Katholiken

"Schnell nach Vergebung fragen"

Ein Plakat mit dem Logo des Katholikentages hängt am 27.05.2014 zwischen den Türmen des Doms St. Peter in Regensburg (Bayern).
Dom St. Peter in Regensburg. Die Katholische Kirche müsse einen "hierarchiefreien Austausch" und "angstfreie Kommunikation" ermöglichen, fordert Theologin Julia Enxing. © dpa / Armin Weigel
Julia Enxing im Gespräch mit Susanne Führer · 30.05.2014
Im Fall der sexuellen Gewalttaten an Kindern zeige sich deutlich, "inwiefern es der katholischen Kirche schwer fällt, ihre eigene Schuld zu thematisieren, auszusprechen und anzuerkennen", sagt die Theologin Julia Enxing. Aber es gebe auch positive Beispiele.
Susanne Führer: Auf dem Katholikentag, der ja gerade in Regensburg stattfindet, hat heute auch der Missbrauchsskandal eine Rolle gespielt – bei einer Podiumsdiskussion nämlich, die sich mit der Prävention sexueller Gewalt beschäftigt. In eine ähnliche Richtung, wenn auch fundamentaler angelegt, geht die Tagung "Schuld als Herausforderung für Theologie und Kirche", die heute am Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster stattfindet.
Geleitet wird diese Tagung von der Theologin Julia Enxing, die in der Ankündigung zu dieser Veranstaltung schrieb, die katholische Kirche müsse einen neuen Umgang mit der Schuld lernen. Und ich habe Julia Enxing gefragt, welche Schuld sie denn meine.
Julia Enxing: Zunächst einmal denke ich, dass die Fälle von sexuellen Gewalttaten in der katholischen Kirche, die ja seit 2010 aufgedeckt werden, Anlass geben, über den Umgang der katholischen Kirche mit ihrer eigenen Schuld nachzudenken. Sicherlich muss das in einem größeren Kontext betrachtet werden, denn es ist ja leider so: Seit es die Kirche gibt, gibt es eben auch Schuld in der Kirche, weil wir Menschen alle schuldig werden. Insofern ist der Kontext und der Horizont, in dem ich das Phänomen Schuld betrachte und untersuche, weitaus größer. Dennoch denke ich, dass sich an dem Fall der sexuellen Gewalttaten sehr deutlich gezeigt hat und zeigt, inwiefern es der katholischen Kirche schwer fällt, ihre eigene Schuld zu thematisieren, auszusprechen und anzuerkennen.
Führer: Das wurde ihr ja von vielen vorgeworfen. Die katholische Kirche hat ja sehr, sehr lange gebraucht, um zu reagieren – jahrzehntelang wurden ja die schuldig gewordenen Priester nur versetzt –, aber es gibt auch viele, die sagen, diese Zeiten sind jetzt vorbei. Es gibt einen runden Tisch, es gibt Entschädigungszahlungen, der Vatikan hat eine Kommission eingesetzt, um sexuelle Gewalt an Kindern zu verhindern, aber das scheint Ihnen nicht zu reichen.
Enxing: Also ich möchte die ganzen Aktivitäten und Lösungen, die von seiten der Amtskirche und der Institution Kirche unternommen wurden ... sind sehr wichtig. Ich möchte nicht missverstanden werden. Also ich begrüße runde Tische, ich denke auch, dass unsere Hilfe bei den sogenannten Therapieangeboten, Hotlines, Schmerzensgeldzahlungen und so weiter, alles wichtig ist und keinesfalls hätte ausbleiben dürfen. Dennoch sehe ich einen etwas vorschnellen Aktionismus, die Opfer zu schnell zufriedenzustellen, schnell nach Vergebung zu fragen, um Vergebung zu bitten, das Phänomen insofern auf einer individuellen Täter-Opfer-Ebene zu behandeln und es dort auch zu belassen.
Führer: Sie haben gerade gesagt, die Kirche bittet zu schnell um Vergebung. Nun glaubt ja die katholische Kirche an die Vergebung der Sünden, ja, die ja zum Beispiel durch die Beichte eben passiert, und da ist ja interessant, da gehört ja die Gewissensforschung dazu, und vor allen Dingen die Reue. Also wenn ich Sie richtig verstehe, dann vermissen Sie das ein bisschen?
Enxing: Zumindest im Fall der sexuellen Gewalttaten durch die Amtsträger und Repräsentanten der Kirche scheint es mir vielfach so gewesen zu sein. Gerade hier wurde ja deutlich, dass es wenige Momente gab, in denen kirchliche Vertreter innegehalten haben und die Schuld erst einmal ausgehalten haben. Und ich plädiere tatsächlich dafür, das Phänomen der Vergebung getrennt zu betrachten von dem Phänomen der Schuld – obgleich natürlich beides zusammenhängt und es ein ganz großer und wichtiger Teil der Botschaft, der christlichen Botschaft ist, zu vergeben.
Führer: Vor kurzem hat ja Papst Franziskus die Opfer von sexueller Gewalt durch Priester um Vergebung gebeten, jetzt gerade im April.
Enxing: Ich würde noch mal einen Schritt zurückgehen: Die Vergebung ist wichtig, und die Bitte um Vergebung setzt aber voraus, dass die Schuld auf allen Ebenen anerkannt wurde. Erst wenn die Schuld betrachtet, anerkannt, reflektiert wurde, wissen wir, um was wir eigentlich um Vergebung bitten.
Führer: Gibt es denn in der katholischen Kirche für Sie positive Beispiele für den Umgang mit Schuld?
Enxing: Ja, die gibt es. Auf Ebene der Bistümer ist hier sicherlich das Beispiel des Schuldbekenntnisses von Bischof Bode zu erwähnen, der im Jahr 2010 vor 600 Gläubigen im Osnabrücker Dom ein Schuldbekenntnis abgelegt hat, in dem er sehr deutlich artikuliert hat, dass er sich schämt und das kirchliche Schweigen, so hat er gesagt, zum Himmel schreit, also ein sehr authentisches Zeugnis seiner Betroffenheit abgelegt hat, dass von vielen Gläubigen als mutmachendes und solidarisches Zeichen empfunden wurde.
"Wir sind in das Versagen verstrickt"
Führer: Frau Enxing, aber was heißt denn, Schuld auf allen Ebenen anerkennen, schuldig werden können doch aber nur einzelne Menschen, oder kann auch eine Institution schuldig werden?
Enxing: Ja, da sprechen Sie eine ganz wichtige Frage an, die auch häufig gestellt wird. Gerade im Zusammenhang mit den sexuellen Gewalttaten ist es ja so, dass natürlich es Opfer und Täter gibt, dennoch ist es in dem Fall sehr deutlich geworden, dass ja die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft, also des Zeugnisses der Liebe, hier auf dem Spiel steht. Und in vielen Fällen habe ich da eine Distanzierung gemerkt von Laien Klerikern gegenüber nach dem Motto: Ich will damit nichts zu tun haben, was da in deren Reihen passiert ist, ich bin weder Opfer noch Täter oder Täterin, mich geht das nichts an.
Genau das erachte ich als problematisch, denn als Glaubensgemeinschaft sind wir ja zugleich auch Zeugnisgemeinschaft. Und wenn dieses Zeugnis, warum auch immer, aber jetzt in diesem Fall durch die sexuellen Gewalttaten beschmutzt wird, dann ist die Gemeinschaft der Gläubigen zwangsläufig auch eine Schicksals- und auch eine Solidaritätsgemeinschaft und zur Solidarität aufgerufen. Und es hilft hier nichts, sich von Opfern und Tätern und Täterinnen zu distanzieren, weil man sie nicht wahrhaben will oder weil man sagt, das ist doch eine Sache zwischen den beiden, da hab ich nichts damit zu tun, sondern wir müssen uns auch bewusst machen, wie sehr sie zu uns gehören und wie sehr wir auch in das Versagen verstrickt sind.
Ich meine damit, grundsätzlich wünsche ich mir auf der gesamtkirchlichen Ebene, also von der Amtskirche, Institution, Kleriker als auch den Laien in der Gemeinde, eine größere Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Selbstverständlich sehe ich die Verantwortung und auch die Schuld hier natürlich sehr unterschiedlich, und es muss auch scharf differenziert werden, und es darf keinesfalls so sein, dass alle in einen Topf geworfen werden, so nach dem Motto: Wir sind ja alle irgendwie schuldig. Und häufig wird genau das auch mit dem Begriff der Kollektivschuld thematisiert.
Führer: Genau, wollte ich gerade sagen. Wenn man das auf eine weltliche Ebene hebt, dann erinnert mich das an die Debatte nach dem Nationalsozialismus: Gibt es eine Kollektivschuld der Deutschen?
Enxing: Genau. Und das ist ein Begriff, der hier auch oft angeführt wird: Also die Kirche hat eine Kollektivschuld, weil sie als Kollektiv, also als Gemeinschaft versagt habe. Davor möchte ich aber ausdrücklich warnen. Von einer Kollektivschuld zu sprechen, würde nämlich bedeuten, allen, die zur Gemeinschaft der Gläubigen gehören, die Verantwortung für das soziale Fehlverhalten zuzuschreiben und allen Mitgliedern zu gleichen Teilen anzurechnen, was ja keinesfalls so sein darf.
Führer: Aber dann habe ich Ihren Punkt noch nicht so richtig verstanden. Sie wenden sich dagegen, dass es nur individuelle Täter gibt, aber Sie wenden sich auch gegen eine Kollektivschuld der Institution Kirche?
Enxing: Genau. Ich plädiere für eine Kollektivverantwortung der Kirche. Ich plädiere dafür, dass die Differenz zwischen Täterinnen und Tätern, Komplizen, Verweigerern, Zuschauern, Opfern und so weiter ganz differenziert wahrgenommen wird und reflektiert wird vor dem Hintergrund, dass die Gemeinschaft der Gläubigen als Zeugnisgemeinschaft Verantwortung übernehmen muss für die Beschmutzung ihres Zeugnisses. Also ich plädiere für eine Kollektivverantwortung der Kirche als Gemeinschaft der Gläubigen, bei der sich aber alle fragen, wo sie ihren Anteil sehen.
Führer: Aber wenn es eine Kollektivverantwortung gibt der Kirche, der katholischen Kirche, als Institution, dann müsste man doch daraus Schlussfolgerungen ziehen, dass vielleicht die Institution, so wie sie von Menschen gebaut worden ist, in ihrer Konstruktion nicht ideal ist, nach dem, was passiert ist in den vergangenen ... Zumindest wir wissen ja nur, was in den vergangenen Jahren passiert ist, den Rest wissen wir ja gar nicht.
"Strukturen werden von Menschen etabliert und aufrechterhalten"
Enxing: Das spricht sozusagen die Kritik an der Struktur an. Da würde ich sagen, dass selbstverständlich die Individuen zur Verantwortung gezogen werden und bestraft werden müssen. Aber es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass es innerhalb der Institution Kirche auch Strukturen gab und Strukturen gibt, die es möglich gemacht haben, dass ein derartiges Ausmaß an Gewalt über Jahrzehnte unentdeckt bleiben konnte. Also Kardinal Lehmann gibt da zwar zu bedenken, also er hat im Zuge der Missbrauchsdebatte gesagt, dass Strukturen nicht sündigen können und sich deshalb auch nicht bekehren können, was natürlich in sich konsistent ist, jedoch werden ja auch diese Strukturen von Menschen etabliert und aufrechterhalten. Und Johannes Paul II. hat schon in der Sozialenzyklika Sollicitudo rei socialis genau das ausgeführt, dass die Strukturen der Sünde in persönlicher Sünde ihre Wurzeln haben, aber nun mal von Menschen aufrechterhalten werden und auch nur von Menschen geändert werden können.
Führer: Genau. So, und jetzt sind wir bei der Frage: Was müsste geändert werden? Ich lese Ihnen mal ein Zitat vor von Hans Küng, der sagt: "Die katholische Kirche ist ihrem Wesen nach nicht totalitär. Wohl aber ist das römische Lehr- und Machtsystem autoritär – mit totalitären Zügen. Denn es verlangt Totalidentifikation mit dem Papst."
Enxing: Also was sich sicherlich ändern müsste, und dafür kämpfen auch schon viele Gläubigen, dass ein hierarchiefreier Austausch möglich ist auch über die Fehltaten und eine angstfreie Kommunikation. Ich sehe das Problem – und das ist auch sicherlich das, was mit der Kritik der Amtskirche angesprochen wird –, dass es häufig noch immer so ist, dass das Kirchenbild, also die Heiligkeit der Kirche, über die Maßen stilisiert wird, und das zu einer ängstlichen Verteidigung dieses Kirchenbildes mit aller Macht – und die Macht liegt ja sicherlich oft auf Seiten der Amtskirche und aufseiten des Vatikans – verteidigt wird, also eine Festung, eine Burg, die verteidigt werden muss. Und da sehe ich durchaus auch ein großes Missverständnis. Schon die Texte des Zweiten Vatikanischen Konzils haben davon gesprochen, dass die Kirche eine "ecclesia semper reformanda", also eine Kirche, die stets der Erneuerung bedürftig ist, ist. Und das ist eine ganz viel zitierte Passage, die aber meines Erachtens auch einen Schlüsselbegriff darstellt, denn da steht eben: Die Kirche und nicht die Glieder in der Kirche oder die Gläubigen, sondern die Kirche ist erneuerungsbedürftig.
Führer: Das sagt die Theologin Julia Enxing vom Exzellenzcluster "Religion und Politik" der Universität Münster. Sie leitet die Tagung "Schuld als Herausforderung für Theologie und Kirche", die von heute bis Sonntag in Münster stattfindet. Vielen Dank fürs Gespräch, Frau Enxing!
Enxing: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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