Kein Geld für Windeln oder Nachhilfe

Von Philipp Schnee · 09.02.2010
Geld vom Staat bekommen bedürftige Kinder für Tabak und Alkohol - nicht aber für die Musikstunde oder den Nachhilfeunterricht – das klingt absurd, entspricht aber heute der Realität von Hartz IV, offiziell: Arbeitslosengeld II.
Denn Kinder werden vom Gesetzgeber wie kleine Erwachsene behandelt. - Sie erhalten einfach prozentual weniger Geld als ihre Eltern. Die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen werden bei der Ermittlung des Bedarfs bisher nicht berücksichtigt. Und bei der Festlegung der 359 Euro plus Wohn- und Heizkosten, die ein erwachsener Hartz-IV- Empfänger erhält, wurden eben Tabak und Alkohol einbezogen – Windeln oder Bildungsausgaben nicht.

Gegen diese Art der Berechnung geklagt haben drei Familien aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern. Sie finden, dass der aktuelle Regelsatz zu gering ausfällt – er beträgt –, je nach Lebensalter, – 215 bis 287 Euro pro Kind. Das Landessozialgericht Hessen und das Bundessozialgericht sahen das ähnlich und verwiesen die Fälle ans Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe.

In der mündlichen Verhandlung im Oktober stellten die Verfassungsrichter klar, dass nicht allein die Hartz-IV-Sätze für Kinder höchstrichterlich überprüft werden sollen.

Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier kündigte vielmehr an, dass das Gericht umfassend klären werde, ob die gesamten Regelsätze des Arbeitslosengelds II mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Menschenwürde, dem Sozialstaatsprinzip sowie dem Gleichheitsgrundsatz vereinbar sind. Höchstrichterlich soll also geklärt werden: Wovon kann ein Mensch würdig und angemessen in unserer Gesellschaft leben? Und: Wie kann das berechnet werden?

Die kritischen Fragen der Richter an die Vertreter der Bundesregierung bei der Verhandlung im Oktober lassen erwarten, dass Karlsruhe insbesondere an der bisherigen Berechnungsmethode der Regelsätze Korrekturbedarf sieht. So wollte Papier wissen, ob man vielleicht bei den einzelnen Posten wie Kleidung oder Verkehr die Zahlen so gewählt habe, dass der von vornherein politisch gewünschte Betrag herausgekommen sei.

Sollte heute das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung eine Neuberechnung der Regelsätze aufgeben, wird es wohl noch eine Weile dauern, bis diese bei den derzeit rund sieben Millionen Hartz-IV-Empfängern ankommt. Im Arbeitsministerium hieß es vorsorglich, realistischerweise werde es vor 2012 keine neuen Regelsätze geben.