - Ich fuhr dann anschließend nach Berlin und war Zeuge von der Errichtung der Mauer, also die Anfangsstadien.

Mein persönliches Leben war kompliziert und unglücklich und irgendwie war ich in meinem Beruf unglücklich auch, und irgendwie der Zusammenhang von diesem Anblick von den Barrikaden des neuen Krieges in den Trümmern des heißen Krieges, des alten Krieges, hat mich irgendwie so angeekelt. Ich fuhr dann nach Bonn zurück - ich lebte in Königswinter -, es war im Sommer. Ich stand dann morgens so drei, vier Uhr auf und fing an zu schreiben, ja, das Buch. Es hat so fünf, sechs Wochen in Anspruch genommen und das war das Buch.

Scheck: Handschriftlich. - Jetzt ist ja Verrat bis heute, bis zu Ihrem 22. Roman, Ihr Lebensthema geblieben. Aber in einer gewissen Weise, wenn ich es sophistisch ausdrücken darf, steht ja ein Verrat ganz früh im Leben des Engländers John le Carré, indem Sie sich überhaupt entschieden haben, Deutsch zu lernen.

Le Carré: Ja. Ich bin hier nach Bern ...

Scheck: Das ist die Sprache des Feindes!

Le Carré: Eben weil es die Sprache des Feindes war, zum Teil. Ich war damals 16 Jahre alt und war seit meinem fünften Lebensjahr in Internaten und Institutionen. Meine Mutter war verschwunden und mein Vater war ein komplizierter Mann, manchmal im Gefängnis, manchmal nicht. Dann kam ich praktisch als Flüchtling hierher und wollte Deutsch lernen. Ich hatte einen sehr guten Deutschlehrer in meiner Schule in England und ich dachte, als guter rebellischer Halbstarker, wenn die ganze Welt die Deutschen hassten, müssen sie auch anständig sein, irgendwo. Und dann habe ich mich, wahrscheinlich sehr naive und einfache Art, in deutsche Kultur eingetieft. Man könnte fast mit dem Nibelungenlied von Wolfram von Eschenbach auch beginnen. Die haben auf mich einen großen Eindruck gemacht in meinem Roman. Wenn es eine Formel gibt: "Take somebody, who knows nothing", und dann: "teach him something." Sogar im "Spion, der aus der Kälte kam: Er lernt am Ende, auch wenn es ihn das Leben kostet, die Menschlichkeit. Ich erinnere mich, ich glaube, das war in Parzival von Wolfram von Eschenbach. Es gibt einen Augenblick, wo er diesen alten Mann Anfortas wiedertrifft und er sieht ihn, das ist das zweite oder dritte Mal, dass er ihn sieht, und er hat inzwischen furchtbare Erfahrungen gemacht, Parzival, und er sagt, wie ist es mit dir, wie geht es dir, und dazu Anfortas, jetzt lernst du die Menschlichkeit, das ist das erste Mal sozusagen, dass du nach meiner Gesundheit gefragt hast.

Scheck: John le Carré, vielen Dank.