Karneval

Den Moment genießen, die anderen Leiber spüren

07:07 Minuten
Karnevalisten in Kostümen und Masken
Als der Frohsinn der Karnevalisten noch distanzlos regierte: Beginn der "Session" am 11.11.2019 in Köln. © picture alliance / Geisler-Fotopress / Christoph Hardt
Yvonne Niekrenz im Gespräch mit Ute Welty · 13.02.2021
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Kein Straßenkarneval in der Pandemie: Damit fehle vielen Menschen das Gefühl des Gleichklangs in einem Ausnahmezustand, sagt die Soziologin Yvonne Niekrenz. Sie hat den kollektiven Rausch der jecken Jahreszeit in teilnehmender Beobachtung untersucht.
Keine Umzüge am Rosenmontag, nichts mit Kamelle und Bützchen: Karneval, Fasching und Fastnacht 2021 fallen weitgehend aus. Was der Gesellschaft da an Frohsinn entgeht, weiß Yvonne Niekrenz. Sie hat eine Doktorarbeit über den rheinischen Straßenkarneval geschrieben: "Rauschhafte Vergemeinschaftungen". Mit einem quasi ethnologischen Blick untersuchte sie das Phänomen, "warum eine ganze Region in den Ausnahmezustand versetzt wird, einfach weil der Kalender das jetzt sagt".
Die "rauschhaften Vergemeinschaftungen" im Karneval seien Phasen, die losgelöst seien von einer alltäglichen Wahrnehmung von Raum und Zeit: "Alles, was zählt, ist das Hier und Jetzt, das Genießen des Moments. Der eigene Körper ist da auch massiv mit eingebunden und auch viele andere Leiber, die ich ganz nah an mir spüre." Natürlich gehöre zum Rausch auch eine Übersteigerung – manchmal auch mit Alkoholgenuss verbunden – und eine Freigebigkeit, ein "Hinter-sich-lassen des alltäglichen Laufs".
Das Tragen eines Kostüms spiele eine ganz entscheidende Rolle, sagt Niekrenz. "Das Kostüm markiert im Grunde den Rollenwechsel: Ich bin jetzt nicht mehr die Bankangestellte, sondern die Nonne oder der Frosch oder was auch immer. Ich lasse jetzt alle Alltagsrollen hinter mir und möchte eine Andere sein." Damit lade die Karnevalistin ein zu allem, was an spielerischen Handlungen in dem Kostüm möglich sei, und signalisiere: "Ich bin jetzt jeck, sprich mich nicht in meiner Alltagsrolle an."
Auch wenn dies in Pandemiezeiten wie eine ferne Erinnerung wirkt: In den Momenten des Bei- und Miteinanderseins, im gemeinsamen Schunkeln erlebten die Karnevalisten ein Gefühl der Verbundenheit und des Gleichklangs – ein großes "Wir", hat Yvonne Niekrenz beobachtet.

Anstrengende Feldforschung

Die Recherche für ihre Doktorarbeit über den Straßenkarneval sei "hoch anstrengend" gewesen, erzählt die Soziologin: "Ich habe eine Ethnografie gemacht, eine Feldforschung, die davon lebt, dass man mitmacht und dabei ist, dass man Menschen befragt. Aber das Dramatische war: Während die anderen dann ins Bett konnten und schlafen, habe ich meine Protokolle zu Papier gebracht, damit ich das später wissenschaftlich fundiert und kontrolliert bearbeiten kann."
Als "durchaus feierfreudiges" Nordlicht habe sie spannende Einblicke in eine ihr vorher fremde Welt bekommen, berichtet Niekrenz: Der Karneval sei "nicht nur Gaudi und Halligalli, sondern auch ganz viel Melancholie und Verwobenheit mit der eigenen Biografie."
(cre)
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