Kartographie

Der Canaletto der Wanderwege

Wanderkarte Karte Zeichnen Rolf Böhm
Am Zeichentisch von Rolf Böhm entstehen faszinierend genaue Wanderkarten der Sächsischen Schweiz. © Bild: Rolf Böhm
Von Leonore Lötsch · 10.12.2013
Herr Böhm vermisst seit fast 40 Jahren die Gegend um Dresden. Kartographen seien Wundertäter, aber auch Dummköpfe, sagt der Wegedoktor. Um seine "Rolf-Böhm-Wanderkarte" zu zeichnen, braucht der Kartograph etwa 1.000 Arbeitsstunden.
"Ja, Wege sind, das machen wir uns oft nicht bewusst, Lebewesen! Und die können krank werden. Und da denkt man: Spinnt er jetzt? Dreht er jetzt ganz am Rad? - Nennen Sie mir mal´n Beispiel? - Ja, geht schlecht, weil wir gehen ja gerade einen Weg lang und der Weg ist gesund."
Das allerdings wird sich noch ändern. Und Rolf Böhm, der Wegedoktor, wird Diagnosen stellen müssen. Zunächst aber ist der Pfad im Kirnitzschtal in der Sächsischen Schweiz unasphaltiert, leitplankenlos und gerade so breit, dass zwei Naturfreunde nebeneinander stapfen können - Schulterkontakt inklusive. Die Straße einige Meter unterhalb des Weges ist - zumindest nach der nächsten Brücke - nur noch in Hörentfernung.
"Wir wissen nicht genau, ob die Kirnitzsch ein Bach oder ein Fluss ist, sie ist etwa sieben Meter breit, das ist laut Zeichenvorschrift genau die Grenze. Das Kirnitzschtal ist das schönste Tal in der Sächsischen Schweiz und die Sächsische Schweiz ist sowieso eine der schönsten Landschaften Deutschlands."
Rolf Böhm schwärmt, schließlich ist er Sachse, da gehört der Lokalpatriotismus zur Grundausstattung. Er ist Kartograph, einer, der in den 80er-Jahren begann, die Gegend um Dresden beruflich zu vermessen und nie damit aufgehört hat.
"Tatsächlich ist es natürlich so: Grundsätzlich ist jeder Weg ein Wanderweg. Egal, ob er eine Markierung trägt oder nicht trägt. Der Insider weiß sogar: Gerade der nicht markierte Wanderweg, also der kleene Pfad, der so einfach durch die Landschaft geht, ist besonders reizvoll."
Wanderkarten mit Kultstatus
Diese Sätze hört der zweite Mann im Wald nicht so gern. Dietrich Butter ist Nationalparkchef in der Sächsischen Schweiz, dem kleinsten Nationalpark Deutschlands, der noch einen anderen Superlativ zu bieten hat. Er hat die dichteste Infrastruktur. Der Mann im lodengrünen Diensthemd steht vor einer Karte der Sächsischen Schweiz und lobt das engmaschige Wanderwegenetz: 400 Kilometer markierte Wanderwege; 49,9 Kilometer Radrouten, 755 Kletterfelsen. Nur eben auf den Böhmschen Wanderkarten gibt es immer noch ein bisschen mehr: Pfade und Pfadspuren, erkennbar an den feinen schwarzen Strichen mit den größer werdenden Lücken.
"Naja, er kennt natürlich die Regeln ganz genau. Das sind wunderschöne Karten, und wir haben sie natürlich auch in unserer Verwaltung. Die sind erstaunliche Meisterwerke in der Detailtreue. Wichtig ist, dass in diesen Karten, und da sind wir auch im Gespräch mit Herrn Dr. Böhm: Welche Betretungsrechte, welche Wegegebote im Nationalpark bestehen. Es ist nämlich so: In der Kernzone, und das ist nur ein Viertel des Nationalparks, dort haben wir die Verpflichtung, dass sich Besucher nur auf markierten Wanderwegen bewegen. Das ist eben wichtig, dass das auch auf Karten so deutlich ausgewiesen wird."
Da ist Konfliktpotential: die schützenswerte Natur im Nationalpark. Und der Mensch, der sich in ihr bewegen will. In der Sächsischen Schweiz sind das im Jahr durchaus mal 2,9 Millionen Besucher. Einige davon landen bei Bärbel Gärtner im Tourismusbüro an der Festung Königsstein:
"Und es ist eben handgezeichnet. Und der Herr Böhm macht natürlich eins: Was er gezeichnet hat, hat er auch gelaufen. Der weiß, wovon er spricht."
Sie breitet eine Böhm-Wanderkarte aus. Die haben hier Kultstatus:
"Und der Hit bei dem Herrn Dr. Böhm ist immer dieses kleine Mädchen oder der kleine Junge, der auf der Wanderkarte zu suchen ist. Er hat jetzt 'ne neue rausgebracht über das Khaatal. Und deswegen hab ich gesucht und auch gefunden dieses Mädchen. Das ist nämlich hier oben. So sieht das Mädchen aus. Und das ist die Herausforderung für den Insider, dieses Mädchen zu finden."
Zeichentisch von Rolf Böhm
© Bild: Rolf Böhm
Wanderkarten wie gemalt. Doch dieses "Wie" schluckt schnell herunter, wer in dem kleinen Büro von Böhms kartographischem Verlag in Bad Schandau steht. Der Mann in kariertem Campinghemd sitzt an seinem kleinen Schreibtisch vor einem - auf den ersten Blick - weißen Blatt. Um das feine Gitternetz zu zeigen, schiebt Rolf Böhm die Brille über die Stirn und kneift die Augenbrauen zusammen:
"Die Karte entsteht natürlich in ihrem Wesen nicht dadurch, dass ich hier mit der Feder jetzt mal so'n kleenen Strich mache, obwohl das natürlich genau die Linien sind, die dann als Wanderwege auf der Karte drauf sind, sondern das Eigentliche ist das Konvolut der Menge. Ne, so mal in drei Sekunden hier so zwei Zentimeter Weg gezeichnet: zwei Mehlkrümel sind noch keine Sahnetorte. Erst wenn man das ganz viele Stunden, Tage und Wochen so macht, da bekommt das Wort 'Geduld' eine neue Dimension. Der Fliesenleger hat sich mal bei mir entschuldigt, dass er, als so viel Rohrleitungen zu umfliesen waren, dass er so wenig Fläche geschafft hat, und ich hab dann gesagt: 'Brauchst dich nicht bei mir entschuldigen, ich schaff manchmal an einem ganzen Tag nur ein Stück Karte, was würfelzuckerstückgroß ist.'"
Er wirkt ein bisschen, als sei aus der Zeit gefallen. Ein Kartograph, der über einem 50 mal 60 Zentimeter großen Blatt sitzt, das in 1.000 Stunden Zeichenarbeit eine Wanderkarte wird. Und der seine Tusche selbst anrührt - ein bisschen Schellack muss unbedingt drin sein.
"Ach ja, Gott, sind wir so altmodisch? Na ich vielleicht! Kartographen sind Wundertäter und man kann och sagen, sie sind ein bisschen Dummköpfe. Unsere Mutter Erde wird erst mit einem Riesenkoordinateninstrumentarium platt gedrückt , das sie aufs Papier draufgeht, und wenn se dann platt gedrückt ist, dann macht man ein Haufen mit Schummerung und Schattierung, Höhenlinien und den ganzen Kringeln, dass man's wieder dreidimensional kriegt. Und eigentlich machen wir den ganzen Firlefanz nur, damit sich unsere Muttererde so schön zusammenfalten lässt und in die Hosentasche stecken."
Bei Böhm beginnt auch der "Computerhokuspokus"
Rolf Böhm greift zur Thermoskanne, der Kaffeeduft erfüllt den Raum, in dem sich in hellen Holzregalen zusammengerollte Karten stapeln. Er gießt Kaffee in ein kleines Marmeladengläschen:
"Sie nehmen den ganz gewöhnlichen Kaffee und dann kann man dann so kleene Schatten anlegen. Kaffee hat den Vorteil, er trocknet relativ schnell wasserunlöslich auf. Die Hausfrau wird mir widersprechen: Kaffeeflecken gehen eigentlich mit Waschen raus - aber für 'ne Reinzeichnung: Die kommt ja och nicht in die Waschmaschine."
Man kann die Entstehung einer Böhmschen Karte anhand von Stiften beschreiben. Dann sind Fineliner, Bleistift, Tintenfüller, Pinsel die Hauptpersonen. Und der Rapidograph:
"Die Dinger heißen in amtsdeutsch Tuschefüller. Det ist der Ost-Rapidograph. Der Skribent. Bisschen russische Technik. Der zeichnet, der fährt mit allem, was flüssig ist und brennt."
Doch vor dem Zeichnen stellt sich auch für den 56-Jährigen die alles entscheidende Frage im 21. Jahrhundert. Die Datenfrage:
"Ist ja heute nicht mehr so wie vor 150 Jahren. Die Welt ist vermessen, aber es ist nicht so, dass wir von der Welt zu wenig wissen, sondern wir wissen zu viel von der Welt. Aus den Unmassen Daten, die es gibt, müssen wir das rausfiltern, was wesentlich ist. Ja und da guckt man nach ... da gehen wir mal zu diesem Stapel hier hin ... Das sind so 'ne Pappen, vielleicht 100 Stück ... Und wenn Sie da drauf gucken, denn werden sie nur sagen: Wat is'n das? Hieroglyphen! Das Ding nennt sich Feldbuch, das ist also meine Kartengrundlage, also das ist zunächst mal das alte Messtischblatt von 1931."
Rolf Böhm
Rolf Böhm© Bild: privat
Böhm zieht Kartenschränke auf. Räumt den Kaffee außer Kleckerweite und breitet eine Karte von Neustadt in Sachsen aus. "Messtischblatt 4951 Oberstleutnant Krawuttke 1902" steht in gestochener Handschrift auf dem Rand. Der Kartograph ist sich sicher: Die wahren Schätze verdanken wir den Altvorderen. Krawuttke, der mit glitzernden Messinginstrumenten, Stativ und kleinem Fernrohr, Zirkel und Lineal Wochen, Monate durch die Botanik hirschte, der Handwerker, der die Karte in Kupfer gestochen hat - und die Archivare, die sie Jahrzehnte liegen ließen. Bis ein gewisser Rolf Böhm aus Bad Schandau mal wieder einen Brief schickt ans Bundesamt für Geodäsie und Kartographie:
"BKG, riesengroße Bundesbehörde, da schreiben Sie hin, und da schicken die Ihnen für fünf Euro 'n Messtischblatt von 1931 ... Wees bloss keener. Die Messtischblätter sind die allerbesten Karten, die es überhaupt gibt. Nicht so viel googeln und Google Earth, sondern ans BKG schreiben und Messtischblätter schicken lassen, da sehen Sie die Landschaft, wie Sie wirklich ist."
Und für das, was sich da in der Landschaft in den letzten Jahrzehnten verändert hat, dafür fühlt Böhm sich zuständig. Er scannt die alten Messtischblätter, dann, sagt er, beginnt auch bei ihm so ein bisschen der Computerhokuspokus – mit Gitternetzlinien und Passpunkten und am Ende steckt er sich das Feldbuch in hellgraue oder braune Din-A4-Pappen aufgeteilt in die Segeltuchtasche. Man könnte ihn für einen Wanderer halten, aber Rolf Böhm ist, wenn er gerade mal wieder an einer Karte arbeitet, von Montag bis Freitag auf Aktualisierungsbegehung:
"So loof ich immer durch de Botanik und meistens hab ich da noch son Rucksack druff. So, jetzt gucken wir mal, wir sind hier. Das ist das Gebäude. Wird ein Punkt reingemacht. Punkt heeßt, das es nachgewiesen ist. Jetzt gehen wir hier lang."
Böhms Grundantrieb ist die Lehrpfaditis
Der grüne Stift für die Vegetation, der rote für das Relief und die Felsformen, und der blaue Stift kommt zum Einsatz, wenn Wege, Häuser, Zäune und Strommasten eingezeichnet werden. Rolf Böhms Bilanz: Einen Quadratkilometer abzuwandern und alles in die Karte zu zeichnen, dafür braucht er draußen im Gelände zwei Tage. Mindestens alle sieben Jahre muss Böhm seine Karten aktualisieren. Denn so radikal, wie man denkt, verändert sich im Osten, in Sachsen, in seinem Freiluftarbeitsplatz, die Landschaft gar nicht:
"Ne, es ist nicht so viel. Es wird immer dann dumm, wenn der Planer zu sehr zuschlägt, also ich sage mal Autobahnen, Gewerbegebiet, Industriepark - irgend so was, dann, dank des Baggers, wird die Landschaft ziemlich radikal verändert und dank des Planfeststellungsverfahrens immer so'n bisschen krumm und schief."
Und wieder mal rät der Kartograph zu einem Perspektivwechsel:
"Das Erleben der Landschaft durch Baumaßnahmen ändert sich eigentlich mehr, als sich wirklich die Landschaft ändert. Ich sag mal salopp so: Wenn irgendwo 'ne Ortsumgehung gebaut wird, dann fährt natürlich jeder die Ortsumgehung lang und dann nimmt er natürlich den Ort radikal anders wahr. Aber letztendlich ist es och bloß eene Straße, die da irgendwo langgeht."
Der Moment, in dem aus dem Kartographen Rolf Böhm ein Wegedoktor mit dem Blick für eine akute Entzündung wird, ist unspektakulär. Eigentlich ist es nur ein großes, grünes Schild, eines von 3.000 im sächsischen Nationalpark, das ihn aufmerksam werden lässt. Er liest mit derselben Gründlichkeit, mit der er zeichnet:
"Ja so 'ne Sprüche auf Wanderwegetafeln wie 'Kennzeichnend für die Sächsische Schweiz ist der rasante Wechsel von trockenen und feuchten Biotopen' – ja, klasse Informationsgehalt, also wäre ich da jetzt nicht drauf aufmerksam gemacht worden, dann müsste ich, wenn ich dereinst die Sterbesakramente empfange, ohne dieses Wissen ins Grab gehen, dass es feuchte und trockene Biotope gibt."
Das Lehrmeisterhafte der Beschilderung - für Rolf Böhm ist es ein Grundantrieb der Lehrpfaditis. Er kann mit Fug und Recht behaupten, er hat der Wegekrankheit zum Namen verholfen. Und sie ist längst nicht nur in Sachsen zu Hause. "Flößersteig" heißt der auf der Tafel beschriebene Lehrpfad. Der schmale Weg, der ins stachlige Dickicht führt, soll laut Beschreibung als Berggraben in Altendorf enden. Steht allerdings auf keiner Böhmschen Wanderkarte:
"Nenene. Jetzt könnte man mal hier reingehen, aber ich glaube, das ist ein Weg, der nicht karteneintragungswürdig ist, der endet einfach. … Na, hier haben wir eine leichte Übersignaturierung. Roter Punkt, roter Strich und hier unser Lehrpfad. … Achtung! Das ist eine ganz wunderbar schöne Wegesignatur, denn Sie sehen, die ist an 'ner Baumrinde, die ist uralt, die sind in die Breite gegangen; die sind nicht mehr quadratisch, die Dinger, die sind rechteckig, weil der Baum gewachsen ist."
Die naive Frage der Mitwanderin, ob das denn überhaupt noch erlaubt sei, so eine Signatur einfach und direkt auf dem Baum, lässt Rolf Böhm ganz tief einatmen:
"Schon der Versuch, dass ich Ihnen jetzt 'ne Antwort drauf geben will, führt zwangsläufig in deutsches Behörden- und Verwaltungsdenken und kann nur eine Sackgasse sein. Selbstverständlich ist die einfache, native Wegemarke, die die einfach mit Farbe auf einen Baum aufgemalt ist.
Wer nur eine halbe Stunde mit Rolf Böhm durch die Gegend streift, der bekommt den Blick dafür, wie die deutsche Regulierungswut auch vor der bewaldeten Kulturlandschaft nicht halt gemacht hat. Und Rolf Böhm ahnt: Fördermittel, die haben das Problem in den letzten Jahren verstärkt. Nicht nur bei der Markierung und Asphaltierung von Wanderwegen, auch bei der Rundwegebildung:
"Und denn haben sie um jeden Ort einen Kringel, aber denken Sie bitte selber mal nach: Wann haben Sie sich in ihrem Leben letztmalig danach gesehnt, in einem kleinen Ort einmal rundrum zu gehen? Besser ist es, der Wanderer sucht sich selber seinen Weg: 'Nen alten Holzrückeweg, den der Förster nicht mehr braucht, ne Steinbrechertreppe, die längst nicht mehr als Arbeitsweg benutzt wird."
"Signaturen sind sowas wie Leberwurstgeschmack"
Historische Wege, die allerdings sind in der Sächsischen Schweiz ein ganz heißes Eisen. Die Interessengemeinschaft der Stiegen- und Wanderfreude beklagt, dass in den letzten 23 Jahren in der Kernzone des Nationalparks 75 Prozent der historisch gewachsenen Wege klammheimlich gesperrt wurden. In Rolf Böhms Karten aber sind sie natürlich verzeichnet, denn für den Kartographen ist das gewissermaßen redaktionelles Credo: Was es in der Natur gibt, das schlängelt sich auch auf seiner Karte.
Rolf Böhm - inzwischen wieder in seinem kleinen Büro in Bad Schandau - glaubt an die Harmonie zwischen Naturschutz, Naturerlebnis und Tourismus in der 500 Jahre alten Kulturlandschaft Sächsische Schweiz:
"Ein Nationalpark ist eine Landschaft, in der die Natur geschützt wird, aber die auch dem Zutritt des Menschen dient. Es gibt auch so 'ne Großschutzgebietszone, wo man sagt, ja hier ist strenger Naturschutz, aber hier kommen Menschen nicht rein. Das ist dann aber keen Nationalpark, das ist 'nen Totalreservat. Wir sind eine Fremdenverkehrslandschaft auch mit ganz vielen Besuchern. Nur dank unserer vielen Gäste gibt es auf den vielen Bergen diese schönen Bergaststätten, die könnten wirtschaftlich niemals überleben von fünf verkauften Mittagessen pro Tag."
Er breitet seine Wanderkarte "Die Bastei Maßstab 1 zu 10.000" aus und verweist auf die schwarzen Bierhumpen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass Böhm mit der Henkelausrichtung Botschaften sendet:
"Das wird mir nachgesagt, dass den Henkel links, die Wirte kriegen, die mir gefallen und rechts die nicht! Das stimmt nicht! Bei Parkplätzen, da steckt ein bisschen System dahinter. Böhm Wanderkarte kaufen, zweimal gebührenfrei parken, und schon hat sich die Karte amortisiert."
"Schöner Strommast" oder "Zur Blitzkiste“ - das sind die kleinen Servicemitteilungen, die Böhm gern in seine Karten zeichnet. Und dabei lange über Signaturen nachdenkt. 300 bis 400 Kartensignaturen, schätzt der Sachse, gibt es , aber er hat große Freude daran, noch einige mehr zu entwerfen:
"Ungewöhnlich für Deutschland: Es gibt da keine Vorschrift. Wenn Sie jetzt sagen: Herr Böhm, nennen Sie mir mal das Gesetz und die DIN-Norm , wo drinne steht, dass Wälder in 'ner Karte grün und Flüsse in der Karte blau sind. Ne, das gibt’s nicht. Signaturen sind sowas wie Leberwurstgeschmack. Da macht sich niemand Gedanken drüber. Ja, schmeckt oder schmeckt nicht."
Ein unendlich großer Wald
Und doch bringen sie ihn mitunter auch zur Verzweiflung. Verbotsschilder zum Beispiel, da ist ihm einfach noch keine passende Signatur eingefallen. Das Kulturgut des Verbotsschildes, das ist auch so eine Leidenschaft des Herrn Böhm. Eigentlich fotografiert er höchst selten, wenn er im Gelände unterwegs ist, aber wenn Anweisungen wie: "Baden und Angeln verboten!" in formvollendeter Typographie auf frisch gekärchertes Sandsein-Mauerwerk gemalt wurden, dann muss das dokumentiert werden. Neulich hat er sogar einen Flurnamen vergeben:
"Das war so 'ne wilde Mülldeponie und da haben die draufgeschrieben: "Liebe Mitbürger! An dieser Stelle dürfen Sie über das Abladen von Müll nicht einmal nachdenken!" Da hat sich richtig eener nen Kopf gemacht! Das Mülldenkverbotsschild! Ich hab dann bloß hier ganz kleen rangeschrieben: "Zum hübschen Müllplatz".
Allein zwölf Detailkarten aus der Sächsischen Schweiz hat Rolf Böhm mittlerweile gezeichnet. Und es gibt durchaus Landschaften in Sachsen, die würde er nie kartieren. Die Dresdner Heide gehört dazu. Dort ist er zum Wanderer geworden, als er vier oder fünf Jahre alt war und mit seiner Oma immer ein bisschen tiefer in den Wald vordrang. Und so ist die Dresdner Heide noch heute für ihn ein unendlich großer Wald, eine Art Kanada:
"Jetzt erzähle ich wieder ein bisschen aus dem innersten Nähkästchen meiner Seele: Mit dem Kartieren der Sächsischen Schweiz habe ich selber in meinem Herzen auch die Sächsische Schweiz ein bisschen zerstört. Es ist nicht mehr der unbekannte Wald. Und es ist auch ein bisschen was Ernüchterndes, wenn man hinter jedem Felsen und hinter jedem Weg schon im Voraus weiß. Es hat auch was, was die Erlebnisfähigkeit einschränkt, wenn man alles kennt. Wenn man weiß: Hier brauchst de keene Karte mehr, du hast ja alles im Kopf. Zum Glück kommt dann mit dem Alter ein wenig die Vergesslichkeit. Übrigens auch, wenn ich mit Freunden und Bekannten wandern gehe: 'Rolf, wo gehts'n hier lang?' Ich sag: 'Tut mir leid, ich hab Feierabend. Guckt auf de Karte!'"