Gartenarbeit als Sühne

Kein Nachwuchs für deutsch-polnische Versöhnung

Gießkannen stehen in einem Garten
Gießkannen stehen in einem Garten © picture alliance / dpa / Jens Wolf
Von Brigitte Lehnhoff · 16.08.2015
40 Jahre lang haben Frauen aus Deutschland ehrenamtlich für ein Warschauer Kinderkrankenhaus im Sommer gegärtnert. Doch es wird immer schwieriger, Freiwillige für das deutsch-polnische Versöhnungsprojekt zu finden.
Ein Gärtner schiebt den Mäher über einen breiten Rasen, der sich hinaufzieht zu einem zehnstöckigen, rundum verglasten Gebäude. Das Warschauer Kindergesundheits- und Gedächtniszentrum wurde in den 1970er-Jahren erbaut. Als lebendiges Denkmal für die im Zweiten Weltkrieg umgekommenen Kinder. Zum Konzept des Krankenhauses gehörte von Anfang an eine naturnahe Umgebung: bepflanzte Innenhöfe, ein Spielplatz im Grünen, Rasenflächen, ein kleiner Wald. Das fünfköpfige Gartenteam des Krankenhauses ist froh über jede helfende Hand.
"Ich steh hier am Krankenhaus an der Hecke, die zur Straße hin das Grundstück begrenzt und wir haben den Auftrag, zu siebt sind wir tätig, mit Rosenscheren diese Hecke zu stutzen auf ein vernünftiges Maß. Und diese Gruppe von überwiegend älteren Frauen haben eben das Bedürfnis, auch in Polen ihr Händchen voll Sühne beizutragen zu der deutsch-polnischen Aussöhnung."
Johanna Kulenkampff, pensionierte Lehrerin aus Hannover, arbeitet in Shorts und kurzärmliger Bluse. Mit ihren 77 Jahren ist sie die älteste von zwölf Frauen, die zwei heiße Sommerwochen lang im Garten des Kinderkrankenhaus mit anpacken. Sieben kommen aus der evangelischen Frauenarbeit in Deutschland, fünf von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Bei der gemeinsamen Arbeit kommen die Frauen ins Gespräch. Uta Bonadt aus Görlitz ist Finanzierungsexpertin in der Immobilienbranche. Sie fragt sich, ob Europa wirklich aus dem Zweiten Weltkrieg gelernt hat.
"Ich denke, es müsste viel, viel mehr auch in den Schulen darüber gesprochen werden. Wir erleben's ja jetzt aktuell mit den Flüchtlingen, dass also eigentlich die Vergangenheit gar nicht richtig aufgearbeitet ist. Sonst könnte man sich nicht so schlecht und unmöglich den Flüchtlingen gegenüber benehmen."
"Die jungen Generationen brauchen keine Versöhnung"
Die Vergangenheit kein Thema in der Schule? Die Studentin Eva-Lotta Hagen schüttelt den Kopf. Auf einem Beet am Kinderspielplatz verteilt sie Rindenmulch. Ihre Harke stellt sie beiseite.
"In der Schulzeit, wir haben uns jedes Jahr mit Nationalsozialismus auseinandergesetzt, mit der Vergangenheitsbewältigung, mit Erinnerungskultur, mit dem Holocaust sowieso, mehrfach. Und ich war nicht die einzige, der es so ging, dass wir dachten: Ja, wir würden auch noch gern einen anderen Teil der deutschen Geschichte kennenlernen. Zum Beispiel ich habe mich in meiner Schulzeit höchstens fünf Stunden mit der DDR beschäftigt. Und da frag ich: Ist das nicht ein Teil unserer Geschichte?"
Mit ihren 21 Jahren ist die angehende Erziehungswissenschaftlerin aus Osnabrück die Jüngste in der Gruppe. Ihr Einspruch berührt den Kern des Versöhnungsprojekts. Wie geht zukunftsorientiertes Erinnern, das Menschen auch wirklich berührt? Und kann es für die Jüngeren überhaupt noch um Versöhnung gehen? Polnische Gesprächspartner geben überraschend eindeutige Antworten, zum Beispiel Jakub Deka von der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung. Die Frauen besuchen ihn, um sich über die Arbeit der Stiftung zu informieren.
"Also die jungen Generationen in Polen und Deutschland brauchen keine Versöhnung. Das, was sie brauchen, das ist Annäherung, bessere Kontakte. In den Köpfen von Polen und Deutschen gibt's noch Vorurteile und Stereotypen, oft im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg. Aber das sind Generationen, die die Versöhnung nicht mehr brauchen. Heutzutage die Jugend, die müssen sich nur besser kennenlernen."
Ganz ähnlich sieht es Alina Dąbrowska. Die 92-Jährige hat Auschwitz überlebt und die Frauen sind dankbar, dass die alte Dame bereit ist, ihnen als Zeitzeugin zu berichten. Bis heute fährt Alina Dąbrowska nach Deutschland, um Schülern von ihrer Zeit im Konzentrationslager zu erzählen. Doch nicht, um Schuldgefühle zu wecken, sagt sie. Sondern um das Bewusstsein für eine bestimmte Haltung zu schärfen.
"Wenn ihr schon groß seid und arbeitet und ihr habt etwas zu entscheiden, eine Decision zu machen, dann denkt daran, nicht den anderen Menschen eine Wunde zu machen. Man kann alles machen, ohne den anderen Leuten Schmerzen zu bringen."
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste setzt Arbeit vermutlich dort
Das morgendliche Ritual der Projektteilnehmerinnen: Ewa Rogosz vom Gartenteam gibt Anweisungen, was zu tun ist, Aleksandra Janowska übersetzt. Die Polin ist 29 Jahre alt, studiert in Berlin und engagiert sich bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Auch für sie ist nicht Schuld das Thema, sondern Verantwortung.
"Ich glaube auch, dass die Vergangenheit, die Geschichte Europas, ist eine Art Verpflichtung für uns, unsere Zukunft anders zu gestalten und die Verantwortung zu übernehmen. Es ist auch so, dass dieses Jahr nicht so viele jüngere Menschen zu diesem Sommerlager gekommen sind, aber ich finde es auch wichtig, dass die jüngere Generation sich intensiv mit der Geschichte beschäftigt. Ich glaube, das ist immer das Fundament für die Selbstreflexion überhaupt."
Frauen aus Ost- und Westdeutschland, Frauen mit holländischen und polnischen Wurzeln waren beim jährlichen Sommereinsatz für das Warschauer Kinderkrankenhaus dabei. Tatkräftig haben sie im Garten mitgearbeitet. Nach 40 Jahren endet nun aber dieses Projekt, das ursprünglich auf Versöhnung zielte. Begonnen hatte es in der Bauphase des Krankenhauses mit Einsätzen von Aktion Sühnezeichen Ost. Später ging das Projekt über in die Trägerschaft der evangelischen Frauenarbeit. Dort fehlt allerdings der interessierte Nachwuchs.
Aktion Sühnezeichen Friedensdienste war deshalb in den vergangenen Jahren wieder Kooperationspartner. Womöglich wird diese Organisation der Friedensbewegung weiter mit dem Warschauer Kinderkrankenhaus zusammenarbeiten. Direktorin Małgorzata Syczewska jedenfalls würde das sehr begrüßen.
"Um Schuldgefühle darf es natürlich nicht gehen. Aber die enge Zusammenarbeit bisher hat uns doch gezeigt, dass wir alle ganz normale Menschen sind, mit denselben Träumen und Hoffnungen. Wir hatten eine lange Friedensperiode in Europa. Nun gibt es viele Kriege um uns herum. Und das beweist uns, dass solche Begegnungsprojekte wichtig sind. Sie sind der einzige Weg zu einer friedlichen Welt für uns alle."
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