Katholischer Weltjugendtag in Panama

Der Jugend in Lateinamerika eine Stimme geben

Menschen singen in einem U-Bahn-Abteil, ein Mann spielt Gitarre.
Vorbereitung auf den Weltjugendtag: Pilger nehmen an der Eröffnung der U-Bahnlinie 2 in Panama City teil. © imago / Agencia EFE
Sabine Kurtenbach im Gespräch mit Thorsten Jabs · 20.01.2019
Zum Weltjugendtag in Panama werden mindestens 200.000 katholische Jugendliche und junge Erwachsene erwartet, vor allem aus Lateinamerika. Dort spielt die Kirche in dieser Altersgruppe weiterhin eine große Rolle, so die Politologin Sabine Kurtenbach.
Thorsten Jabs: Mehr als 200.000 Jugendliche machen sich in diesen Tagen auf den Weg nach Panama, beziehungsweise haben sich bereits auf den Weg gemacht. Dort beginnt übermorgen der Weltjugendtag, das Treffen von katholischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 18 und 30 Jahren. Die Botschaft des Treffens stammt in diesem Jahr von der Jungfrau Maria: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe wie du es gesagt hast", aus dem Lukas-Evangelium. Für Papst Franziskus sollen diese Worte die Jugendlichen ermutigen, im Vertrauen auf die Barmherzigkeit Gottes die Gegenwart zu meistern und mutig in die Zukunft zu gehen. Doch angesichts der Probleme der Jugend in Lateinamerika fällt der Glaube an eine gute Zukunft nicht immer leicht. Darüber spreche ich mit Sabine Kurtenbach, Professorin am GIGA Institut für Lateinamerikastudien in Hamburg. Frau Kurtenbach, was sind die drängendsten Probleme der Jugend in Lateinamerika in der Gegenwart?
Kurtenbach: Die Probleme der Jugendlichen spiegeln eigentlich die ungelösten strukturellen und historischen Probleme der Region. Die Jugendlichen haben wenig Möglichkeiten, ihre zentralen Transitionsphasen oder Übergänge ins Erwachsenenleben zu bewältigen. Das heißt insbesondere, es gibt zu wenig Arbeit, sodass Jugendliche es schwer haben, finanziell unabhängig zu werden von der Familie, von Netzwerken. Politische Partizipationsmöglichkeiten gibt es, aber wir sehen ja jetzt gerade bei den Wahlen des letzten Jahres, dass sich Kandidaten durchgesetzt haben, die nicht an Menschenrechten oder der Partizipation von jungen Leuten interessiert sind.
Das mag zwar im Diskurs dann teilweise anders klingen, aber letztlich ist die Untergrabung von rechtsstaatlich basierten Beteiligungsformen auch ein zentrales Problem. Damit haben Jugendliche wenig Chancen, unabhängig, selbständig zu werden, und das bringt dann viele dazu zu migrieren. Das ist ein ganz zentraler Grund dafür, dass sie denken, dass sie woanders, insbesondere in den USA, bessere Möglichkeiten finden, selbst wenn es schwierig ist. Oder aber sie ziehen sich zurück in das ganz Private, oder sie schließen sich unter Umständen Jugendgangs an.

Jugendliche wünschen sich vom Papst noch mehr Reformen

Jabs: Welche Rolle spielt die katholische Kirche in der Region, um gegen solche Probleme anzukämpfen und den Jugendlichen Perspektiven zu geben, um tatsächlich mutig in die Zukunft zu gehen, wie Papst Franziskus hofft?
Kurtenbach: Es gab 2014 eine Studie des Pew Center in den USA zu Religion in Lateinamerika, und die zeigt eigentlich, dass die 16- bis 25-Jährigen deutlich mehr vertrauen und viel aktiver sind als dann die 26- bis 60-Jährigen, und danach wird es wieder mehr. Also noch ist das eine Generation, die großes Interesse an der Kirche hat und die auch Vertrauen hat. Es gab nach der Jugendsynode in Rom letztes Jahr auch einen Brief lateinamerikanischer Jugendlicher an den Papst, die ihn sehr aufgefordert haben, weiterzugehen auf seinem Weg der Reformen, dass er das wirklich ein bisschen weiter aufmischen soll und auch Konflikte in Kauf nehmen soll, um in der Kirche etwas zu verändern.
Sabine Kurtenbach posiert für ein Pressebild
Jugendliche beobachten genau, wie glaubwürdig die Kirche auf ihre Sorgen eingeht: Sabine Kurtenbach vom GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien© GIGA / Foto: Boris Rostami-Rabet
Jabs: Und kommt da im Gegenzug aus Rom, aus dem Vatikan denn auch etwas in Lateinamerika an, was zum Beispiel auf der Jugendsynode besprochen wurde?
Kurtenbach: Das ist natürlich erst kurz her, das kann man so nicht sagen, und es ist auch schwierig, denn die Kirche hat zwar einen moralischen Einfluss, das auf jeden Fall, aber sie hat in der ganzen Region einen schwindenden politischen Einfluss. Da sehen wir, dass die evangelikalen Kirchen auf dem Vormarsch sind, wenn es um politische Stellungnahmen geht und dass die katholische Kirche eher zurückhaltend ist.
Gleichzeitig ist es natürlich ein Problem, dass die katholische Kirche gesellschaftspolitisch doch strukturell sehr konservativ ist. Da sehen wir dann auch im Vergleich zu anderen Regionen, dass die Zustimmung oder die Religiosität auch bei jungen Leuten tendenziell abnimmt. Also, es werden zwar viele noch getauft, aber dann, wenn sie um die 20 sind, bekennen sich deutlich weniger zur Kirche als getauft sind.
Das ist aber letztlich ein normaler Prozess des sozialen Wandels, wo Religion und Kirche in der Bedeutung abnehmen. Also, das nimmt in Europa zum Beispiel viel stärker ab. In Deutschland sagen zehn Prozent, Kirche sei wichtig für sie. In Lateinamerika schwankt das sehr stark zwischen 90 Prozent in Honduras und 29 Prozent in Uruguay.

"Die Kirche ist nach wie vor konservativ"

Jabs: Wenn man Interviews mit jungen Menschen in der Region liest, gerade mit Blick auf den Weltjugendtag, heißt es oft, die Kirche muss ihre Lehre der Lebensrealität anpassen. Das passt ja zu dem, was Sie gerade gesagt haben, insbesondere, was die Rolle von Frauen angeht und die Sexualmoral. Haben Sie den Eindruck, dass so etwas passiert?
Kurtenbach: Da würde ich sagen: "Allein, mir fehlt der Glaube!" Nein, ich denke nicht, dass da viel passiert, weil die Kirche dazu dann doch strukturell viel zu konservativ ist. Also, gerade bei Themen wie gleichgeschlechtlichen Beziehungen oder Abtreibung oder auch Zusammenleben ohne verheiratet zu sein, ist die Kirche halt gesellschaftspolitisch doch nach wie vor sehr konservativ. Nicht so konservativ wie die evangelikalen Kirchen, aber doch strukturell immer noch sehr konservativ.
Jabs: Sie haben Jugendgangs angesprochen. Welche Rolle spielen die Kirchen mit Blick auf Gewalt in Lateinamerika?
Kurtenbach: Also, die katholische und die protestantische Kirche, die haben in der Vergangenheit einen großen Beitrag geleistet bei der Beendigung und bei der Vermittlung und Versöhnung der Bürgerkriege der 80er- und 90er-Jahre. Da haben die Bischofskonferenzen und auch lutherische Bischöfe zum Beispiel in El Salvador eine wichtige Rolle gespielt. Die konnten sie auch spielen, weil sie in der Gesamtgesellschaft verankert sind, weil sie die Leute aus unterschiedlichen gesellschaftlichen und politischen Gruppen kennen und Zugang zu denen haben und sie dann auch an einem Tisch zusammenbringen könnten.

Die Kirche als Helfer gegen Gewalt in Lateinamerika

Also, das war ganz wichtig als erster Schritt, bevor dann die Vereinten Nationen da als Vermittler eingetreten sind. Auch hinterher haben die Kirchen in so Gremien der Versöhnung eine wichtige Rolle gespielt und haben als eine der wenigen Kräfte sehr früh drauf hingewiesen, dass die Gewalt auch anderer Akteure eingedämmt werden muss und bekämpft werden muss. Heute sehen wir ja, dass in Zentralamerika, in El Salvador und Guatemala, aber auch in Honduras die Gewalt in Form von Homizidraten – das sind Morde pro 100.000 Menschen – sehr viel höher sind als teilweise zu Kriegszeiten, dass wir zwar keinen Krieg haben, aber Frieden kann man das auch nicht nennen.
Da ist die Mitgliedschaft in einer Kirche für viele junge Leute die einzige Möglichkeit, dann auch aus diesen Jugendgangs wieder rauszukommen. Das wird dann akzeptiert als Ausweg, als Ausgang, aber andere Möglichkeiten selten oder gar nicht, und von daher spielt die Kirche da heute auch immer noch eine Rolle. Gleichzeitig muss man sagen, dass diese ganzen Diskurse über die Jugendlichen als Problem, die Jugendlichen als Kriminelle, also gerade Jugendliche aus marginalisierten, also armen Bevölkerungsschichten, dass diese Diskurse auch an der Kirche nicht komplett vorbeigehen. Also da versucht gerade die katholische Kirche, einen Mittelweg zu finden oder auch zu vermitteln, und das ist sehr, sehr schwierig.
Jabs: Was heißt das genau? Wie versucht die Kirche da einen Mittelweg zu finden?
Kurtenbach: Also in El Salvador gab es zum Beispiel Initiativen, dass der lutherische Bischof durch das Land gefahren ist und versucht hat, auf dem Land und in Gemeinden und gerade da, wo Gewalt ein zentrales Problem ist, die Leute aufzufordern, zusammenzuarbeiten, sich zu versöhnen, nicht-gewaltsame Wege der Konfliktbearbeitung zu finden, aber wie gesagt, die Kirche hat eine moralische Macht, aber mehr eben auch nicht. Einflussmöglichkeiten hat sie nicht, und von daher, wenn da die Eliten nicht drauf hören oder wenn ihnen das egal ist, kann die Kirche auch relativ wenig ausrichten.
Jabs: Sie haben vorhin darüber gesprochen, dass gerade junge Erwachsene von der Kirche begeistert sind. Wie begeistert sind die Jugendlichen in Panama und der Region, dass der Weltjugendtag jetzt dort stattfindet?
Kurtenbach: Ich habe vorhin auch kurz gesagt, es gibt eine große Varianz innerhalb der Region. Und Zentralamerika, und dazu gehört Panama ja, ist die Region in Lateinamerika, die am stärksten katholisch ist, am stärksten religiös ist, und wo dann auch die Jugendlichen einen sehr starken Bezug zur Kirche haben. Wir haben das neulich auch in El Salvador gesehen, als Oscar Romero heiliggesprochen wurde. Das war im ganzen Land schon ein sehr großes Ereignis, und gerade auch für die Jugendlichen war das sehr wichtig, weil sie da dann auch ein Vorbild haben, das moralisch für sie wichtig ist.

Missbrauchsskandal: "Die Kirche muss mehr für die Opfer tun"

Jabs: Ein Skandal, der die katholische Kirche weltweit erschüttert, sind die Missbrauchsfälle. Der Glaube an die Kirche dürfte vielen Menschen, insbesondere den Jungen, eigentlich schwerfallen. Welche Rolle spielt der Missbrauchsskandal unter Jugendlichen in Lateinamerika? Bewirkt der eine Abkehr von der katholischen Kirche?
Kurtenbach: Es ist natürlich schon ein Problem, gerade auch für die moralische Glaubwürdigkeit der Kirche, und was Papst Franziskus zum Teil angekreidet wird, ist, dass er bisher beispielsweise noch nicht nach Argentinien in seine Heimat gefahren ist. Da gibt es auch einen Missbrauchsskandal, der in seinen Zuständigkeitsbereich fiel und zu dem er sich bisher noch überhaupt nicht geäußert hat. Also da gucken Jugendliche auch sehr genau hin: Wie glaubwürdig ist so eine Position dann? Ich denke, da muss die katholische Kirche noch wesentlich mehr tun für die Aufarbeitung aber auch für die Entschädigung und für Hilfe für die Opfer.
Jabs: Treibt so etwas die Jugendlichen oder Menschen allgemein auch in Richtung anderer Konfessionen, also zum Beispiel in Richtung Protestantismus?
Kurtenbach: Ja, teilweise bestimmt, aber ich denke, was wir sehen in Lateinamerika in der allgemeinen Entwicklung, ist, dass ein Teil der Gläubigen sich bekennt zu diesen evangelikalen Kirchen, und wenn dann nachgefragt wird, warum sie das tun, dann ist eine der zentralen Antworten immer: Sie wollen eine persönlichere Beziehung zu Gott oder ein persönlicheres Erleben der Religion, und das leisten die protestantischen Kirchen natürlich - nicht die protestantischen, sondern die evangelikalen Kirchen natürlich ein Stück weit, aber es gibt gleichzeitig auch eine Tendenz, dann ganz rauszugehen und eher sich von der Kirche oder den Kirchen insgesamt, von der Religion abzuwenden. Das hält sich ungefähr die Waage, würde ich mal sagen, von der Tendenz her. Also die katholische Kirche verliert da in beide Richtungen.

Evangelikale Kirchen auf dem Vormarsch

Jabs: Natürlich will die katholische Kirche mit so einem Weltjugendtag die Jugendlichen auch wieder begeistern, und Papst Franziskus gilt als ein Pontifex, der sich mit den Problemen der Jugend beschäftigt und genau damit begeistert. Ist er ohnehin eine wichtige Autorität in der Region, auch abseits der katholischen Kirche, schafft er es, Jugendliche, wie Sie vorhin auch gesagt haben, als moralische Instanz zu begeistern?
Kurtenbach: Teilweise sicher, aber die Jugendlichen in Lateinamerika sind natürlich kein homogener Block, und es gibt da auch sehr unterschiedliche Strömungen, und ich denke, in den sehr katholischen Ländern Zentralamerikas, zum Teil auch Brasilien noch oder Mexiko, ist Papst Franziskus sicher eine wichtige Größe, in anderen Ländern deutlich weniger. Gleichzeitig wird er natürlich gerade für sein Eintreten für sozialen Wandel und für die Armen sehr kritisiert von den herrschenden Eliten, die sich dann lieber zu evangelikalen Kirchen bekennen.
Wir haben das in Brasilien gerade mit Jair Bolsonaro gesehen, weil die eher so eine sehr starke Status-quo-Orientierung verfechten, was die katholische Kirche traditionell ja auch lange Zeit gemacht hat – also: Benimm dich hier gut, dann wirst du im Jenseits dafür belohnt. Das ist heute eher so die Position dieser evangelikalen Kirchen, die dann auch sehr moralisch sehr stark gesellschaftspolitisch konservativ sind, traditionelle Werte vertreten, und da rückt die katholische Kirche ein Stück weit ab, und das schafft natürlich dann auch Konflikte.
Jabs: Kein Konflikt wird es wahrscheinlich sein, wenn der Papst kommt und vor den gläubigen Jugendlichen spricht. Erwarten Sie insgesamt auch einfach eine schöne bunte Feier bei diesem Weltjugendtag?
Kurtenbach: Ja, ich denke schon, das wird ein großes Event für alle, die dabei sind. Die Frage wird aber halt sein, ob auch kritische Fragen zugelassen werden, wenn sie denn gestellt werden. Das ist ja auch immer so ein Wechselprozess. Man kann im Vorfeld natürlich auch immer zusehen, dass dann doch eher die hinfahren oder hinfahren können, die das bestätigen, was auch die katholische Kirche da verkörpert, und das, denke ich, wird sehr interessant sein zu sehen, ob es dann auch vielleicht kritische Diskussionen geben wird.
Jabs: Da lassen wir uns auf jeden Fall überraschen und hoffen natürlich auf kritische Diskussionen. Frau Kurtenbach, vielen Dank für das Gespräch!
Kurtenbach: Gerne!
Jabs: Sabine Kurtenbach vom GIGA Institut für Lateinamerikastudien zum Weltjugendtag, der übermorgen in Panama beginnt.
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