"Kaspar Hauser" am Theater Freiburg

Hommage an ein Findelkind

Stich des legendären Findelkinds Kaspar Hauser.
Stich des legendären Findelkinds Kaspar Hauser. © picture alliance / dpa
Von Bernhard Doppler · 09.04.2016
Der Opernkomponist Hans Thomalla widmet sich in seinem neuen Werk dem kurzen Leben des Findelkinds Kaspar Hauser. Frank Hilbrich hat es am Theater Freiburg inszeniert - mit einem riesigen Lehmklumpen auf der Bühne und einem beeindruckenden Countertenor.
Aus einem Loch in der Mitte taucht langsam ein Lehmklumpen empor: ein Mensch aus Lehm. In dieses Loch wird der Klumpen gegen Ende auch wieder zurückgestoßen und der erdige Schmutz, mit denen er die Bühne - ein leerer Raum mit giftig gelbgrünen Wänden ohne Türen (Bühne: Volker Thiele) – beschmutzt hat, so gut es geht, wieder weggeputzt. Der Lehmmensch ist nicht wie in der Bibel oder im Koran Adam, der erste Mensch, sondern Kaspar Hauser, der als Findling 1828 in Nürnberg auftauchte und fünf Jahre bis zu einem Tod großes öffentliches Interesse auf sich zog.
Er konnte kaum sprechen und sich bis auf einige rätselhafte Bruchstücke seiner Herkunft nicht erinnern, bot jedoch sogleich eine Projektionsfläche für besorgte und interessierte Bürger, für die Wissenschaft, aber auch für liebende Frauen. In Hans Thomallas Oper sind es sechs Männer und zwei Frauen, die von ihm infiziert werden. Doch sie bleiben in Frank Hilbrichs Inszenierung abstrakt und sind in sommerliche Allerweltkleider (Kostüme: Gabriele Rupprecht) gesteckt . Im Programmheft sind keine Personen, sondern lediglich die Stimmfächer der Sänger - Lyrischer Sopran, Bass, Dramatischer Bariton usw. - angegeben.

Die Gesellschaft nimmt Züge des Findlings an

Das Libretto, das der Komponist selbst erstellt hat, zitiert zwar Texte der Lebensbeschreibung Kaspar Hausers und seiner Zeitzeugen, doch die Sänger tragen sie distanziert mit Autorenangabe wie im epischen Theater vor; wobei sie zunächst eher sprechen als singen. Bewundernswert ist jedoch vor allem der Countertenor Xavier Sabata in der Titelrolle, nicht nur weil er sich das ganze Stück über mit dem feuchten Lehm herumschlagen muss, sondern weil von ihm eine große Bandbreite stimmlicher Variationen gefordert ist: von Geräuschen am Beginn, vom Buchstabieren, von Falsett und aber auch tieferen Tönen.
Der Gegensatz zwischen der konventionellen bürgerlichen Welt, die Kaspar Hauser einordnen will und der merkwürdigen Lehmgestalt verschmieren sich im Laufe des knapp 100 Minuten langen Werks auch musikalisch. Die Gesellschaft nimmt Züge des Findlings, der Findling Züge der Gesellschaft an. Und doch bleibt Kaspar Hausers Biographie offen - eine Irritation, die an mehreren Stellen durch faszinierende, oft auch sehr leise Klangräume erzielt wird.

Aus dem Lehm wird eine Statue

Die Arbeit an dem Auftragswerk war lange und gründlich, das merkte man auch dem Philharmonischen Orchester unter Daniel Carter an. Ein zwölfteiliger Werkstattbericht des Komponisten in der Zeitschrift "Die deutsche Bühne" hatte schon seit einem Jahr Erwartungen geschürt. Tatsächlich ist Thomallas "Kaspar Hauser" geradezu ein didaktisches Demonstrationsobjekt über die Genese von Stimme und der Biografie von Opernfiguren und Möglichkeiten des Musiktheaters heute, ja das Werk scheint hin und wieder auf Kosten lustvoller Theatralik etwas dramaturgisch überlegitimiert. Andererseits: Die abstrakte Radikalität von Peter Handkes jugendlichem "Sprechstück" "Kaspar Hauser", das im Begleitprogramm in Freiburg auch in einer szenischen Lesung vorgestellt, scheint zumindest konsequenter als das Libretto.
Ganz am Ende taucht aus dem Bühnenboden Kaspar Hauser wieder auf, der feuchte Lehm hat sich zur Kaspar-Hauser-Statue verfestigt, Kaspar Hauser bleibt weiterhin Forschungs- und Demonstrationsobjekt.
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