Kein Frieden in Elfenbeinküste

Von Jantje Hannover · 18.06.2011
Vor zwei Monaten endete der Machtkonflikt zwischen dem alten und dem neuen Präsidenten der Elfenbeinküste. Aber laut Menschenrechtlern wird noch immer gemordet und gefoltert. Zehntausende Menschen flüchteten ins angrenzende Liberia.
"Sie haben nachts an unsere Türen geklopft, einige von uns wurden mit Macheten niedergemetzelt. Sie haben überall herumgeschossen. Wir sind nur noch gerannt, konnten nichts mitnehmen, außer unseren Kindern. So sind wir hierher gekommen."

Mit schreckgeweiteten Augen berichtet eine junge Frau aus der Elfenbeinküste von der Nacht, als ihr Dorf im Westen des Landes überfallen wurde. Das war kurz nach der Festnahme des ehemaligen Machthabers Laurent Gbagbo im April. Jetzt steht sie auf dem Dorfplatz von Tempo, dem ersten Dorf gleich hinter dem Grenzübergang nach Liberia. Um sie herum drängen sich Frauen in bunten afrikanischen Bubu-Kleidern, ein paar Männer mit Jeans und T-Shirt, Kinder spielen im Hintergrund.

Die Umstehenden nicken zustimmend, sie stammen aus demselben Dorf und haben Schlimmes erlebt, einige gestikulieren aufgeregt. Wer die Angreifer waren, kann hier niemand sagen. Sie verdächtigen allerdings die Milizen Alassane Ouattaras. Aber das sagen sie nur hinter vorgehaltener Hand. Weil sie zur Ethnie der Guéré zählen, gelten sie als Anhänger Gbagbos. Das hat vielen von ihnen das Leben gekostet, berichtet diese Frau:

"Ich habe alles zurückgelassen, ich wollte nur meine Kinder retten. Mit der Hilfe Gottes haben wir es geschafft, die Grenze zu überqueren. Ich bin den Menschen in Tempo sehr dankbar. Gott gab mir das Leben, und mit seiner Hilfe haben wir auch jetzt überlebt."

Die Menschen in Tempo haben die Flüchtlinge bereitwillig aufgenommen, aber sie sind überfordert. Plötzlich leben hier doppelt so viele Menschen wie zuvor. Die Vorräte der Kleinbauern sind aufgegessen, sogar das Saatgut.

In ihrer Heimat hatten die Ivorer genug zu essen: Maniok, Reis, Bananen und Kakao haben sie selber angebaut. Bis mit den Wahlen der schwelende Konflikt zwischen Norden und Süden der Elfenbeinküste wieder aufgeflammt ist. Die burkinisch-stämmigen, zumeist muslimischen Menschen an der Grenze zu Burkina Faso unterstützen Alassane Ouattara, die Ethnien im Süden zählen zu den Anhängern Gbagbos.

Doch obwohl der Konflikt ums Präsidentenamt offiziell beendet ist, strömen immer noch Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste nach Liberia, insgesamt mehr als 160.000. Sie fühlen sich in ihrem Land nicht mehr sicher. Der plötzliche Ansturm hat die Hilfsorganisationen kalt erwischt, erklärt Thomas ten Boer von der Welthungerhilfe:

"Wir Helfer sind alle überfordert! Wir machen so schnell, wie wir können, jeder braucht hier Essen, Unterkunft und Medikamente."

Wer es schafft, macht sich auf den fast 50 Kilometer langen Marsch nach Zia-Town. Zusammen mit anderen internationalen Hilfsorganisationen, darunter auch die Caritas, baut hier die Deutsche Welthungerhilfe ein großes Flüchtlingslager auf.

Im Dschungel von Zia-Town dröhnt die Motorsäge. Demnächst sollen hier bis zu 10.000 Menschen wohnen. Damit mehr Zelte aufgebaut werden können, muss zuerst der Dschungel gerodet werden.

Viele Flüchtlinge arbeiten mit: Sie schlagen mit Macheten die Büsche weg, tragen meterhohe Termitenhügel ab, planieren den welligen Boden. Dafür bekommen sie vier Dollar am Tag, womit sie ihre knapp bemessenen Essensrationen aufbessern können. Die Hilfsorganisationen sehen sich enormen logistischen Problemen gegenüber. Denn die Dschungelpisten um Zia-Town sind für große LKW, die Essen und Baumaterial heranschaffen, kaum befahrbar.

Im Flüchtlingslager wohnt auch der Priester Tonè Tahi Sévérin. Er weiß, dass die Religion hier vielen Menschen einen Halt gibt:

"Es ist nicht Gottes Schuld, dass ich hier bin, im Gegenteil, er hat mich beschützt. Wenn er mich verlassen hätte im Krieg, wäre ich jetzt vielleicht tot, wie viele andere. Das einzige was ich geben kann, ist mich zu bedanken."

Tagelang ist Tonè Tahi Sévérin morgens von Zelt zu Zelt gewandert, hat die Leute eingeladen, gemeinsam mit ihm zu beten. Obwohl er erst 25 Jahre alt ist und eher wie ein Schuljunge aussieht, konnte er das Vertrauen der Lagerinsassen gewinnen. Jetzt predigt er täglich im Empfangszelt des Flüchtlingslagers, in Jeans, T-Shirt und Plastiklatschen. Mit ein paar Kerzen verwandelt sich der Tisch, auf dem sonst die Mappen für die Registrierung der Neuankömmlinge liegen, für eine Stunde am Tag zum Altar. Kutte und Sakramente musste er zurücklassen, als seine Stadt überfallen wurde, erzählt der junge Gottesdiener:

"Wir können hier auch ohne diese Dinge beten. Der Glaube hilft den Menschen. Ich zum Beispiel stamme aus einer Familie von Maskenträgern, also meine Eltern haben an Geister, Zauber und geheime Kräfte geglaubt. Wir haben nicht gebetet, wir waren unglücklich und arm. Bis ich zur Kirche gegangen bin. Ich habe mich Gott zugewandt, denn ich wollte erlöst werden. Ich konnte dann eine Schule besuchen und nun bin ich Pastor."

Jetzt möchte Tonè Tahi Sévérin etwas weitergeben. Seine Gottesdienste sind gut besucht, etwa 50 Menschen drängen sich dann unter der weißen Plane des Empfangszeltes. Christen und Muslime beten hier gemeinsam. Nach den traumatischen Erfahrungen der Flucht brauchen sie alle Trost und Zusprache. Auch der Arzt Bahibo Blackson Stephane kommt, sooft er kann:

"Ob du Muslim bist, Christ oder Buddhist, wir beten einen einzigen Gott an. Ihr seid Weiße, aber wenn man euch verletzt, fließt dasselbe Blut, es ist rot. Alle Menschen sind eins, bloß wir wollen das nicht verstehen. Gott scheint Afrika verlassen zu haben, denn wir bekämpfen uns und bringen uns um, wie gerade in der Elfenbeinküste. Dabei sind wir doch alle Brüder und haben nur einen einzigen Gott. Ich fordere alle auf, ob Christen oder Muslime, ob schwarz oder weiß, in Harmonie zu leben und zu arbeiten."
Seinen Beitrag leisten so gut man kann, das ist im Flüchtlingslager das Gebot der Stunde. Denn nur wenn alle zusammenhalten, kann das enge Zusammenleben funktionieren. Nach und nach wächst ein Meer aus weißen Zelten in den Wald hinein, eine kleine Stadt entsteht.

Der Arzt Bahibo Blackson hält täglich Visite in den Zelten, verordnet Medikamente, soweit es welche gibt, und kümmert sich um Neuankömmlinge. Jetzt läuft er mit seinem neuen Freund, dem Priester aus Guiglo durch das Lager, beobachtet, wie alles vorangeht. Mit Hammer und Säge zimmern ein paar junge Männer hölzerne Latrinen über einer Grube im Boden zusammen.

Gerade ist ein großer Wasserkanister angekommen, bis jetzt gibt es im Lager noch keinen Brunnen. Jungen und Mädchen stehen mit ihren Eimern vor den Wasserhähnen Schlange, dann schleppen sie das klare Nass zu ihren Zelten.

Die meisten Menschen hier möchten mit Politik nichts zu tun haben, denn das bringt nur Ärger. Es kann noch Jahre dauern, bis sie zurück in ihre Heimat kehren. Auch Bahibo Blackson und der Priester wollen in Liberia bleiben, Blackson hofft, dass ihn die Hilfsorganisationen im Lager als Arzt anstellen. Bis dahin engagiert er sich für den Frieden:

"Wir ziehen hier von Zelt zu Zelt und vermitteln den Leuten, dass hier nicht mehr der Ort ist, sich zu streiten. Sondern dass sie sich versöhnen, sich gegenseitig trösten müssen. Nur dann kann der Frieden zurückkehren."
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