Karriere zwischen Weltruhm und Drogenabsturz

Rezensiert von Andreas Malessa · 22.09.2005
Johnny Cash ist eine der widersprüchlichsten Persönlichkeiten der amerikanischen Rock- und Popgeschichte. Seine Karriere war eine Achterbahnfahrt zwischen Weltruhm und Drogenabsturz, evangelikalem Missionseifer und Entziehungskur. John Turner legt mit "Ein Mann namens Cash" eine neue Biografie des vor zwei Jahren verstorbenen "Man in Black" vor.
"Johns Bruder war 14, als es passierte. Er schnitt Zaunpfähle. Es war eine jener Schwingsägen, die man auf sich zu zieht. Das Sägeblatt blieb an irgendeinem Hindernis hängen, sprang heraus und erwischte ihn am Brustkorb."

Als John Cash, geboren 1932 in Kingsland/Arkansas als Sohn eines gewalttätigen, rassistischen Baumwollpflückers und Tagelöhners, mit 12 Jahren den Unfalltod seines zwei Jahre älteren Bruders erlebt, macht sein Vater ihn dafür verantwortlich. Zeitlebens werden Schuldgefühle, Suff und Gewalt den fast 1,90 Meter großen Johnny Cash begleiten.

"Fast alle bei "Sun Records" in Memphis hatten einen fundamentalistisch-evangelikalen Hintergrund. Elvis Presley, Carl Perkins, Johnny Cash, Jerry Lee Lewis. Seit 1955 hatte die Musik sie alle reich und berühmt gemacht und die inbrünstige Religiosität ihrer Kindheit war zu einem sentimental-nostalgischen Gefühl degeneriert. Jetzt sangen sie von Sex n' Drugs n' Rock n' Roll, zertrümmerten Hotelzimmer und betrogen ihre Frauen, dachten und fühlten aber paradoxerweise immer noch streng religiös."

Solche Kommentare unterscheiden Steve Turners neues Buch "Ein Mann namens Cash" von den bisherigen Johnny-Cash-Biografien. "Der Mann in Schwarz" 1975 – schon damals als "schonungslose Autobiografie" untertitelt - war ein von Johnny Cash selbstverfasstes Missionstraktat gewesen, das vom Zerbrechen der ersten Ehe mit der streng katholischen Vivian Liberto, von den Festnahmen wegen Trunkenheit und Drogenschmuggel und von der Freundschaft zu Prediger Billy Graham stets im Gestus des reuigen Sünders erzählte.

"Cash – die Autobiografie" 1997, von Christopher Wren geschrieben, war die Huldigung eines Fans, in der sein Selbstmordversuch 1967, das Ende der evangelikalen Phase 1980 und die Entziehungskur 1982 nur am Rande oder arg beschönigt erwähnt wurden.

Steve Turner hingegen, renommierter Musikkritiker und akribischer Chronist aus London, hat in mehr als 40 ausführlichen Interviews mit Familienangehörigen und Weggefährten die abenteuerlichen 70 Jahre dieses schillernden Charakters aus Nashville nüchtern recherchiert und erstmalig umfassend dargestellt.

"Johnny Cash taugte hervorragend zu einer amerikanischen Ikone, die generationenübergreifend wirkte. Die Älteren schätzten ihn wegen seines Militärdienstes, seiner Gospelsongs und seiner Karriere vom Baumwollpflücker aus Arkansas zum Weltstar, der im Weißen Haus aufgetreten war. Die Jungen identifizierten sich mit einem, der Seite an Seite mit Bob Dylan gegen den Vietnamkrieg protestiert hatte, für Todeskandidaten im Gefängnis St Quentin sang und alle Autoritäten radikal herausforderte."

Als Johnny Cash 1993 in Los Angeles Rick Rubin kennen lernt, den Produzenten aller namhafter Rap- und Alternativ-Rock-Künstler der 90er, und im selben Jahr in Dublin Bono Vox, Sänger der Rockband U2, da beginnt das vielleicht erstaunlichste Comeback der Popgeschichte: 7 Millionen Exemplare des U2-Albums "Zoo-ropa" und 2 Millionen Stück seiner eigenen CD "American Recordings" tragen die simple Gitarrentechnik und die brüchige Stimme eines Countrysängers in die Welt, der immer die mitfühlende Warmherzigkeit seiner Mutter und die selbstzerstörerische Aggressivität seines Vaters ausleben musste , gebändigt und miteinander verbunden durch die Liebe seiner zweiten Frau June Carter Cash.

"Ein 62-jähriger Baptist aus Arkansas wurde zum Idol einer radikal ratlosen Enkel-Generation, die im Werte-Chaos der Postmoderne und in den Zynismen des entfesselten globalen Marktes plötzlich eine durch und durch ehrliche, authentische Stimme hörten. Diese Stimme sang von Mord und Totschlag, Sucht und Knast, von Liebe und Treue und – von der Barmherzigkeit eines altmodischen Gottes."



Steve Turner: Ein Mann namens Cash
Übersetzt von Christian Rendel
Johannis-Verlag Lahr 2005
384 Seiten, 32 Abb., 22, 00 €
Johnny Cash im Jahr 1977
Johnny Cash im Jahr 1977© AP Archiv