"Kein lauter Mensch - ein leiser Clown"

Claudia Knauss im Gespräch mit Susanne Burg · 03.08.2012
Wer kennt sie nicht, die Knollennasen-Figuren des argentinischen Cartoonisten Guillermo Mordillo? Über 40 Jahre ist es her, dass Mordillo seine ersten Zeichnungen veröffentlicht hat, doch noch heute hat der "leise Clown" Fans in aller Welt - sagt seine deutsche Verlegerin Claudia Knauss.
Kurzporträt Mordillo im "Radiofeuilleton" von Sebastian Schneller

Susanne Burg: Sebastian Schneller über den Witz ohne Worte des Zeichners Guillermo Modillo. Morgen feiert er seinen 80. Geburtstag. Und im Studio in München begrüße ich jetzt Mordillos deutsche Verlegerin, Claudia Knauss. Sie begleitet Mordillo seit 40 Jahren, denn so lange bringt der Heye-Verlag schon die Werke von Mordillo heraus. Guten Tag, Frau Knauss.

Claudia Knauss: Guten Tag.

Burg: Journalisten, die Guillermo Mordillo getroffen haben, die berichten gerne mal, dass sie überrascht waren, als sie ihn sahen. Der Kollege von der "Süddeutschen Zeitung" schrieb anlässlich eines Besuches von Mordillo in München: "Man hätte ihn für einen gewöhnlichen deutschen Wanderrentner halten können." Können Sie sich noch an Ihr erstes Treffen mit Mordillo erinnern? Wie haben Sie ihn wahrgenommen?

Knauss: Ja, also, natürlich auf keinen Fall als Rentner, weil es ist wirklich auch 40 Jahre her. Er war 1972 bei Herrn Heye, dem Entdecker und Verleger, zu Besuch. Und ich wurde damals schon immer dazu geholt, weil ich eben Französisch sehr gut spreche und Übersetzungen machte. Und er war mit seiner Frau da, jung verheiratet. Und sie war mit der Tochter, mit dem zweiten Kind, schwanger. Also habe ich einen sehr jungen Mann erlebt. Sehr schüchtern, sehr scheu. Also kein lauter Mensch, sodass man da vielleicht das als etwas unscheinbar wahrnimmt, was er aber eigentlich nicht ist.

Burg: Mordillo hat jetzt, als er schon älter war, in einem Interview gesagt: Nachdem Gott die Welt erschaffen hatte, schuf er Mann und Frau, um das Ganze vor dem Untergang zu bewahren, erfand er den Humor. Konnten Sie das damals in ihm auch schon feststellen, diesen Humor trotz aller Schüchternheit?

Knauss: Ja, das schon. Es kam aber, das muss man wirklich dazu sagen, immer erst durch seine Zeichnungen heraus. Also, er ist kein grundsätzlich sehr lustiger Mensch. Wenn man jetzt meint, dass man mit ihm spricht und er prustet gleich los und erzählt einen lustigen Witz nach dem anderen, sondern er ist ein sehr höflicher, zurückhaltender Mensch, der eben, wenn er zeichnet an seinem Zeichentisch, den Humor erlebt, von dem er dann auch kein direktes Feedback von den Leuten hat, weil sie gar nicht da sind. Deswegen nennt er sich auch immer den leisen Clown.

Burg: 1976, da waren im Rest der Welt schon viele Werke erschienen, aber 1976 ist das erste Sammelwerk von Mordillo bei Heye erschienen in Deutschland. Was war denn damals so neu und anders an diesen Geschichten?

Knauss: Dass er in einer Seite eine ganze Geschichte eben erzählt. Dass es immer wunderschöne Bildergeschichten sind, die alle Lebensbereiche abgedeckt haben, die man sich vorstellen kann, und nicht nur die Lebensbereiche der Menschen, sondern auch die der Tiere. Und dazu immer die Absurditäten des Lebens irgendwo aufgegriffen hat und sie nonkonformistisch gelöst hat, eben meistens so, dass man lächeln musste oder lachen und sagen, ja, der Humor hilft einem dann wirklich über eine an sich unlustige Situation drüber hinweg und macht sie lustig.

Burg: Wenn wir mal ein Beispiel noch mal nehmen, man sieht in einem Cartoon ein Männchen an einem Strick ziehen. Daraufhin ergießt sich ein Strahl Wasser über dieses Männchen. Er holt sich einen Regenschirm, zieht noch mal am Strick und daraufhin verschwindet er dann in einem Loch. Ein typischer Mordillo. Können Sie anhand dieses Beispiels vielleicht noch mal erklären, wie seine Cartoons funktionieren, was sie so auszeichnet?

Knauss: Dass sie eigentlich immer die unmöglichsten Situationen zeigen, die den Menschen treffen, er ist ihm ausgeliefert. Er hat eigentlich nicht eine Chance, und er reagiert dann doch. Und er reagiert eben nonkonformistisch, etwas anders, als man es sich überlegt. Er ist immer sehr ideenreich und amüsiert dadurch den Betrachter mit der Lösung des Problems, wie er es gesehen hat, in dem Fall, dass er sich eben einen Regenschirm holt.

Burg: Das Komplizierte wird bei ihm einfach, das Einfache kompliziert. Das war jüngst über seine Arbeit zu lesen. Wie wichtig ist denn Reduktion bei ihm als Stilmittel?

Knauss: Sehr wichtig. Er nimmt es sehr wichtig. Er sagt, er sammelt ja lange, lange Zeit permanent Ideen. Die er nicht unbedingt sofort umsetzt, sondern mit manchen Ideen geht er bis zu zehn Jahren schwanger, bis er weiß, wie setze ich sie jetzt um. So minimalistisch, dass es eben keiner Worte bedarf. Und möglichst auch in einem Blatt-Cartoon, also jetzt nicht in verschiedenen Sequenzen zu erzählen ist.

Burg: Zu Gast im Deutschlandradio Kultur ist die Verlegerin Claudia Knauss. In ihrem Verlag, dem Heye-Verlag, erscheinen seit 40 Jahren die Cartoons von Mordillo. Und wir würdigen den Zeichner anlässlich seines morgigen 80. Geburtstages. Frau Knauss, haben Sie denn Mordillo selber mal beim Zeichnen beobachten können? Wie arbeitet er?

Knauss: Ja, das habe ich natürlich. Er war einmal bei ihm zu Hause auch, oder auch, er hat uns ja öfters im Verlag besucht. Wir haben dann teilweise ganz konkret an Dingen gearbeitet, wo er uns etwas zugeliefert hat. Wenn wir sozusagen – wir machen jedes Jahr, muss man sich vorstellen, in diesen 40 Jahren einen neuen Kalender, der wieder zwölf neue Motive hat. Dann hat er den uns die Motive gebracht, wir haben dann vielleicht noch Vignetten oder etwas dazu haben wollen. Dann setzt er sich hin, braucht Ruhe, und mit einem Bleistift fängt er an, die Ideen zu skizzieren auf Transparentpapier. Und hat dann, jetzt in neueren Zeiten, sehr viel auch mit dem Fotokopierer gearbeitet, das heißt, er hat es sich fotokopiert, hat es sich angeschaut, ob es ihm gefällt, macht es wieder – es ist ein langer Prozess. Er hat mir mal an irgendeiner Stelle gesagt, dass er sich selbst wie ein Komponist fühlt, der um die Noten kämpfen muss und um das Endergebnis. Und dass das keine einfachen Strichzeichnungen sind, die so schnell aus unserem rechten Handgelenk kommen. Was immer dazu führt, dass er auch gar nicht gerne öffentlich malt, weil er sagt, ich brauche dazu mein Umfeld, meine Ruhe und die Konzentration auf das, was ich tue.

Burg: Die Knollennasen hat Mordillo ja wohl geschaffen, weil die Figuren anfangs für Grußkarten gedacht waren und sie deswegen nicht zu weiblich oder männlich wirken sollten. Also eigentlich waren sie geschlechtslos. In den Cartoons geht es aber häufig darum, dass Männchen hinter Frauen herstreifen. Wie viel Sex-Appeal haben denn die Figuren, und wie wichtig ist die Erotik in Mordillos Geschichten?

Knauss: Die Erotik spielt für ihn eine große Rolle in den Dingen, genauso wie sein Humor, weil sie eben wie das Salz in der Suppe im täglichen Leben sind. Und die kleinen charmanten erotischen Dinge uns ja auf eine sehr nette Weise begleiten und das Leben vielleicht auch liebenswerter oder lebenswerter machen.

Burg: Sie sagten eben schon, so kleine, charmante Geschichten. Es sind ja auch immer so die kleinen Unglücke im Leben, die Mordillo beschreibt. Nun sind in den letzten 40 Jahren einige Entwicklungen über die Cartoon-Welt hinweggefegt, die Geschichten sind sehr viel schneller, komplexer geworden. Wirken diese Mordillo-Geschichten heute dann nicht doch auch ein bisschen harmlos und dann auch gestrig?

Knauss: Das ist eine Frage, die man sich natürlich stellt, wenn man sie sieht und weiß, dass die teilweise ja schon 40 Jahre alt sind. Auf der anderen Seite haben Zeichnungen oder Cartoons wie die von Mordillo so einen grundsätzlich richtigen Gehalt, dass sie ihre Aktualität nicht verlieren werden. Das ist genauso wie Loriots Zeichnungen hier in Deutschland ja bestens bekannt sind, die auch mindestens 20, 30 Jahre alt waren und immer noch bei uns auch in Kalendern verlegt werden und hervorragend von den Menschen angenommen werden, weil sie so reduziert sind. Und nun stellen Sie sich vor, was wir Verleger damit machen, sind Kalenderblätter, Bilder, die an der Wand hängen, Sie ein Jahr lang über begleiten und Ihnen damit eigentlich immer beim Hochheben des Kopfes und mit dem Blick, der darauf fällt, ein meistens charmantes Bild gibt, das Ihnen Spaß bereitet. Und je schnelllebiger die Welt wird, je kurzgetakteter, desto mehr, habe ich im Moment das Gefühl, geht es fast wieder auf die Reduktion, die Einfachheit und die Klarheit solcher Bilder zurück.

Burg: Das sagt Claudia Knauss, sie ist Gesellschafterin beim Heye-Verlag. Hier erscheint das Werk des Cartoonisten Guillermo Mordillo seit 40 Jahren. Mordillo feiert morgen seinen 80. Geburtstag. Vielen Dank fürs Gespräch, Frau Knauss!

Knauss: Ich bedanke mich auch, vielen Dank!

Burg: Und abgesehen von den zeitlosen Mordillo-Büchern gibt es auch eine zeitlich gebundene Ausstellung, sie heißt "Mordillo. 4 mal 20 Jahre jung" und ist noch bis zum 5. August in der Heitsch-Galerie in München zu sehen.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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"Hyperrealistischer Surrealismus" - Der Zeichner Guillermo Mordillo


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Website von Guillermo Mordillo
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