Karriere eines Massenmörders

Der Historiker Peter Longerich legt eine umfassende Biografie Heinrich Himmlers vor, in der er besonders dessen frühen Jahre beleuchtet. Der Kenner der NS-Geschichte zeichnet ihn als eine Person, deren Handeln von Minderwertigkeitsgefühlen, Bindungsschwäche und einem überspannten Hang zur Selbstkontrolle geprägt war.
Auf Fotos wirkt er seltsam blass. Ein weichlicher Brillenträger, der sich bemüht, Haltung zu zeigen. Einer, der selbst in SS-Uniform wie ein Zugschaffner aussieht, doch nicht wie der oberste Führer eines elitären Germanenordens.

Heinrich Himmler, geboren 1900 in München als Sohn eines angesehenen Gymnasialprofessors, war eine unauffällige, eher linkische Erscheinung. Fleißig in der Schule, nicht sonderlich beliebt, magenleidend, mit festem Willen, Offizier zu werden. Das klappte nicht, der Erste Weltkrieg war beendet, bevor Himmler zum Einsatz kam. Enttäuscht studierte er Landwirtschaft, schloss sich einer schlagenden Studentenverbindung an, später der NSDAP.

Der Historiker Peter Longerich legt nun eine umfassende Biographie Heinrich Himmlers vor, in der er besonders dessen frühen Jahre, seine "formative Periode" detailliert ausleuchtet. Longerich, einer der besten Kenner der NS-Geschichte, zitiert Briefe, Lektürelisten und Tagebucheintragungen des jungen Himmler. Er zeichnet ihn als eine Person, deren Handeln von Minderwertigkeitsgefühlen und Bindungsschwäche ebenso geprägt ist, wie von einem überspannten Hang zu Selbstkontrolle und Affektvermeidung.

1929 wurde Himmler zum "Reichsführer SS" berufen, eine damals keineswegs exponierte Position, die er jedoch als Sprungbrett für seine Karriere im NS-Apparat nutzte. Nach 1933 gelang es Himmler als Chef der Polizei, diese der Kontrolle der Justiz zu entziehen und sie mit der SS zu verschmelzen. Damit schuf er sein eigenes schlagkräftiges Terrorinstrument. Dessen Aufgaben definierte er je nach politischer Lage neu. "Himmlers eigentliche Stärke", schreibt sein Biograf, "bestand darin, alle zwei bis drei Jahre jeweils neue Konzeptionen für seinen Machtbereich zu entwerfen, die den einzelnen Teilen dieses heterogenen Machtkonglomerats aufeinander bezogene Aufträge zuwiesen, die auf die Gesamtpolitik des Regimes abgestimmt waren."

Indem Himmler sich immer rechtzeitig auf Hitlers politischen Vorgaben einstellte, machte er sich unentbehrlich und konnte so seinen Machtbereich eigenständig regieren und ausweiten. Anhand zahlreicher Beispiele weist Longerich allerdings nach, dass anstelle fester ideologischer Prinzipien vor allem eine krude Mischung aus Antisemitismus, Slawenhass, Germanenkult, Opportunismus, Kontrollwahn und Machtgier das Handeln des "Reichsführers SS" und späteren "Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums" motivierte.

Der an der Universität London lehrende Historiker geht in seinem Buch nicht nur der Biografie Himmlers, sondern auch dessen Bedeutung für die SS nach. Besonders in Himmlers zweiter Lebenshälfte lassen sich Privatperson und politischer Funktionsträger nicht mehr voneinander unterscheiden. Longerich beschreibt Himmler als "extremes Beispiel nahezu totaler Personalisierung politischer Macht". Eine "integrierte Gesamtgeschichte der SS" ist so entstanden. Sie macht zum ersten Mal deutlich, wie stark Himmlers persönliche Vorlieben Struktur, Selbstverständnis und Handlungsweisen der SS prägten.

Himmlers Karriere als Massenmörder erklärt Longerich mit den spezifischen Herrschaftsstrukturen des Nationalsozialismus. Salopp formuliert: Der Mann passte ins System und nutzte es zu seinen Zwecken. Auf über tausend Seiten versucht Longerich - auch in enger Zusammenarbeit mit Psychologen – Himmlers Persönlichkeit zu entschlüsseln – es gelingt ihm allerdings nicht, eine kausale Erklärung zu finden, warum so ein Durchschnittsmensch zum Massenmörder wurde.

Rezensent: Carsten Hueck

Peter Longerich: "Heinrich Himmler. Biografie ".
Siedler Verlag, München 2008, 1035 Seiten, 39,95 EUR
Cover: "Peter Longerich: Heinrich Himmler - Biographie"
Cover: "Peter Longerich: Heinrich Himmler - Biographie"© Siedler Verlag