"Kavaliersdelikt auf keinen Fall"

Berthold Stoppelkamp im Gespräch mit Nana Brink |
Die Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft warnt vor schweren ökonomischen Schäden durch Industriespionage in deutschen Unternehmen. Den Firmen gehen laut Geschäftsführer Berthold Stoppelkamp jährlich 20 Milliarden Euro verloren.
Nana Brink: Der Testballon ist hochgegangen – so zumindest muss sich der Wikileaks-Gründer Julian Assange gedacht haben, der übrigens jetzt von Interpol gesucht wird, als er Anfang der Woche Enthüllungen über eine amerikanische Großbank angekündigt hat. Die Aktien einiger großer US-Geldhäuser haben dann auch schon verloren.

Die Spannung dürfte sich weiter halten, denn die Enthüllungen dürfen wir wohl, so Wikileaks, Anfang des nächsten Jahres erwarten. Welche Schäden aber lösen solche Informationen in der Wirtschaft aus, mal jenseits von Sensationsgier? Und genau darüber möchte ich jetzt sprechen mit Berthold Stoppelkamp, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft. Einen schönen guten Morgen, Herr Stoppelkamp!

Berthold Stoppelkamp: Schönen guten Morgen!

Nana Brink: Ist die deutsche Wirtschaft von solchen Veröffentlichungen à la Wikileaks bedroht?

Stoppelkamp: Sie ist schon grundsätzlich bedroht, weil man nie ausschließen kann, dass unbeabsichtigt oder durch Mitarbeiter, die strafbare Handlungen begehen, wichtige Betriebsinterna nach außen gegeben werden, sprich, dann ins Internet eingestellt werden. Auszuschließen ist das nicht.

Nana Brink: Welche Schäden befürchten Sie denn konkret? Oder andersherum gefragt: Was haben Sie für Erfahrungen in der Vergangenheit gemacht?

Stoppelkamp: Wir haben … auf Basis von wissenschaftlichen Untersuchungen wurde ermittelt, dass der jährliche Schaden durch ungewollten Informationsabfluss in der deutschen Wirtschaft bei mindestens 20 Milliarden Euro zu beziffern ist, und das Gefährdungspotenzial, sprich, der Schaden, der drohen könnte, wenn alle Informationen, die gefährdet sind, aus den Unternehmen fließen, wird auf zirka 50 Milliarden Euro beziffert.

Nana Brink: Bleiben wir mal bei diesen 20 Milliarden. Wie muss ich mir das vorstellen, was ist denn das gefährdete Material, was da weitergereicht wird? Haben Sie da ein Beispiel?

Stoppelkamp: Das gefährdete Material könnte zum Beispiel Daten über Tests eines neuen Produktes sein, wo man dann seitens der Konkurrenz darauf verweisen könnte, dass das Unternehmen Probleme wohl hat mit der Entwicklung eines neuen Produkts, und man deshalb doch lieber die Produkte der Konkurrenz kaufen sollte.

Nana Brink: Ist das ein Kavaliersdelikt, der da irgendwie passiert? Ist das so üblich? Weil 20 Milliarden sind ja nun ein erheblicher Schaden.

Stoppelkamp: Kavaliersdelikt auf keinen Fall, es handelt sich ja da um den Verrat von Geschäftsgeheimnissen, so etwas ist auch strafbewehrt, kann zur Verurteilung führen. Wir haben nur leider die Situation, dass die meisten Fälle, die erkannt werden, nicht zur Anzeige gebracht werden durch die Unternehmen, weil man durch einen öffentlichen Prozess, bezogen auf die Mitarbeiter, die das verursacht haben, einen Imageschaden vermeiden will.

Nana Brink: Was meinen Sie damit konkret?

Stoppelkamp: Ich meine konkret damit: Wenn ein Mitarbeiter unberechtigt Informationen aus der Firma nach außen gegeben hat und man diesen Mitarbeiter vor Gericht zieht, dann ist das in der Regel eine öffentliche Verhandlung mit entsprechendem Medieninteresse, und dann hat das vielfach aus Sicht des Unternehmens mehr nachteilige Folgen für das Image des Unternehmens, sprich, es würde ja klargemacht, dass Sicherheitslücken in dem Unternehmen bestehen, als wenn die Konstellation praktisch nicht in die Öffentlichkeit gerät.

Nana Brink: Was können Sie denn konkret den Firmen und Unternehmen sagen, was sollen sie tun?

Stoppelkamp: Also wir raten den Unternehmen, wenn sie das Gefühl haben, dass ungewollt Informationen abfließen, Kontakt mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz aufzunehmen beziehungsweise den Landesämtern, weil vielfach bei den Informationsabflüssen um nachrichtendienstliche Angriffe es sich handelt, und wenn es auf den ersten Blick es rein ein Angriff von einem Wettbewerber ist, sollte man sich an die Polizei wenden.

Nana Brink: Nun müssen Sie aber, um solche Sachen dingfest zu machen, auch die Mitarbeiter in irgendeiner Art und Weise beobachten, ja auch um Beweise zu sammeln. Da gibt es doch einen unauflöslichen Konflikt, der da heißt: Mitarbeiterdatenschutz, wir haben jetzt gesehen, Innenminister de Maizière hat die Persönlichkeitsrechte im Internet schon verschärft, also Mitarbeiterdatenschutz versus Unternehmenssicherheit.

Stoppelkamp: Das ist sicherlich ein Zielkonflikt in gewisser Weise, weil es aus Sicht der Unternehmenssicherheit natürlich darum geht, dass keine Informationen nach außen gelangen bezogen auf Betriebsinterna, und natürlich insbesondere Mitarbeiterdaten auch besonders geschützt werden vor Zugriffen von Dritten, und dass betriebsinterne Kriminalität, die es leider auch gibt, dass die effektiv bekämpft wird. Und da müssen wir sagen als Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft, dass der derzeit vom Kabinett beschlossene Beschäftigtendatenschutzgesetzentwurf nach unserer Auffassung noch etwas nachgebessert werden muss im Hinblick auf effektive Kriminalitätsbekämpfung in den Betrieben selbst.

Nana Brink: Aber trotzdem gibt es ja auch die umgekehrten Fälle, nämlich siehe Telekom und Deutsche Bahn, die Mitarbeiter bespitzelt haben. Wo ist da die Trennlinie?

Stoppelkamp: Diese Vorgänge dort waren nach der derzeitigen Rechtslage schon nicht konform, das heißt, es sind ja auch entsprechende Bußgelder und Verurteilungen erfolgt. Uns geht es eigentlich nur darum, dass die derzeitige Rechtsprechung, die im Einzelfall auch unter strengen Voraussetzungen eine Videoüberwachung zur Kriminalitätsbekämpfung zulässt, dass das auch nach wie vor möglich sein sollte.

Nana Brink: Und das ist Ihrer Meinung nach nicht möglich oder wird nicht genügend ausgeschöpft?

Stoppelkamp: Das wird nach der neuen Gesetzlichkeit, die noch nicht im parlamentarischen Raum ist, würde das nicht mehr so möglich sein wie bisher.

Nana Brink: Berthold Stoppelkamp, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft. Schönen Dank für das Gespräch!

Stoppelkamp: Ja, auf Wiederhören!
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