Kathedralen der Arbeit

Von Ludger Fittkau · 02.08.2011
Die "Kulturregion Frankfurt Rhein-Main" das sind 32 Gemeinden und Städte in Hessen, die mit vielen Projekten für die kulturelle Bedeutung ihrer Region werben. Ein Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Industriekultur, die im Rhein-Maingebiet eine Reihe bedeutender Bauwerke hervorgebracht hat.
Der Begriff "Kathedralen der Arbeit" ist in den letzten Jahren arg strapaziert worden. Vor allem die Kulturhauptstadt Ruhr 2010 konnte eine ganze Reihe imposanter Industriegebäude aufweisen, die aufgrund ihrer Größe und Gestaltung wie Sakralbauten wirken– etwa das UNESCO-Weltkulturerbe Zeche Zollverein. Doch ein ziemlich verrücktes Gebäude, das vielleicht wie kein Zweites zu Recht als "Industriekathedrale" bezeichnet wurde, steht nicht im Revier – sondern in Frankfurt am Main, das man heute logischerweise eher mit Bankentürmen verbindet. Auf dem ehemaligen Firmengelände der Farbwerke Höchst gestaltete der Avantgarde-Architekt und frühe Industriedesigner Peter Behrens zu Beginn der 1920er Jahre das zentrale Verwaltungsgebäude des Chemieunternehmens als expressionisches Gesamtkunstwerk- himmelwärts gerichtet:

"Ja, das Gebäude hat in der Tat ein bisschen den Charakter einer Kirche, mit einem Seitenschiff und einer Hauptachse und es wurde in der Tat bisweilen als Kathedrale der Arbeiter beschrieben. Peter Behrens hat viele Elemente hier eingebaut, die auch an den ursprünglichen Auftraggeber, die damaligen Farbwerke erinnern. Das Thema Farbe ist natürlich präsent, er hat auch das Thema Kristall mit eingebaut als Darstellung der damaligen Medikament-Wirkstoffe, die kristallin waren und hat also überall auch die Arbeiten seines Arbeitgebers aufgenommen."

Umbautes Licht – das ist der Ergebnis der von Peter Woggon beschriebenen Entstehungsgeschichte des Peter-Behrens-Baus in Frankfurt-Höchst. Woggon führt heute Gruppen durch das Gebäude, in dem wie eh und je ein Teil der Verwaltung des Chemieareals untergebracht ist. Acht grün, blau und gelb glänzende, 15 Meter hohe Backsteinsäulen tragen das Gewölbe des Hauptraumes, der Lichthof genannt wird. Das Außenlicht fällt durch drei mächtige Kristallkuppeln in der Decke und verstärkt damit den sakralen Charakter des Raumes. Für Anklänge an maurische Architektur sorgen vor allem die Mosaike, die großflächig die Hallenböden des Baus bedecken. Auch in einem erst kürzlich wieder erschlossenen großem Nebenraum des Lichthofes, dessen Wände lange unter Beton verborgen waren. Türen, Handläufe für Treppenaufgänge, Lampen, aber auch Fassadendetails außen – alles hat Peter Behrens hier Anfang der 1920er Jahre bis ins kleinste Detail selbst geplant:

"Ja, er war Generalist. Er war ja ursprünglich auch nicht Architekt, sondern Designer. Und das sieht man natürlich auch gerade in diesen Feinarbeiten, die er gemacht hat, auch von außen. Angefangen von den Metallornamenten in den Eingangstüren, die also alte Werkzeuge widerspiegeln, bis hin zu den Löwen, die das Eingangsportal hier zieren, die eine Hommage an die Gründer des Industriestandortes hier sind, die den Löwen im Firmenwappen hatten. Und diese horizontalen Ornamente, die sich über die Fassade ziehen, geben diesem Gebäude, das eigentlich wie eine Burg aufgebaut ist, noch mal eine besondere Leichtigkeit."

Eine Leichtigkeit, wie sie auch andere Behrens-Gebäude im Rhein-Main-Gebiet auszeichnet, etwa sein Haus in der Künstlerkolonie Mathildenhöhe in Darmstadt. Jedoch nicht alle architektonischen Meisterwerke des Peter Behrens im Rhein-Main-Gebiet werden bisher angemessen gewürdigt, so Sabine von Bebenburg, Organisatorin der Tage der Industriekultur in der Region:

"Es gibt zum Beispiel im Frankfurter Osten ein altes Gaswerk von Peter Behrens, das auch wirklich ein sehr interessantes Ensemble ist. Es hat viele, viele Jahre mehr oder weniger vor sich hingegammelt und wurde der Bevölkerung und dem öffentlichen Blick für den Wert dieses Gebäudes viele Jahre entzogen. Da gibt es zum Beispiel eine Halle, da stellen jetzt die Karnevalsvereine ihre Wagen unter."

Das wiederum passt schon wieder irgendwie zu der Region zwischen Mainz und Aschaffenburg, in der die Tage der Industriekultur bis zum kommenden Samstag stattfinden. Auch unabhängig von den oft jetzt schon ausgebuchten Führungen sollte ein Berliner dabei übrigens unbedingt Beachtung finden: Hans Poelzig nämlich, der in den 1920er Jahren in seiner Heimatstadt unter anderem das Gebäude des heutigen Kinos Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz und das famose Haus des Rundfunks an der Masurenallee unter dem Funkturm schuf. In Frankfurt am Main hat entwarf Poelzig Ende der 1920er Jahre das gigantische Verwaltungsgebäude des damals größten Chemiekonzerns der Welt, der IG Farben. Bittere Ironie der Geschichte: Poelzig musste wenig später vor den Nationalsozialisten fliehen, während der Konzern in Auschwitz KZ-Häftlinge für sich arbeiten ließ. Heute wird die kolossale ehemalige IG-Farben-Zentrale von der Frankfurter Goethe-Uni genutzt. Die Bauten von Poelzig und Behrens sind nicht nur an den Tagen der Industriekultur architektonische Highlights des Rhein-Main-Gebiets.
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