Katharina Spieß: Unternehmen wollen öffentlich gut dastehen

Katharina Spieß im Gespräch mit Frank Meyer |
Der britisch-niederländische Ölkonzern Shell muss sich wegen einer möglichen Beteiligung an der Ermordung von nigerianischen Menschenrechtlern in New York verantworten. Seitdem solche Klagen anhängig sind, gebe es eine stärkere Sensibilisierung bei Unternehmen für menschenrechtliche Themen, meint Katharina Spieß von Amnesty International.
Frank Meyer: Heute beginnt in New York ein Prozess gegen Shell wegen der Menschenrechtsverletzungen in Nigeria. Und darüber möchte ich sprechen mit Katharina Spieß von Amnesty International. Wie schätzen Sie denn diesen Prozess ein, wie wahrscheinlich ist es, dass Shell tatsächlich verurteilt wird?

Katharina Spieß: Über eine Verurteilung oder Nichtverurteilung kann ich überhaupt gar keine Prognosen machen. Vonseiten von Amnesty International begrüßen wir, dass dieser Prozess stattfindet, weil es wichtig ist, dass, wenn es zu Menschenrechtsverletzungen kommt, an denen Unternehmen beteiligt sind – und es gibt hier deutliche Anzeichen dafür, dass Shell verwickelt war an der Hinrichtung von Ken Saro-Wiwa und den anderen beteiligten Ogoni-Aktivisten –, dann ist es wichtig, dass diese Leute oder dass das Unternehmen zur Verantwortung gezogen wird beziehungsweise die Angehörigen Schadensersatz bekommen.

Meyer: Es gab ja schon andere Konflikte mit Konzernen wegen der Verletzung von Menschenrechten, die sind in der Regel ohne Verurteilung beendet worden durch Vergleiche, das heißt, die Konzerne haben Entschädigungen gezahlt in der Regel, und damit war der Fall dann erledigt. Könnte das hier wieder passieren?

Spieß: Es ist sicherlich eine Option, die passieren könnte. Das hängt davon ab, wie sich der Prozess entwickelt.

Meyer: Welche Konzerne waren denn in der Vergangenheit von solchen Anklagen betroffen, welche haben Vergleiche geschlossen?

Spieß: Es ist eine ganze Reihe von Prozessen, die es schon gab, insbesondere in den USA. In den USA finden diese Prozesse statt, weil es ein Gesetz aus dem Jahr 1798 gibt, den Alien Tort Claims Act, der es erlaubt, dass amerikanische Gerichte auch über Tatbestände urteilen können, die im Ausland passiert sind, also über Verletzungen von Menschenrechten insbesondere. Und es sind mittlerweile mehr als 30 Unternehmen schon angeklagt worden, oder es ist keine Anklage, es ist kein Strafprozess, sondern ein Zivilprozess, das heißt, die Opfer möchten Schadensersatz haben wegen des erlittenen Unrechts. Und in einer Reihe von Fällen kam es tatsächlich zu Vergleichen zwischen den Unternehmen und den Betroffenen, den Opfern. Ein ganz bekannter Fall ist zum Beispiel Yahoo in China. Es gibt einen Journalisten, Shi Tao, der von China aus eine E-Mail an eine amerikanische Menschenrechtsorganisation geschickt hat und wegen des Schreibens dieser E-Mail verurteilt worden ist zu mehr als zehn Jahren Haft in China. Yahoo hatte damals an die chinesischen Behörden die User-Daten von Shi Tao rausgegeben und nur aufgrund dieser User-Daten war es möglich, Shi Tao zu verurteilen. Daraufhin ist Klage erhoben worden auf Schadensersatz gegen Yahoo in den USA. Und Yahoo hat sich im Jahr 2007 bereiterklärt in einem geheim gehaltenen Vergleich, Schadensersatz zu zahlen und auch die Kosten zu zahlen. Also es ist ein ganz bekannter Fall. Es gibt aber auch Fälle, wo auch Erdölunternehmen schon angeklagt worden sind oder verklagt worden sind wegen Schadensersatz. Ein anderer Fall ist in Myanmar. Unocal/Total sind auch zwei große Erdölunternehmen, die wegen Beteiligung an Zwangsarbeit, Sklaverei, Folter, extralegalen Hinrichtungen verklagt worden sind auf Schadensersatz und wo es auch wieder zu einer Streitbeilegung gekommen ist.

Meyer: Diese Schadensersatzzahlungen tun diesen milliardenschweren Konzernen ja wahrscheinlich nicht besonders weh. Was aber wahrscheinlich weh tut, ist ja der Imageschaden, den solche Auseinandersetzungen vor Gericht nach sich ziehen. Wenn man sich zum Beispiel Shell anschaut, die Homepage von Shell Deutschland, da findet man an oberster Stelle das Schlagwort "Shell in der Gesellschaft", und da ist dann weiter zu lesen: "Wir unterstützen ökonomische und soziale Entwicklung, indem wir Energie liefern und soziale Bedürfnisse an unseren Standorten ernst nehmen." Und für diese Selbstdarstellung eines Unternehmens wie Shell dürfte so ein Prozess wie der jetzt beginnende in New York doch ein Supergau sein, oder?

Spieß: Die Einschätzung teile ich. Es ist sicherlich ein großes Problem und Unternehmen sind sehr sensibel, was die Öffentlichkeit angeht. Und sicherlich ist auch ein Ergebnis des Protestes gegen Shell in den 90er-Jahren und auch nach wie vor jetzt, dass Shell so einen großen Wert darauf legt, als verantwortungsbewusstes Unternehmen dargestellt zu werden. Ich denke aber auch, dass der Prozess als solches, das Prozessrisiko ein Problem darstellt für die Unternehmen, denn auch, wenn natürlich im Vergleich zu dem Jahresumsatz der Unternehmen wahrscheinlich die Schadensersatzforderungen gering sind, sind es aber trotzdem Schadensersatzforderungen. Und auch jeder Fall ist ein Präzedenzfall. Zum Beispiel unter anderem deswegen wird jetzt der Prozess gegen Shell mit großer Spannung erwartet, weil natürlich Erdölunternehmen den genau beobachten werden, um zu gucken, wird dadurch eine Präzedenz geschaffen oder nicht.

Meyer: Wir sind im Gespräch mit Katharina Spieß von Amnesty International über den Shell-Prozess, bei dem es um die Ermordung von Ken Saro-Wiwa und acht anderen nigerianischen Menschenrechtlern gehen wird. Wenn Sie gerade sagen, da könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden, das hieße dann, dass die Rechtssprechung, die hier gefunden wird von einem amerikanischen Bundesgericht, dann tatsächlich übertragen wird auf andere ähnliche Anklagen?

Spieß: Das wäre eine Möglichkeit. Es ist auch unter anderem deswegen ein Grund, warum Unternehmen den Vergleichen zustimmen, weil sie eben keine Verurteilung wollen und kein Urteil, das dann als Präzedenz genutzt werden kann. Aber sicherlich ist es so, dass wenn einmal eine Verurteilung durchgegangen ist, es für andere leichter ist.

Meyer: Bei diesem Prozess geht es nun um Ereignisse Mitte der 90er-Jahre. Seit dem Jahr 2000 gibt es den Global Compact der Vereinten Nationen. Das ist eine freiwillige Verpflichtung auf zehn soziale, ökologische und menschenrechtliche Standards, Verpflichtung für Unternehmen. Mehr als 3000 Firmen aus aller Welt haben sich diesem Global Compact angeschlossen. Heißt das nun, dass Konzerne Menschenrechte heute stärker beachten als in den 90er-Jahren etwa?

Spieß: Der Global Compact ist ein Indiz dafür, dass zumindest eine stärkere Sensibilisierung bei Unternehmen vorhanden ist für menschenrechtliche Themen. Das ist der sogenannte Pakt der Vereinten Nationen mit der Wirtschaft, dieser Global Compact, vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan ins Leben gerufen worden. Wir beobachten schon, dass auch Unternehmen auf uns zukommen, das Gespräch mit uns suchen, menschenrechtliche Dilemmata mit uns klären wollen oder auch allgemein klären wollen. Es gibt sicherlich eine stärkere Sensibilisierung, aber nach wie vor auch Probleme.

Meyer: Sie haben vorhin schon geschildert, wie dieses Verfahren in den USA jetzt zustande kommt, was ja eben diese Merkwürdigkeit hat, dass nigerianische Kläger gegen einen niederländisch-britischen Konzern vorgehen in den USA, was mit diesem alten Gesetz zu tun hat zu Menschenrechtsverfolgung dort. Würden Sie sich denn wünschen, dass es so eine rechtliche Möglichkeit auch in Deutschland oder Europa gibt?

Spieß: Es gibt auch Prozesse in Europa gegen Unternehmen. Ein ganz wichtiger Prozess ist seit Oktober 2008 anhängig in Großbritannien. Und zwar hat ein großes Erdölunternehmen Giftmüll an der Elfenbeinküste in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abgeworfen, woraufhin mehr als 100.000 Menschen erkrankt sind. Es sind mindestens zehn Menschen gestorben. Und jetzt gibt es eine Schadensersatzklage von mittlerweile 17.000 Klägern gegen dieses Unternehmen in Großbritannien. Also es gibt immer mehr die Möglichkeiten, es wird immer mehr versucht, Klagen anhängig zu machen, aber kein europäisches Land hat ein ähnliches Gesetz wie die USA, nämlich dieser Alien Tort Claims Act. Und es ist aus menschenrechtlicher Sicht auf jeden Fall wichtig, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen die Möglichkeit haben, Schadensersatz einzuklagen.

Meyer: In New York beginnt heute der Prozess gegen den Shell-Konzern. Die Familie des 1995 in Nigeria ermordeten Menschenrechtlers Ken Saro-Wiwa hat Klage gegen den Shell-Konzern erhoben. Katharina Spieß von Amnesty International war bei uns im Studio. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Spieß: Gerne, danke!