Katharina Sieverding

Kunst als "humanes Projekt"

Die Künstlerin Katharina Sieverding posiert am 18.2.2016 in ihrer neuen Ausstellung in der Galerie Hans Mayer am Grabbeplatz neben einer ihrer Arbeiten.
Die Künstlerin Katharina Sieverding neben einer ihrer Arbeiten. Sie wird am 11.7.2017 mit dem Kähte-Kollwitz-Preis der Berliner Akademie der Künste ausgezeichnet. © imago / Reichwein
Moderation: Ute Welty · 08.07.2017
"Widerstandskunst und Widerstandskultur" – das verkörpere Käthe Kollwitz für sie, meint Katharina Sieverding. Die renommierte Künstlerin erhält den gleichnamigen Preis der Berliner Akademie der Künste. Politisches Engagement sei auch heute noch eine wichtige Aufgabe von Kunst.
Großformatige Fotokunst verbunden mit politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen – dafür steht die Joseph-Beuys-Schülerin Katharina Sieverding. Am 11. Juli 2017 wird die international renommierte Künstlerin mit dem Käthe-Kollwitz-Preis der Berliner Akademie der Künste ausgezeichnet.
Sieverding sprach im Deutschlandfunk Kultur über ihre biographischen und künstlerischen Bezüge zu Käthe Kollwitz, die heute vor 150 Jahren geboren wurde. Die Preisvergabe habe ihr noch einmal die wichtige Bedeutung von Kollwitz für ihr Schaffen deutlich gemacht:
"Ich finde, dass es eine Künstlerin ist, die so stark Widerstandskunst und -kultur betrieben hat, dass es also wirklich von hohem Interesse ist, auch für mich und meine Haltung."

Käthe Kollwitz und ihr "humanes Projekt" als Vorbild

Viele Themen, mit denen sich Kollwitz in ihren Werken beschäftigt habe, seien heute angesichts von Flucht und Vertreibung weiterhin sehr aktuell, sagt Sieverding:
"Da finde ich, dass sie so einen selbst bestimmten Weg gegangen ist als Künstlerin. Und sich also immer wieder in aller Deutlichkeit diesem humanen Projekt künstlerisch gewidmet hat. (…) Ich habe eine große Hochachtung vor dieser Künstlerin."
Käthe Kollwitz (1867-1945) arbeitete als Grafikerin, Malerin und Bildhauerin.
Käthe Kollwitz, Selbstbildnis lachend© © Käthe-Kollwitz-Museum Berlin
"Nie wieder Krieg" heißt ein berühmtes Plakat von Käthe Kollwitz aus dem Jahre 1924. Muss solches politisches Engagement die Aufgabe von Kunst sein - auch im Jahr 2017? Sieverdings Einschätzung lautet:

"Also man kann nicht sagen muss. Die Kunst ist sehr vielseitig und sehr komplex, und mit Sicherheit ist es eine wichtige Aufgabe. Ob es jetzt so ein Mahnmal ist - ich habe ja auch ein Mahnmal geschaffen für das Reichstagsgebäude in Berlin, wo ich also den Politikern mit auf den Weg gebe, dass es schleichende Prozesse sind, wie es auch während oder im Faschismus war."

Erfolg im Kunstbetrieb – den hat Sieverding schon seit den 70er Jahren aufzuweisen. Sie weiß aber um die Schwierigkeiten der Etablierung in diesem Kunstbereich. Ihrer Ansicht nach hänge das auch mit einer unterschiedlichen Haltung von Frauen - im Vergleich zu Männern - zusammen:
"Frauen haben nicht mehr diesen Genieanspruch, nicht dieses Monopolistische, sondern sind eher in ihrer Haltung offener und gehen mit solchen Themen direkter um."

Zwei Ausstellungen mit Werken von Katharina Sieverding

In Zusammenhang mit der Verleihung des Käthe-Kollwitz-Preises an Katharina Sieverding zeigt die Berliner Akademie der Künste vom 12.7. – 27.8.2017 eine Sonderausstellung mit ihren Werken. Zu sehen sind 19 großformatige Arbeiten. Darüber hinaus ist in der Bundeskunsthalle in Bonn noch bis zum 16. Juli 2017 die Ausstellung "Katharina Sieverding. Kunst und Kapital. Werke von 1967 bis 2017" zu sehen.


Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Ihr Name, ihre Kunst, aber auch ihr Gesicht: Käthe Kollwitz ist keine, die man schnell vergisst, und zwar in keiner Hinsicht. Heute vor 150 Jahren wird diese bedeutende deutsche Künstlerin geboren, deren Radierungen, Zeichnungen, Plastiken sich durch immense Ausdrucksstärke auszeichnen.
Nach Käthe Kollwitz benannt ist der Preis, den die Akademie der Künste seit 1960 vergibt und der in diesem Jahr an die Fotografin Katharina Sieverding geht. Die Preisverleihung ist am kommenden Dienstag, und dazu kommt noch, dass bis Ende der kommenden Woche die große Sieverding-Retrospektive in der Bundeskunsthalle in Bonn zu sehen ist. "Kunst und Kapital", so der Titel. Guten Morgen, Frau Sieverding!
Katharina Sieverding: Ja, guten Morgen!
Welty: Das läuft ganz gut gerade, oder?
Sieverding: Ja, es sind mehrere Projekte, große Projekte und auch interessante, und natürlich freue ich mich über diese Ehrung des Käthe-Kollwitz-Preises.
Welty: Wir haben uns für heute verabredet für den 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz und eben mit Ihnen als die diesjährige Käthe-Kollwitz-Preisträgerin. Was bedeutet Ihnen dieser Preis und was die Namensgeberin als Künstlerin?
Sieverding: Ich bin auf ein Käthe-Kollwitz-Gymnasium gegangen in Dortmund bis zum Abitur, sodass ich relativ früh schon mit Käthe Kollwitz bekannt gemacht wurde. Aber jetzt durch diesen Preis muss ich das Ganze noch mal aktualisieren und finde, dass es eine Künstlerin ist, die so starke Widerstandskunst und -kultur betrieben hat, dass es also wirklich von hohem Interesse ist, auch für mich und meine Haltung.

"Ich habe eine große Hochachtung vor dieser Künstlerin"

Welty: Inwieweit?
Sieverding: Sie hat sich ja sehr stark um Themen wie Vergewaltigung, Krieg, wie soll ich sagen, Gefangene, Bauernaufstände und so weiter gekümmert, also das ganze Thema Mutter und Kind, ihren Sohn sehr früh verloren im Krieg. Es sind alles Themen, die uns heute wieder oder besonders heute in diesen Zeiten der Vertreibung und der Flucht besonders berühren und beschäftigen.
Und da finde ich, dass sie einen so selbstbestimmten Weg gegangen ist als Künstlerin und sich also immer wieder in aller Deutlichkeit diesem humanen Projekt gewidmet hat künstlerisch. Wenn man bedenkt, 33 aus der Preußischen Akademie ausgeschlossen, 36 Lehrverbot, kurz darauf Ausstellungsverbot, also durch die Nationalsozialisten und so – ich habe eine große Hochachtung vor dieser Künstlerin.
Welty: Anlässlich der Preisverleihung ist dann auch eine Ausstellung mit Ihren Werken zu sehen. Inwieweit lassen sich da Berührungspunkte zwischen Kollwitz auf der einen und Sieverding auf der anderen Seite entdecken, ausmachen?

19 große Arbeiten in der Berliner Akademie der Künste

Sieverding: Ich habe sozusagen versucht, ein Statement, ein eigenes Statement für diesen Anlass zu entwickeln: Mit 19 großen Arbeiten, die alle das gleiche Format haben, und zwar das typische Plakatformat, also für öffentliche Plakate. Das sind alles Themen, die ich zum Teil auch schon als Plakate wie "Deutschland wird deutscher" oder "Die Pleite" oder zum G8-Gipfel in Heiligendamm, also solche Arbeiten. Und auch natürlich aus der Vielzahl der Statements aus den 70er-, 80er-, 90er-Jahren bis heute habe ich entsprechende Inhalte herausgesucht.
(Es ist eine Art) Installation, das sind jetzt nicht so Fotoobjekte mit Rahmung und so weiter, sondern die sind direkt auf die Wände aufgebracht. Und das ist ja in der Akademie der Künste, in diesem wunderschönen alten Gebäude. Da gibt es dann noch eine Neun-Kanal-Projektionsarbeit mit 580 Dyptichen, die also immer wieder unberechenbar neue Schnittstellen produzieren.
Und das ist ein Gang von 1965 bis 2010 durch mein Archiv: Begegnung mit Künstlern, mit Kunst, mit dem ganzen System, mit all den Situationen und Inhalten und Bildern und Medien, die mich sowieso beschäftigen und aus denen ich also die Arbeiten entwickele, um auch möglichst aus den sogenannten künstlerischen Arbeiten auch es in einen anderen Status des öffentlichen und politischen Interesses noch mal zu transformieren.
Welty: Die Arbeiten von Käthe Kollwitz waren ja oft genug Mahnmal – Sie haben es ja auch schon angesprochen –, zum Beispiel auch ihr Plakat "Nie wieder Krieg" von 1924. Ist das die Aufgabe, die Kunst auch im Jahr 2017 erfüllen muss?
Sieverding: Also man kann nicht sagen muss. Die Kunst ist sehr vielseitig und sehr komplex, und mit Sicherheit ist es eine wichtige Aufgabe. Ob es jetzt so ein Mahnmal ist - ich habe ja auch ein Mahnmal geschaffen für das Reichstagsgebäude in Berlin, wo ich also den Politikern mit auf den Weg gebe, dass es schleichende Prozesse sind, wie es auch während oder im Faschismus war. Also deswegen gibt es eine Tumoraufnahme und radiologische (Inhalte) und so weiter, dann auch die Sonne. Also sie kennen vielleicht etwas meine Arbeiten. Also auf eine ganz andere Weise natürlich gibt es doch sehr, sehr ähnliche Inhalte, und ich denke, dass ich das ganz gut in diesen Statements rausgefiltert habe.

Künstlerinnen und der Kunstbetrieb

Welty: Wenn Sie Parallelen ziehen im Hinblick auf die Tatsache, dass es sich eben jetzt jeweils um eine Künstlerin handelt – warum ist es für Frauen nach wie vor schwieriger, sich eben als Künstlerin zu etablieren?
Sieverding: Das ist wahrscheinlich, dass Frauen eine völlig andere Attitude (haben). (Sie) haben also nicht mehr diesen Genie-Anspruch, nicht dieses Monopolistische, sondern sind eher in ihrer Haltung offener oder gehen mit solchen Themen direkter um.
Vor allen Dingen, denke ich, gibt es doch seit den 60er-Jahren Künstlerinnen, die also über die ganzen medialen Techniken doch sehr anerkannt wurden und eine tolle Arbeit leisten, und das hängt, glaube ich, damit zusammen, dass auf der anderen Seite dieser ganze Geniekult (vorhanden ist). Und dass es da viel mehr gepflegt wird, und es heute auch noch konventionellerweise und auch markttechnisch mehr anerkannt wird.
Welty: Am 150. Geburtstag von Käthe Kollwitz die diesjährige Kollwitz-Preisträgerin Katharina Sieverding. Haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch, und für Dienstag wünsche ich eine schöne Preisverleihung!
Sieverding: Danke schön, Frau Welty!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema