"Wir müssen neue Wege gehen"
Die Kirche habe sich in ihrer 2000-jährigen Geschichte immer in Richtung Zukunft entwickelt, sagt der Vorsitzende der der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Marx. Insofern sei sie gut beraten, sich bei der Synode im Rom offen gegenüber Veränderungen zu zeigen.
Philipp Gessler: In den kommenden zwei Wochen kommen in Rom rund 200 Bischöfe aus der ganzen Welt zusammen, um auf einer Synode das Familienbild der katholischen Kirche zu diskutieren. Was sich auf den ersten Blick nicht allzu spektakulär anhört, birgt viel Sprengstoff in sich. Denn an diesem Familienbild der Kirche hängt ein Großteil ihres Lehrgebäudes – und wer dieses Familienbild verändert, verändert zugleich die Kirche.
Ein Beispiel: Wenn Leuten, deren katholisch geschlossene Ehe gescheitert ist, staatlich einen neuen Partner heiraten – leben sie dann eigentlich mit dem neuen Partner "in Sünde", wie man das früher nannte, da die katholische Ehe doch, theologisch gesehen, als unauflöslich gilt? Dürfen sie noch zur Eucharistie? Und wenn die katholische Kirche sagt: Doch, dies bleiben voll akzeptierte Kirchenmitglieder: Gilt dann eigentlich noch das Verbot der sexuellen Beziehung außerhalb der Ehe?
Ein Beispiel: Wenn Leuten, deren katholisch geschlossene Ehe gescheitert ist, staatlich einen neuen Partner heiraten – leben sie dann eigentlich mit dem neuen Partner "in Sünde", wie man das früher nannte, da die katholische Ehe doch, theologisch gesehen, als unauflöslich gilt? Dürfen sie noch zur Eucharistie? Und wenn die katholische Kirche sagt: Doch, dies bleiben voll akzeptierte Kirchenmitglieder: Gilt dann eigentlich noch das Verbot der sexuellen Beziehung außerhalb der Ehe?
Über die Bischofssynode in Rom habe ich gestern mit dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, in Rom gesprochen. Ich habe den Erzbischof von München, den offiziell einzigen deutschen Bischof bei der Synode, in seiner Residenz in München getroffen.
Meine erste Frage an ihn war: Derzeit gibt es Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, ein Dschihadismus auf dem Vormarsch, eine Seuche mit Tausenden Toten in Westafrika sowie eine Milliarde Menschen, die hungern oder mangelernährt sind - und die Kirche diskutiert mit Leidenschaft darüber, ob ein paar Tausend wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion bekommen sollen. Ist da die katholische Kirche wirklich am Puls der Zeit?
Reinhard Marx: Naja, wir haben uns zu den anderen Themen auch geäußert, und der Papst ist sehr involviert. Er hat einen Sondergesandten in den Irak geschickt - also es ist nicht so, als würden wir uns nur mit einem Thema beschäftigen, das nun seit über einem Jahr angekündigt ist. Nein, es wäre sicherlich nicht gut, wenn man den Eindruck gewinnen würde, wir haben nur ein Problem. Aber das Thema Ehe und Familie ist ein zentrales Thema, gerade auch in diesen Gebieten.
Das Thema ist nicht nur wiederverheiratete Geschiedene, das Thema ist: Wie geht es Ehe und Familie in den vielen Ländern der Erde? Und da sind die Flüchtlingsfamilien ein ganz besonderes Thema. Es sind die zerrissenen Familien ein Thema, wo viele auseinander gerissen werden wegen ihrer Arbeit. Familienväter sind in anderen Ländern. Millionen Menschen sind auseinander gerissen. Also, es ist eine so vielfältige Wirklichkeit, die wirklich am Puls des Lebens der Menschen ist. Aber man sollte nicht das eine gegen das andere ausspielen. Also, ich glaube der Papst hat eine große Aufmerksamkeit für das, was in Syrien, im Irak und in den Gebieten der Ebola-Krise da ist. Und die Kirche engagiert sich auch. In der Bischofskonferenz haben wir die Themen sehr, sehr intensiv diskutiert und auch überlegt, wie wir Hilfestellung leisten können.
Gessler: Kurienkardinal Burke kanzelt den Kardinal Kasper ab und sagt, er solle bitte nicht behaupten, was der Papst angeblich gesagt habe, das sei "unverschämt", der Papst habe schließlich keine "Halsentzündung". Dann geht der Bischof von Regensburg, Voderholzer, mehr oder weniger in einem Eklat von der Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe in Münster. Und manche reden von einem "Theologenkrieg". Wie erklären Sie sich die Schärfe der Diskussion? Da scheinen ja einige Nerven ziemlich blank zu liegen.
"Unterschiedliche Positionen auch in der Kirche"
Marx: Ja, ich bin erstaunt, ich weiß auch nicht, was die Einzelnen gesagt haben. Ich verfolge das nicht. Wir haben eine Synode jetzt, der Papst hat ein Thema angegeben. Und es ist gut, dass darüber offen gesprochen wird. Dass da unterschiedliche Positionen auch in der Kirche da sind, haben wir schon beim Konsistorium gemerkt, als Kardinal Kasper auf Wunsch des Papstes diese ausführliche Ansprache gehalten hat. Und ich finde es eigentlich gut, dass öffentlich diskutiert wird. Jeder sollte die Waffen runter nehmen.
Es geht hier nicht einen Krieg, sondern es geht um einen brüderlichen, geschwisterlichen Austausch über die Situation von Ehe und Familie, wie wir in die Zukunft gehen wollen, denn es ist ja wichtig, dass deutlich wird: Es geht um ein Evangelium, eine frohe Botschaft. Es ist ja nicht etwas Bedrohliches, etwas Angstmachendes, sondern wir wollen die Realität von Ehe und Familie aufnehmen, aber sie verbinden mit dem, was von Jesus her den Ehen und de Familien gesagt werden kann und wie wir als Kirche auch helfen und begleiten können. Also, ich bin da ein bisschen beruhigt und sage: Gut, dass da Debatten in Gang kommen, das war zu erwarten. Und ich habe den Eindruck, der Papst will das auch.
Gessler: Nun scheint ja fast die Frage der wiederverheirateten Geschiedenen zu einer Art Stellvertreterkonflikt geworden zu sein. So nach dem Motto: Wenn es da Reformen gibt, dann wanken große Teile des Lehrgebäudes der katholischen Kirche, etwa weil Sex außerhalb der Ehe - nach einer Scheidung in einer zweiten Ehe - dann nicht mehr so schlimm erscheint. Ist das auch Ihre Ansicht, dass tatsächlich diese eine Frage das Lehrgebäude zum Teil zum Wanken bringen würde bei Reformen?
"Manche sprechen das Wort 'Wahrheit' aus - und das Gegenüber fröstelt"
Marx: Das Lehrgebäude der Kirche ist ja nicht einfach ein festes Haus, wo sich gar nichts bewegt. Die Ehelehre etwa im Vergleich zu einer Enzyklika, die schon fast 100 Jahre alt ist, "Casti connubii", sage ich einmal, bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil, hat eine gewisse Entwicklung. Man kann nicht einfach sagen, das ist ein festes Gebäude. Das ist schon eine merkwürdige Vorstellung. Die Wahrheit ist ja auch nicht im wesentlichen ein System - eine merkwürdige Vorstellung.
Manche sprechen das Wort "Wahrheit" aus - und das Gegenüber fröstelt. Als sei das etwas Unangenehmes, etwas Schwieriges oder Abweisendes, sondern die Wahrheit ist eine Person im Christentum! Eine Person, der wir begegnen und die uns etwas zu sagen hat! Und was sie uns zu sagen hat, darum geht es in der Lehre der Kirche, die immer auch in einem Dialog mit den Realitäten weiter entwickelt werden muss.
Das heißt nicht: Sie verändert sich, aber sie entwickelt sich weiter, und das gilt auch für die Ehe und die Familie. Also insofern würde ich nicht jetzt schon sagen: Wenn das fällt, dann fällt alles! Das sind alles so Vorstellungen ein bisschen häuserkampf-mäßig. Das ist nicht so meine Welt. Wir müssen einen guten Blick haben auf die zweitausendjährige Geschichte der Kirche und wissen, dass wir immer wieder Wege in die Zukunft gegangen sind und dass alle gut beraten sind, nicht einfach zu sagen: Wenn sich das aber einmal ändert, dann ist alles vorbei! Und umgekehrt: Alles fließt sozusagen, die Gegenposition wäre, es gibt überhaupt nichts Festes. Also, da sollte man ein bisschen realistisch und mit gutem theologischen Auge auf die Entwicklung schauen. Da bin ich nicht so ängstlich.
Gessler: Wenn in einem Jahr die ordentliche Bischofsversammlung, die dann stattfinden wird, die Bischofssynode dem Papst eine Empfehlung gibt: Wird dann die Mehrheit, glauben Sie, tatsächlich empfehlen, dass man bei dieser Kommunionsfrage, denn das ist es ja am Ende, gegenüber den wieder verheirateten Geschiedenen Barmherzigkeit zeigt, so wie das Kardinal Kasper empfohlen hat?
"Auch Kirche braucht Öffentlichkeit"
Marx: Also, erst einmal wird das Thema der Synode nicht nur das sein. Und dafür werde ich auch kämpfen, das gibt keinen Sinn, als würde eine Synode zweimal stattfinden zu einem einzigen Aspekt des gesamten Themas von Ehe und Familie. Ich habe ja eben auf einige Punkte hingewiesen, die auch wichtig sind, auch Ehevorbereitung und -begleitung, die soziale Wirklichkeit der Familie, die politische Verantwortung, die gesellschaftliche Bedeutung der Familie. Also, alles auf diesen einen Punkt zu reduzieren, das wird die Synode sicher nicht tun. Davon bin ich überzeugt.
Und wie die Diskussion laufen wird, welchen Auftrag sie geben wird, etwa von der Synode I zur Synode II und was am Ende dem Papst als Vorschlag als Empfehlung gegeben wird für einen weiteren Weg - damit ist der Weg ja vielleicht gar nicht abgeschlossen, das ist überhaupt nicht voraus zu sagen. Aber ich bin sehr zuversichtlich, dass eine Dynamik entsteht, eine Dynamik in die Zukunft hinein, nicht einfach nur in die Vergangenheit hinein. Das ist meine Zuversicht, und das muss ich auch aus den Worten des Papstes entnehmen, der gesagt hat, dass er sich eine Dynamik wünscht, eine Dynamik, die zu einer Diskussion führt.
Übrigens auch zu einer Diskussion, so hoffe ich, nicht nur in der Synode, sondern auch in der Öffentlichkeit der Kirche. Kein Geringerer als Pius XII. hat einmal gesagt: Eine Demokratie braucht Öffentlichkeit, aber auch Kirche braucht Öffentlichkeit. Deswegen kann ich eigentlich nur die Gläubigen aufrufen, auch die Wissenschaftler und Theologen sowie die Bischöfe, die nicht an der Synode beteiligt sind, weiter zu diskutieren, öffentlich zu diskutieren. Und das ganze Geschehen, den dynamischen Weg mit dem Gebet zu begleiten.
Das ist ein synodaler Weg, wenn man das tut und versucht zu erkennen: Was will uns der Herr jetzt, in dieser Stunde sagen? Wie leitet er uns? Nicht: Wie setze ich meine Position durch? Das ist keine Haltung eines Bischofs auf der Synode - und auch keines Theologen in der Kirche, sondern: Was will uns der Herr gemeinsam sagen? Wie können wir zur Einmütigkeit finden - auch nicht nur einfach zur Mehrheit? Das ist kein politischer Prozess, wo wir sagen: Wenn wir eine Stimme Mehrheit bekommen, sind wir durch, sondern wir brauchen eine Einmütigkeit. Und darum muss man ringen.
Dafür braucht man das Gebet, dafür braucht man die Offenheit füreinander, eine wirkliche Bereitschaft, auf den anderen zu hören mit seinen Argumenten. Nein, da habe ich eigentlich eine gute Hoffnung. Die Entwicklung der Kirche in all den Jahrhunderten zeigt natürlich auch, dass es immer Streit gegeben hat auch mal, aber am Ende kommen wir dann doch zu einem einmütigen Weg.
Gessler: Was halten Sie denn von der Idee von dem Sondersekretär des Papstes, der gesagt hat, man könnte es vielleicht so machen wie manche Ostkirchen, dass man sozusagen eine zweite Ehe segnet und eben dann aus dem Dilemma mit den wiederverheirateten Geschiedenen heraus kommt?
"Viele pastorale Fragen gehören auch in die Kompetenz der Ortskirchen"
Marx: Ich kenne diese Interviews nicht, ich lese nicht alles, höre auch nicht alles, und das ist auch ganz gut, dass man jetzt einmal sich auf die Synode konzentriert und nicht konkrete Vorschläge von dem und jenem, die in einem bestimmten Kontext stehen, noch einmal bewertet. Also, lassen wir uns offen darauf ein! Und bringen wir das mit, was aus unseren Ortskirchen auch in der Diskussion da ist.
Das, denke ich, ist als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz klar, dass ich nicht hier meine Privatmeinung einfach vertrete, sondern das, was wir auf der Bischofskonferenz diskutiert haben und mit großer Mehrheit auch unterstützen, etwa dass wir sehen, dass die Fragen, die Kardinal Kasper aufgeworfen hat, richtig sind. Dass wir diese Fragen auch mit stützen. Das ist eine große Mehrheit der deutschen Bischofskonferenz. Das habe ich mit einzubringen. Das ist erst einmal mein Beitrag. Und dann werden wir ins Gespräch kommen. Ich glaube nicht, dass die Synode jetzt oder auch die nächste, einfach schon konkrete Maßnahmen oder so etwas vorschlagen wird. Es geht um grundsätzliche Fragen. Viele pastorale Fragen gehören auch in die Kompetenz der Ortskirchen, finde ich.
Gessler: Sie haben es ja angesprochen: Die Synode soll ja laut dem offiziellen Arbeitspapier auch über die Themen "Empfängnisverhütung", "Sex vor der Ehe" und "Homosexualität" sprechen - und in all diesen Fragen ist die große Mehrheit der Katholiken weltweit, aber auch in Deutschland, das hat ja die deutsche Bischofskonferenz auch festgestellt, einer ganz anderen Meinung als der Vatikan. Wird es am Ende der Synode, also nach der Ordentlichen Synode im nächsten Jahr, tatsächlich zu Änderungen kommen auch bei diesen Fragen - und wünschen Sie sich das?
Marx: Die Synoden sind Beratungsorgane, sie können gar nichts beschließen. Sie können Voten geben oder sie können dem Papst empfehlen, in eine bestimmte Richtung weiter zu denken. Ob das ganze Thema, das Sie hier genannt haben, ob all diese Themen behandelt werden, weiß ich nicht. Das ist ja eine Sammlung gewesen in der Umfrage - ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Synode all diese Themen nacheinander sozusagen abhandeln könnte, das ist völlig ausgeschlossen.
Gessler: Aber wünschen Sie sich eigentlich solche Änderungen, die dann der Papst am Ende vornehmen muss?
"Die Sexualität ist eine wunderbare Gabe an den Menschen"
Marx: Das kommt auf die Fragestellung an. Also, das Thema Sexualität zeigt, dass wir hier, ja, so haben wir es formuliert als Bischöfe auch in der Antwort auf Rom hin, dass hier zumindest eine gewisse Sprachlosigkeit ist. Bestimmtes wird einfach hingenommen, aber es wird nicht wirklich aufgearbeitet. Es ist eine schwierige Herausforderung.
Denn die Sexualität - daran wird sich auch nichts ändern - ist eine wunderbare Gabe an den Menschen, aber sie ist offen auch für das Leben. Diese Sicht, dass Mann und Frau aufeinander bezogen sind, die Geschlechterdifferenz als ein Reichtum, als eine Komplementarität, die sich öffnet für Leben - diese grundsätzliche Perspektive, die wird bleiben. Was das bedeutet für das konkrete Leben und wie wir auch Menschen mit anderen Lebensformen akzeptieren, das ist eine Frage, die sich, glaube ich, in der pastoralen Praxis jetzt schon zeigt, dass wir da tolerant sein und auch eine gewisse christliche Nächstenliebe haben müssen - das ist ja eine Selbstverständlichkeit.
Aber im Kern, das habe ich oft gesagt, trägt ja die überwältigende Mehrheit der Katholiken, die jetzt auch den Glauben leben wollen, durchaus diese Positionen mit. Sie möchten nicht exkludieren, sie möchten nicht andere Menschen abwerten. Das ist etwas Anderes. Aber sie möchten, dass eigentlich die Beziehung von Mann und Frau in der Ehe, die unauflöslich ist, dass das Treuewort, dass das auch gilt. Und sie möchten auch Kinder, sie möchten die Offenheit für Kinder. Die große Mehrheit der jungen Menschen möchte ja diese Lebensform. Die meisten jungen Leute haben das Modell Familie und Kinder. Warum sollten wir ihnen das ausreden?! Das ist doch gar nicht angezeigt.
Und das muss gestärkt werden, dass dies ja ein wesentlicher Bereich des kirchlichen Lebens ist. Und da sehe ich eigentlich jetzt nicht eine riesige Diskrepanz zwischen dem, was die Mehrheit der Gläubigen für sich selber wünscht, und der Lehre der Kirche. Die Frage ist: Was machen wir, wenn dieses Ziel, das viele Menschen haben, die Mehrheit der Menschen sogar hat, wenn dieses Ziel eben nicht erreicht wird, wenn ein Scheitern da ist? Das ist die Frage, die wir uns auch stellen müssen. Und da, bin ich der Meinung, müssen wir auch neue Wege gehen.