Kein Grund zum Schönreden

Von Heike Schmoll · 15.04.2007
Deutschland hat zu wenig Abiturienten, zu wenig Studenten und zu wenig weibliche Professoren. So schallt es spätestens nach jeder PISA-Studie durchs Land. Alle starren gebannt auf die Vergleichszahlen des europäischen Auslands und berücksichtigen lieber nicht, dass sich Äpfel und Birnen nicht vergleichen lassen.
Wer hierzulande im dualen System ausgebildet wird, erscheint in den Statistiken der übrigen Länder als Student im tertiären Sektor und erhöht den Akademikeranteil ganz wesentlich. Indessen weiß an deutschen Hochschulen niemand, wie die erwünschten Studenten – bis zum Jahr 2020 sollen es 2,7 Millionen statt bisher 2 Millionen sein, überhaupt angemessen studieren sollen. Denn das Versprechen, mit den Bachelor- und Masterstudiengängen ein besseres Lehrangebot zu schaffen, ist bis heute nicht eingelöst worden.

Niemand bezweifelt, dass das Bachelor- und Mastersystem in den angelsächsischen Ländern durch das Tutorenwesen beträchtliche Möglichkeiten birgt. Hierzulande wurde der akademische Mittelbau jedoch schon in den siebziger Jahren wegrationalisiert, so dass man nun ernüchtert feststellen muss, dass im Rahmen des Bologna-Prozesses vor allem die Schwächen des angelsächsischen Systems, nicht aber seine Stärken kopiert wurden.

Die Öffnung der Universitäten hat weithin dazu geführt, dass sie zu schlecht ausgestatteten, überlaufenen und bürokratisierten Monstren werden mussten. Sie sind durch Unterfinanzierung und schlichte Überbelastung nahezu gelähmt. Allein die Exzellenzinitiative und die mit dem Elite-Status verbundenen Finanzmittel haben die deutsche Wissenschaftslandschaft aufgerüttelt und an vielen Orten Aufbruchstimmung verbreitet. Doch was geschieht, wenn hochbegabte Wissenschaftler zwei Semester ihres Forscherlebens damit verbracht haben, einen Antrag für ein Exzellenzcluster zu formulieren, der hinterher abgelehnt wurde, wenn also Forscher mit Rang und Namen die Exzellenz im Antragschreiben nicht vorweisen konnten? Dann ist das nichts anderes als verantwortungslose Ressourcenverschwendung. Was hätten die hochdotierten Professoren in dieser Zeit besseres tun können!

Immerhin ist in der Zeit ihrer Beurlaubung möglicherweise ein Kollege in die angenehme Lage gekommen, sie auf ihrem Lehrstuhl zu vertreten – und solche Hochschullehrer, die auf Vertretungen angewiesen sind, gibt es inzwischen mehr als genug. Allein in Berlin lehren mehr als 700 Privatdozenten. Ihre Arbeit wird weder gewürdigt noch ausreichend bezahlt. Eine Familie lässt sich von solch einem Hungerlohn nicht ernähren. Aber die Privatdozenten halten sich mit entwürdigenden Lehrvertretungen und Lehraufträgen über Wasser, nur um ihre venia legendi, die Lehrerlaubnis, nicht zu verlieren. Gebraucht würden sie an den Universitäten dringend.

Gerade in den Geisteswissenschaften werden ganze Forschungszweige wegrationalisiert, weil sie nicht mehr der Logik des modernen Wissenschaftsmanagements entsprechen. Wenn eine Fakultät nicht hohe Drittmitteleinwerbungen, große Absolventenzahlen und Doktorandenzahlen vorweisen kann, wird sie systematisch von den internen Mittelzuweisungen abgeschnitten, schließlich wegen mangelnder Leistungsfähigkeit verkleinert und um ihre Überlebensmöglichkeit gebracht. Auf diese Weise erweisen sich ganze Fakultäten als nicht mehr bestandsfähig. Paradoxerweise sind es oft die Wissenschaftszweige, die bei weitem die geringsten Mittel für sich beanspruchen.

Wie sollte ein Professor für Klassische Philologie von Pharmariesen Drittmittel einwerben? Ihm genügt im Zweifelsfalle sein eigener Kopf – und genau das wird ihm zum Verhängnis.

Die Juniorprofessur sollte eine Möglichkeit sein, das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Professor und Doktoranden zu entschärfen und einen anderen Zugang als die Habilitation zur Professur schaffen. Inzwischen hat sich nicht nur gezeigt, dass die Juniorprofessur die Zeit bis zur Übernahme einer Professur eher verlängert als verkürzt. Vielmehr stehen die Juniorprofessoren, die nicht übernommen werden, nach dem Ende ihres Vertrags ohne Habilitation auf der Straße. Der Wissenschaftsrat hat vorgeschlagen, eine Lehrprofessur zu schaffen, die dem wissenschaftlichen Nachwuchs klare Berufsperspektiven eröffnet und die Lehre verbessern soll. Nach den Vorstellungen des Wissenschaftsrats könnte es eines Tages 20 Prozent für die Lehre zuständige geben und 80 Prozent, die weiterhin Forschung und Lehre miteinander verbinden. In der Praxis ist das mehr als unrealistisch. Wer möchte schon gern zum Professor der zweiten Klasse mit einem höheren Lehrdeputat werden? Wer könnte als engagierter Wissenschaftler auf den Zusammenhang zwischen Forschung und Lehre verzichten? Universitäre Lehre ist ohne die ständige Aktualisierung durch die eigene Forschung völlig undenkbar. Die Lehrprofessoren wären auf lange Sicht nichts anderes als Oberstudienräte für Hochschulen.

Es wäre schon denkbar, dass besonders begabte Forscher für eine Zeit oder sogar auf Dauer von ihren Verpflichtungen in Lehre und vor allem Selbstverwaltung entbunden werden. Denn nachdenklich muss es einen schon stimmen, wenn die besten Makroökonomen Deutschland verlassen und in die USA gehen. Dort müssen sie sich nämlich nicht in ein so starres Lehrkorsett wie hierzulande zwängen lassen. Bevor aber ein neuer Professorentyp geschaffen wird, sollten die vielen Privatdozenten in ein akzeptables Beschäftigungsverhältnis gebracht werden. Darüber hinaus sind weitere Stellen unterhalb der Professur mit einer Lehrverpflichtung von bis zu 14 Stunden zu erwägen. Aber eine Professorenstelle können sie nicht ersetzen. Eines steht allerdings fest: Wenn es nicht mindestens 1500 neue Professorenstellen gibt, lässt sich der Studentenandrang in den kommenden Jahren nicht bewältigen, dann wird das Bachelor- Master-Modell unweigerlich scheitern, weil es zum Sparmodell verkommen musste.

Heike Schmoll, geboren 1962, hat Germanistik und Evangelische Theologie studiert. Anschließend arbeitete sie beim Südwest-Fernsehen in Baden-Baden. Seit 1989 Redakteurin bei der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Dort ist sie zuständig für Berichterstattung über die Evangelische Kirche und die Bildungspolitik. Heike Schmoll wurde mit dem "Deutschen Sprachpreis" 2005 ausgezeichnet.