Kaum Ungemach für Telemach

Von Jörn Florian Fuchs · 21.05.2011
Generell ist eine Repertoireerweiterung ja immer zu begrüßen. Und von den Schwetzinger SWR Festspielen erwartet man ohnehin das Unerwartete und Überraschende.
Heuer gab es einen raren Gluck und immerhin war's ein alles in allem recht konziser, ja vergnüglicher Abend. Das lag nicht so sehr an der Musik, beim "Telemaco" konnte oder wollte sich Gluck nämlich nicht entscheiden: Mache ich das eher gediegen "Seria"-mäßig? Oder gebe ich doch ein wenig mehr Gas und drücke wild auf die emotionale Tube?

Das Hörergebnis ist zwiespältig, vor allem weil manches altbacken-possierlich, anderes dagegen schon wie beim späten Gluck klingt, Stichwort: in Musik gegossene, authentische Emotionen. Das Uraufführungspublikum zeigte sich 1765 jedenfalls nicht sonderlich enthusiasmiert, vor allem die eigenwillige Mischung aus Tragik und Beinahe-Komik irritierte. Es war übrigens ein Auftragsstück zu einer Hochzeit am Wiener Hof, bald nach der Premiere tauchte "Telemaco" in die Tiefen der Archive ab ...

"Telemaco" ist bei Gluck und seinem Librettisten Marco Coltellini auf der Suche nach seinem Vater Ulisse. Der wurde von Circe auf eine Zauberinsel entführt, während zu Hause Gattin Penelope verschmachtet und sich zahlreicher Freier erwehren muss. Auf der Insel angekommen, verliebt sich Telemaco in eine Dienerin Circes und nach erstaunlich rasch abgehandelten Liebesfrust-Monologen und -Duetten gelingt allen die Flucht, nur Circe flucht und setzt sich und ihr Reich in Brand.

Regisseur Tobias Kratzer zeigt keine mythischen Figuren. Kratzer verlegt die Handlung in die 30er- oder 40er-Jahre, man sitzt gepflegt zusammen, Reisetrophäen hängen über der Tür. Alles wirkt ein bisschen wie in einschlägigen Hollywoodfilmen der Zeit.

Auf der Suche nach dem verschollenen Vater wird Telemaco bald mit wild wucherndem Urwald konfrontiert, der in das Edelwohnzimmer hereinbricht, danach sind etliche Abenteuer zu bestehen, bis irgendwann alle wieder bieder brav beieinander sitzen. Es ist eine charmante, unaufgeregte Deutung, die allerdings doch noch einen doppelten Boden hat: Circe ist nämlich zugleich Penelope, somit erleben wir vermutlich nur den Traum einer frustrierten Ehefrau, die sich in wilde Wahn-Welten einspinnt. Konzeptionell geht das zwar nicht ganz auf, aber man schaut dem Treiben einfach gerne zu.

Auch das Zuhören macht Freude, zumindest was die wesentlichen Sänger betrifft. Der Countertenor David DQ Lee stattet Telemaco mit luftigem, angenehmem Timbre, Agneta Eichenholz gibt eine nicht nur vokal vielschichtige Circe/Penelope, Tomasz Zagórski einen sonor grummelnden Ulisse.

Die drei kleineren Partien waren leider allesamt nicht Rollen füllend besetzt und auch das Freiburger Barockorchester intonierte zeitweise erstaunlich unpräzise. Am Pult stand die estnische Dirigentin Anu Tali, sie setzte vor allem auf Kraft und Ruppigkeit – was leider zu Lasten eines organischen Gesamteindrucks ging.

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