Karrieredenken

"Eine Einbuße an Gemeinsinn"

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Trophäen der Erfolgreichen: Luxusauto und Yacht © picture alliance / dpa / Florian Schuh
Moderation: Susanne Burg · 28.05.2014
Erfolgreich zu sein gilt als Maß aller Dinge in der modernen Welt. Doch die Betonung der Konkurrenz führe zugleich zu einem Überbietungswettbewerb und zu Überforderung, meint der Historiker Jürgen Kocka. Andere Ziele wie gesellschaftliches Engagement kämen dann zu kurz.
Susanne Burg: Die Formel ist relativ einfach: Je mehr Erfolg, desto mehr Wert und Status in dieser Gesellschaft. Erfolg ist, was zählt. Aber warum ist das eigentlich so? Welche sozialen Voraussetzungen und Folgen hat dieses Motto Erfolg um jeden Preis?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich ein neues Buch, das von Sozialwissenschaftlern am Berliner Wissenschaftszentrum herausgegeben wurde: von Denis Hänzi, Hildegard Matthies und Dagmar Simon. "Erfolg. Konstellation und Paradoxien einer gesellschaftlichen Leitorientierung", so heißt es.
Und der Historiker und ehemalige Präsident des Wissenschaftszentrums, Jürgen Kocka, hat es gelesen und ist für uns jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Kocka.
Jürgen Kocka: Ja! Hallo, Frau Burg.
Burg: Erfolgreich zu sein, das ist heute ja in allen Bereichen der Gesellschaft die Anforderung. So behaupten es die Autoren. Sogar die moderne Paarbeziehung, die private Beziehung, werde diesem Erfolgstreben unterworfen. Teilen Sie diesen Befund? Ist Erfolg die zentrale Leitwährung unserer Gesellschaft?
Kocka: Ich denke schon. In den verschiedensten Lebensbereichen sehen wir das ja: in der Wirtschaft, in der Arbeitswelt mit der Betonung von Erfolg, Karriere und Wettbewerb, aber auch im Sport, aber auch in der Wissenschaft mit den dauernden Evaluationen und starken Wettbewerbselementen, aber auch in der Unterhaltung, denken Sie an die Casting-Shows, und eben auch in den Karrieren der Menschen, und Doppelkarrieren besonders.
Wenn man das sich anschaut, sieht man, dass da Wettbewerb und Erfolgsdenken heute eine viel größere Rolle spielt als vor 50 oder vor 100 Jahren.
Burg: Genau. Heutzutage nehmen wir das ja fast schon als selbstverständlich hin. Inwieweit ist denn diese Entwicklung historisch an die Moderne, an die Modernisierung der Gesellschaft gebunden?
Wurzeln liegen im bürgerlichen Leistungsdenken
Kocka: Die Betonung des Leistungsgedankens und des Leistungsmessungsgedankens ist - das zeigt jüngere Forschung - vor allem im späten 19. Jahrhundert entstanden und damals im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Kapitalismus, mit dem Aufstieg naturwissenschaftlichen Denkens und dem Beginn einer Hochmoderne, wie man sagt.
Aber die Wurzeln liegen vielleicht noch tiefer, im bürgerlichen Leistungsdenken, obwohl dann damals eher von Arbeit und Bildung gesprochen wurde um 1800, aber diese Überzeugung von der eigenen Gestaltungskraft und Leistungsfähigkeit im Unterschied zum absolutistischen Staat, im Unterschied zur ständischen Welt, das ist tief drin in der bürgerlichen Kultur, wie sie dann im 19. und noch im 20. Jahrhundert unser Denken, unser Leben bestimmt hat.
Burg: Sie sprachen eben von der Leistungsfähigkeit. Wie stark ist denn historisch gesehen Erfolg eigentlich an Leistungen gebunden? Wie hat sich dieses Verhältnis entwickelt?
Verbindung von Leistung und Erfolg
Kocka: In den zurückliegenden Jahrhunderten waren Erfolge und die daraus folgenden Vorsprünge an Macht und Vermögen und Anerkennung eigentlich nicht so stark an Leistung gebunden. Sie waren ererbt und nicht erarbeitet. Aber im Laufe des 18., 19., 20. Jahrhunderts wurde Leistung immer stärker zu einer Ursache von Erfolgen und gleichzeitig war Erfolg davon auch abhängig, dass er durch Leistung legitimiert werden konnte. Wer nur reich und mächtig sein wollte, ohne zeigen zu können, dass er oder sie sich das auch erarbeitet oder im Wettbewerb erstritten hatte, hatte schlechte Karten. Eine enge Verbindung von Leistung und Erfolg bildete sich heraus, zumindest als Versprechen, und dies ist nicht immer so in der heutigen zeit.
Burg: Genau! Für die heutige Zeit diagnostizieren die Autoren, erfolgreich sein, heißt nicht automatisch etwas zu leisten. Erfolg und Leistung, sagen sie, würden zunehmend entkoppelt. Ein Beispiel, das sie geben, ist: Die Superreichen, die super erfolgreich sind, die leisten nicht unbedingt was. Oder die Superarmen, die erfolglos sind, ohne dass sie alle Versager sind. Hat das immer weniger miteinander zu tun, Erfolg und Leistung?
Kocka: Jedenfalls sehen wir große Bereiche, wo es zu einer Entkoppelung von Leistung und Erfolg kommt, und dafür ist der Superreichtum und auch die ökonomische Macht an der Spitze des gegenwärtigen finanzkapitalistischen Systems das schlagendste und auch viel diskutierte Beispiel. Aber in der Tat: Wenn man sich die Armut in der Welt ansieht, diese ja zirka Milliarden Existenzen, die sogenannte informelle Arbeit in den Städten von Bangladesch oder Indien oder Lateinamerika oder Afrika leisten, diese Armut lässt sich nicht durch mangelnde Leistungsfähigkeit oder gar durch Leistungsverweigerung erklären, und dies ist ein Problem, ein Legitimationsproblem, mit dem wir uns beschäftigen müssen.
Burg: Der Historiker Jürgen Kocka ist zu Gast hier im Deutschlandradio Kultur. Der Grund ist ein neuer Band, der gerade erschienen ist, zum Erfolg als Leitorientierung unserer Gesellschaft. - Herr Kocka, es braucht ja eigentlich erst mal nur den normalen Menschenverstand, um festzustellen, dass Menschen der Erfolg unter Umständen schon in die Wiege gelegt wurde. Wie wirkt sich denn die soziale Herkunft auf die Einstellung zum Erfolg, auf die Antriebskraft, erfolgreich sein zu wollen, aus?
Vereinbarung von Lebenszielen mit Familie und Paarbeziehung
Kocka: Das Buch, das Sie vorstellen, hat dazu interessante Ergebnisse. Es zeigt, dass Aufsteiger besonders erfolgsorientiert sich verhalten, und interessanterweise Zuwanderer in der zweiten Generation, aus der Türkei insbesondere, spielen dabei eine große Rolle, während auf der anderen Seite Personen, die schon aus Oberschicht-Familien stammen, ein lässigeres Verhältnis zum Erfolg zu demonstrieren scheinen und eher in der Lage sind, Erfolg auszubalancieren mit anderen Werten des Lebens.
Und hier kommt auch die Frage von Männern und Frauen ins Spiel. Doppelkarrieren spielen eine große Rolle in diesem Buch, und Frauen sind ja eben erst in den letzten Jahrzehnten in höherem Maße einerseits in die Erwerbsarbeit, andererseits auch in Führungspositionen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens voll oder immer noch noch nicht voll, aber mehr als früher eingerückt. Und das führt dazu, dass gerade auch Frauen sehr stark diesem Erfolgsdenken anhängen und dann auch große Probleme sehen in der Vereinbarung mit anderen Lebenszielen im Zusammenhang von Familie und Paarbeziehung.
Burg: Nun nimmt ja auf dem Arbeitsmarkt die Flexibilisierung und die Unsicherheit zu. In den Nachrichten gab es gerade wieder die Ankündigung der neuen Arbeitsmarktzahlen. Immer mehr Menschen sind prekär beschäftigt, für die dürfte dieses Leitmotiv Erfolg fast zynisch klingen. Wie verändert sich denn die Einstellung zum Erfolg in Zeiten einer Wirtschaftskrise?
Kocka: Für eine große Zahl von Menschen gilt - das zeigen auch Forschungen in diesem Buch -, Überlebensstrategien sind das Zentrale statt Karriere, Erfolg, und da entwickelt sich auch ein gewisser Stolz, wenn man es schafft, einen Job zu behalten oder einen zu haben und sich einen anderen zu erkämpfen und sich durchzubringen, sich und die seinen. Und auch muss man sagen, dass in einem großen Mittelbereich von nicht Spitzenpositionen, aber auch nicht den Ärmsten, der große Mittelbereich der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen und kleinen Selbständigen, dass dort auch weiterhin sehr viel Überzeugung darüber da ist, dass Leistung sich als Erfolg auszahlt, und die Biografien, die man dann untersuchen kann, zeigen auch, dass es nicht zu einer völligen Entkoppelung von Leistung und Erfolg gekommen ist, sondern dass Leistung auch weiterhin zu Erfolg führen kann und Erfolg ohne Leistung eher selten ist. Also in der Realität bildet sich ab, wie unterschiedlich unsere Welt ist und wie unterschiedlicher sie auch wird.
Burg: Aber die Logik aus diesem Erfolgsstreben ist natürlich eigentlich, jeder ist sich selbst der Nächste. Was stellt das denn mit einer Gesellschaft an?
Überforderung und Überbietungswettbewerb
Kocka: In Bezug auf die Gesamtgesellschaft bedeutet wohl die Betonung des Erfolgswettbewerbs und Karrieredenkens eher eine Einbuße an Gemeinsinn, und dem halten ja viele andere Tendenzen entgegen. Wir betonen zivilgesellschaftliches Engagement, Nicht-Regierungsorganisationen, viele Initiativen. Für die einzelnen bedeutet diese Betonung des Konkurrenz- und Erfolgsgedankens häufig auch Überforderung und so etwas wie ein Überbietungswettbewerb tritt ein, und es ist wichtig, aber auch möglich und auch praktiziert, diese Erfolgsperspektiven auszubalancieren mit ihrer Begrenzung, mit Orientierung an anderen Werten und Lebenspraktiken, und in der Tat trägt dieses Buch, indem es das Problem identifiziert und viele Antworten darauf skizziert, zur Lösung dieser Frage auch mit bei.
Burg: Sagt Jürgen Kocka, der Historiker und ehemalige Präsident des Wissenschaftszentrums Berlin. Mit ihm sprach ich über einen neuen Band, der jetzt erschienen ist. Er heißt "Erfolg. Konstellationen und Paradoxien einer gesellschaftlichen Leitorientierung" und ist im Nomos Verlag erschienen. Ihnen vielen Dank, Herr Kocka.
Kocka: Bitte sehr!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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