Kassenärzte: Qualität der Gesundheitsversorgung droht zu sinken

Moderation: Marie Sagenschneider |
Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, erhofft sich bei der geplanten Gesundheitsreform von der Politik klare Signale bis zum Sommer. Köhler forderte eine angemessene Vergütung der niedergelassenen Ärzte, deren Honorare seit elf Jahren nicht mehr gestiegen seien. Sonst werde die Qualitität der Versorgung sinken.
Marie Sagenschneider: Man hat ja immer so das Gefühl dieses Gesundheitssystem, diese Gesundheitsreform, das ist ein wahrer Moloch. Haben Sie die Erwartung, dass wirklich bis zum Sommer ein akzeptabler Kompromiss möglich ist?

Andreas Köhler: Ja wir müssen das hoffen, insbesondere für die niedergelassenen Ärzte, denn die Perspektive ist derzeit gleich Null. Die Vergütungssituation ist schlecht. Es droht die Versorgung gefährdet zu werden, wenn man Ärztemangel... Wir haben die gleichen Probleme im Krankenhaus. Und von daher brauchen wir im Sommer Signale.

Sagenschneider: Und glauben Sie, die werden kommen?

Köhler: Ja ich muss das hoffen, dass sie kommen. Wir brauchen zumindest einen Hinweis darauf: Wird das wieder eine reine Kostendämpfungspolitik? Wird wieder alles kaputt gespart oder kriegen wir dieses Mal das Signal, dass wir mit angemessenen Finanzsituationen in der gesetzlichen Krankenversicherung rechnen können. Ohne das Signal wird diese ganze Protestsituation weitergehen. Werden die Krankenhausärzte weiter streiken, wird die Unzufriedenheit weiter voranschreiten, wird die Qualität der Versorgung sinken.

Sagenschneider: Nun heißt es ja, die Reihenfolge soll folgendermaßen aussehen: Erst die Strukturen und dann die Finanzgrundlage. Als Leihe weiß man nicht so recht, was mit Strukturen gemeint ist. Vielleicht können Sie uns das ja erklären?

Köhler: Also mit Strukturen ist sicherlich der Übergang von ambulanter Versorgung bei den niedergelassenen Ärzten zur Krankenhausversorgung gemeint, ist die Arzneimittelversorgung gemeint. Hier werden immer noch Wirtschaftlichkeitsreserven vermutet, die wir so schon lange nicht mehr sehen. Im Krankenhaus haben wir ein neues Vergütungssystem. Wir haben ein Krankenhaussterben. Bei den niedergelassenen Ärzten sieht das genau so aus und hier werden noch Wirtschaftlichkeitsreserven vermutet, die man heben möchte, die wir, teilweise gibt es noch welche, aber nicht in dem Umfang vorhanden sind, um die Finanzmisere der gesetzlichen Krankenversicherung zu beheben. Das ist ein Einnahmeproblem und kein Ausgabenproblem. Deswegen wird man auch abwarten müssen, was hier gemeint ist. Man glaubt ja mit Wettbewerb sehr viel stärker diese Finanzreserven heben zu können, die es vermeintlich gibt. Wettbewerb hat aber den Nachteil, dass wir nicht mehr vorfinden, die kassenartenübergreifende, flächendeckende Versorgung.

Sagenschneider: Da wir schon beim Thema Wettbewerb sind: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt will ja auch erreichen, dass die Krankenkassen künftig mehr Möglichkeiten haben sollen, Preise und Leistungen direkt mit Ärzten und Krankenhäusern auszuhandeln. Ist das eigentlich in Ihrem Sinne?

Köhler: Also diese gesetzliche Möglichkeit gibt es seit dem Jahr 2000, ist im Jahr 2004 noch mal erleichtert worden. Wir werden sinnvolle, so genannte Integrationsverträge unterstützen, wenn sie die Patientenversorgung verbessert und wirtschaftlich sind. Das, was wir aber derzeit erleben, wir haben 3000 solcher Verträge, das können wir nicht als wirtschaftlich betrachten, das kritisieren wir. Man muss darauf achten, dass der so genannte Kollektivvertrag, bei dem alle Versicherten, unabhängig welcher Krankenkasse sie angehören, zu jedem Zeitpunkt von zugelassenen Ärzten behandelt werden, dass dieser Kollektivvertrag nicht ausgehöhlt, nicht geschädigt wird. Wir wollen keine Zweiklassenmedizin. Wir wollen, dass es bundesweit überall die gleiche Versorgung gibt und das garantiert der Kollektivvertrag. Je mehr Einzelverträge wir haben, desto mehr wird das gefährdet und das wollen wir nicht, im Interesse der Patienten.

Sagenschneider: Und was sind denn die Folgen der Einzelverträge, was zeichnet sich da jetzt schon für Sie ab, wenn Sie sagen, in 3000 Fällen gibt es das ja schon?

Köhler: Also derzeit sind in diesen 3000 Verträgen 2,5 Millionen Versicherte eingeschrieben, aber die nehmen schon Finanzmittel in Höhe von fast einer Milliarde Euro weg, Finanzmittel, die wir brauchen, um im Kollektivvertrag alle Versicherten zu versorgen. Das ist das Problem, dass wir hier so was wie einen Steinbruch bekommen, indem jeder Einzelvertrag eine bestimmte Menge des Geldes mitnimmt und am Ende für die flächendeckende Versorgung nichts mehr übrig bleibt.

Sagenschneider: Die Reform der Ärztehonorare, zählt das für Sie zu den Strukturreformen oder betrifft das doch eher die Finanzen?

Köhler: Es wird mit Sicherheit Teil einer Strukturreform sein müssen, denn derzeit weiß kein Arzt, was er am Ende eines Monats verdient hat, sondern das weiß er erst nach drei, vier fünf Quartalen, sprich nach einem Jahr. Und das sind Strukturen, die auch den Wettbewerb behindern, die auch die Versorgung vom Hausarzt ausgehend über den niedergelassenen Facharzt hin zum Krankenhaus, diese Versorgungskette in ihrer Organisation erhebliche Nachteile bereitet. Das sind Strukturreformen, die verändert werden müssen. Das, was wir derzeit wissen, ist, dass eine Vergütungsreform, die schon im Jahr 2004 geplant wird, jetzt bis 2009 verschoben wird. Das ist das falsche Signal.

Sagenschneider: Das heißt, Ihre Forderung wäre auch die Budgets, die Deckelung muss weg?

Köhler: Die müssen weg. Wir brauchen für die niedergelassenen Ärzte feste Preise. Budgets sind wettbewerbsfeindlich und sind auch versorgungsfeindlich.

Sagenschneider: Aber besteht da nicht die Gefahr, Herr Köhler, dass die Ausgaben weiter steigen, da hat man ja ohne die Budgets auch nicht die beste Erfahrung gemacht?

Köhler: In den letzten elf Jahren sind die Honorare im ambulanten Bereich nicht gestiegen, Kostentreiber waren die Arzneimittel, das Krankenhaus. Wenn man jetzt den Budgetdeckel öffnet, muss man wissen, dass wir in der Zwischenzeit sehr intelligente Steuerungsinstrumente, Prüfungsinstrumente geschaffen haben, um das in den Griff zu bekommen.