Karriere eines Früchtchens

Von Udo Pollmer |
Überall gibt es neuerdings Produkte mit Cranberries, egal ob als Saft, Eistee, Kompott oder Gelee. Und gesund sollen sie auch noch sein. Weltweit werden Jahr für Jahr Cranberries im Wert von über einer Milliarde Euros geerntet.
Was sind überhaupt Cranberries? Beeren, die mit der Blaubeere verwandt sind, die jedoch in vollreifem Zustand statt blau knallrot sind. Ursprünglich waren sie in nordamerikanischen Mooren heimisch, heute werden sie aber auch in Europa (Polen) angebaut. Die Pflanze ist ziemlich anspruchslos und gedeiht auf sauren, etwas sandigen Torfböden, auf denen die meisten Nutzpflanzen eingehen würden. In Monokultur sind sie leider ziemlich anfällig für Pflanzenkrankheiten und Schädlinge aller Art. Insofern verwundert es nicht, dass Gewässer, die durch Cranberry-Plantagen fließen, mit Pflanzenschutzmitteln vergiftet sind. Sie übertreffen alles, was die Chemiker bisher in den USA vorgefunden haben. Für die Früchte gelten die gleichen Regeln wie für andere Beeren auch.

Wie werden sie gewonnen? Die Art des Anbaus hängt entscheidend von der Ernte ab. Und die erfolgt in aller Regel im Wasser. Dazu werden die Plantagen einen Tag vor der Ernte geflutet, dann fährt man mit einer Spezialmaschine, auch "Schneebesen" genannt, durch das Wasser. Dabei lösen sich die Beeren von den Stielen. Da die Beeren über Luftkammern verfügen, schwimmen sie obenauf. Nun werden sie von der Oberfläche mit Schläuchen abgesaugt und zur Verarbeitung transportiert. Ab Mitte Dezember werden die Anlagen erneut überflutet. Die winterliche Eisschicht schützt die Pflanzen vor dem Erfrieren. Im Frühjahr wird das Wasser wieder abgelassen. Ein kleiner Teil der Beeren – und zwar die für den Frischverzehr – werden trocken geerntet. Spezielle Erntemaschinen streifen die Beeren ab. Das sind aber nur fünf Prozent der Ernte.

Wie wird der Rest genutzt? Cranberries gibt es in einer großen Fülle von Zubereitungen. Nicht nur als Tiefkühlware oder Trockenfrüchte. Viele Cranberries essen wir als Pfirsich, Erdbeere oder Kirsche.

Wir glauben Ihnen ja vieles, aber das müssen Sie uns schon genauer erklären! Nun, Cranberries werden tief gefroren und dann in kleine Streifen geschnitten, um den Saft per Gegenstromextraktion vollständig zu entfernen. Die Entsaftung ist deshalb so aufwendig, weil es nicht um den Saft, sondern um die leer gelutschten Hüllen geht. Diese quasi fruchtfreien Hüllen werden nun per Gegenstrominfusion mit einem Spezialsirup imprägniert. Dieser Sirup besteht aus jenen Komponenten, die man benötigt, der Masse den Geschmackseindruck von Erdbeeren, Mangos oder Kirschen zu verleihen: also Aromen, Säuren, Farbstoffe, Zucker, Glycerin usw. Nun folgt eine ausgeklügelte Trocknungstechnologie. Mit Sonnenblumenöl wird das Kunstwerk stabilisiert und nun in die gewünschten Formen gepresst und geschnitten.

Aber das ist doch absurd, da sind Erdbeeren allemal billiger. Das schon, aber sie verursachen bei der Verarbeitung Probleme. Man kann sie beispielsweise nicht in Tiefkühltorten verarbeiten. Sie sind nicht backfähig. Wenn Sie das in irgendwelche Fruchtkekse oder Pausenriegel packen wollen, gibt es eine Schweinerei. Cranberries haben einen geldwerten Vorteil: Sie sind maschinenfreundlich und überstehen die meisten Verarbeitungsschritte problemlos. Deshalb werden daraus "Fruchtstückchen" in jeglicher "fruchtiger" Geschmacksrichtung produziert. Ersetzt man den Zucker durch Polydextrose und Süßstoffe heißt das Ergebnis "gesunde fruchtige Süße ohne Kalorien". Der lästige Saft der Beeren wird über die Getränke- und Aromaindustrie "entsorgt".

Dabei hieß es ja immer, die Cranberries seien so gesund. Sie haben tatsächlich eine nützliche Wirkung: Der echte Saft der Cranberries verhindert, dass sich Erreger von Harnwegsinfektionen nicht mehr in der Blase ansiedeln können. Entgegen der Werbung sind das aber nicht die fantastischen Polyphenole. Die kommen erst gar nicht an den Wirkort. Es sind vermutlich sogenannte Iridoide. Und was wirkt, hat auch Nebenwirkungen: Verschiedentlich traten bei Patienten, die das häufig verordnete Medikamente zur Blutverdünnung erhielten, Blutungen auf. Deshalb: Bleibe im Lande und nähre Dich redlich!

Literatur:
Pszczola DE: Cranberries‘ potential. Food Technology 2006; H.12: 77-79
Eck P: The American Cranberry. Rutgers University Press, New Brunswick 1990
Turner A et al: Coumaroyl iridoids and a depside from cranberry (Vaccinium macrocarpon). Journal of Natural Products 2007; 70: 253-258
Rindone JP, Murphy TW: Warfarin-cranberry juice interaction resulting in profound hypoprothrombinemia and bleeding. American Journal of Therapy 2006; 13: 283-384
Wood B, Stark JD: Acute toxicity of drainage ditch water from a Washington State cranberry-growing region to Daphnia pulex in laboratory bioassays. Ecotoxicology and Environmental Safety 2002; 53: 273-280