Keil durch die Kriegsgeschichte

Von Claudia Altmann |
Im feierlich wiedereröffneten Militärhistorischen Museum Dresden wird Kriegsgeschichte neu erzählt. Der spektakuläre gläserne Anbau des Architekten Daniel Libeskind vermittelt den Besuchern schon von außen: Hier werden Konventionen gebrochen.
Störend, wie ein Stachel schiebt sich ein stahlgrauer Keil aus dem sandfarbenen klassizistischen Bau des alten Arsenals aus dem 19. Jahrhundert. Daniel Libeskind hat eine schmerzhafte Symbiose aus Neu und Alt geschaffen. Schmerzhaft wie der Krieg. Mit der Spitze gen Himmel ragend, steht der oben transparente Neubau zugleich für Aufbruch. Schon von außen bekommt der Besucher eine Vorahnung auf das, was ihn drinnen erwartet: Ein neuer Blick auf Gewalt in einem Museum, das konventionelle Dimensionen sprengt, sagt Direktor Matthias Rogg:

"In diesem Museum greifen Architektur und Konzeption, also das, was man inhaltlich umsetzen will und Gestaltung, Hand in Hand. Der Besucher wird das Gefühl haben, dass hier alles aus einem Guss ist."

Der Keil soll die bisherige Kontinuität von Militärgeschichte durchbrechen und ist damit mehr als ein bloßer Hingucker.

Matthias Rogg: "Er steht selbst für Gewalt, er wird sozusagen zum ersten und größten Objekt des Museums, vielleicht sogar zum wichtigsten, das diese Kontinuität durchschneidet."

Eines von 10.000 Objekten im größten historischen Museum Deutschlands. Eigentlich zwei Museen: Thematische Ordnung im Libeskindschen Neubau – chronologische Darstellung vom Mittelalter bis in die Gegenwart im Altbau.

Aber es wird nicht einfach die Geschichte großer Feldherren, Kriegshelden und genialer Strategen erzählt. Hier geht es um den Menschen, den Kampf zwischen Liebe und Hass, die Ursachen der Gewalt, ihr grausames Antlitz und ihre entsetzlichen unerträglichen Folgen. Und das ungeschminkt und direkt. Zuviel für den Betrachter?

Nein, sagt der wissenschaftliche Leiter Gorch Piecken:

"Wir muten dem Besucher vielleicht viel zu. Aber wir machen es ihm auch gleichzeitig leicht. Wir halten ihm einen Spiegel vor und das ist nicht einfach, in diesen Spiegel hineinzuschauen. Wir konfrontieren ihn mit seinem eigenen Aggressionspotenzial."

Dabei zieht sich ein Gedanke wie ein roter Faden durch die Schau: Es gibt mehr als nur eine Perspektive.

Matthias Rogg: "Wir sind kein Anti-Kriegs-Museum. Wir sind auch kein Anti-Militär-Museum. Wir sind auch kein Kriegsmuseum, sondern wir sind ein militärhistorisches Museum. Und in dieser Ganzheitlichkeit hat alles dort – ohne beliebig zu sein - irgendwo seinen Platz, weil ich unterschiedliche, im Perspektivwechsel unterschiedliche Zugriffe zu dem Thema geradezu möchte."

Etwa bei der Betrachtung der 14 Meter langen V2, die sich aufrecht über zwei Stockwerke erstreckt. Zunächst technische Meisterleistung und Terrorwaffe gegen London und Antwerpen. Daneben aber das Puppenhaus eines Londoner Mädchens. Es hat das beige hellgrüne Häuschen kriegstauglich gemacht. Die Fenster mit schwarzen Vorhängen verdunkelt, Gasbettchen für die Puppenkinder und ein Anderson Shelter – ein Schutzraum – im Vorgarten.

Die dritte Geschichte betrifft die von Bomben zerstörte Stadt Dresden, denn die V2-Rakete hat zu einer Verschärfung des Luftkampfes geführt. Und schließlich Blickwinkel Nummer vier: Die vielen Zwangsarbeiter, die im thüringischen Konzentrationslager Mittelbau-Dora bei der Produktion der Waffe unter Tage umgekommen sind. An sie erinnert ein Essnapf mit drei eingeritzten Häftlingsnummern. Wenn einer gestorben war, übernahm ihn der Nächste.

Geschichte in dieser Verdichtung, das geht nur in einem solchen Haus, sagt Museumspädagogin Avgi Stilidis und ermutigt, auch auf die weniger spektakulär scheinenden Exponate zu achten. So auf ein Votiv-Bild aus der Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon.

Avgi Stilidis: "Ein Wiener Paar hat das der Mutter Maria gewidmet aus Dank dafür, dass alle drei Söhne aus der Schlacht bei Aspern lebend zurückgekommen sind. Und daneben, wenn man dann eben von diesem Gemälde wieder wegguckt, kommt man plötzlich auf dieses Gebiss. Und das sind eben sogenannte Waterloo-Zähne. Bevor künstlicher Zahnersatz erfunden worden ist, wurden Zahnprothesen aus Echtzähnen hergestellt. Und diese Zähne gab es auf den Schlachtfeldern Europas. Das ist eben ein Wirtschaftsbereich gewesen, ein Teil der Ökonomie des Krieges, Leichenfledderei. Man hat sich an den Toten, an den Sterbenden bedient, man hat sie verwertet."

Militärgeschichte wird so in ihrer ganzen Komplexität hierzulande neu erzählt, ohne Tabu. Und Gewalt rückt so nahe, dass sie erlebbar wird, und zwar mit allen Sinnen, bis hin zum Geruch des Krieges. Eine unkonventionelle Ausstellung, die einen bis zum Schluss ganz persönlich betrifft.

Kurz vor Verlassen sieht der Besucher plötzlich zwei Dutzend verschiedener Geschosse von schräg oben auf sich gerichtet. Zeitgleich blitzt eine helle Lichtquelle auf und bannt für knapp zwei Minuten den eigenen Schatten an die Wand. Parallelen zum Atombombenabwurf auf Hiroshima. Für einen Moment kommt der Lauf des eigenen Lebens zum Stillstand. Gleichgültig wird wohl niemand dieses Haus verlassen.

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