Winnetou-Autor

Karl May - fortschrittlicher als sein Ruf?

09:55 Minuten
Porträt von Karl May in der Verkleidung des Old Shatterhand mit einem toten Fuchs über der Schulter.
Karl May hat mit seinen Geschichten Rassismus und Kolonialismus angeprangert, sagt Florian Schleburg. © imago images / teutopress
Florian Schleburg im Gespräch mit Vladimir Balzer · 25.08.2022
Audio herunterladen
Die Gretchen-Frage lautet: Wie hältst du es mit Karl May? Auf der einen Seite steht der Erzähler großer Kindergeschichten, auf der anderen der Vorwurf, Rassismus zu transportieren. Florian Schleburg von der Karl-May-Gesellschaft will den Autor retten.
Verbreitet Karl May in seinen Werken rassistische Klischees über die Ureinwohner Nordamerikas? Über diese Frage wird derzeit wieder diskutiert. Anlass ist die Entscheidung des Ravensburger Verlags, das Kinderbuch zum Film „Der junge Häuptling Winnetou“ vom Markt zu nehmen. In einem Instagram-Post begründete die Firma das mit dem Feedback der Nutzer. Man habe „mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt“, gab sich Ravensburger zerknirscht.
Um den Ruf des Radebeuler Schriftstellers zu retten, hat jetzt die Karl-May-Gesellschaft im Netz einen offenen Brief veröffentlicht. Unter dem Titel "Ist Winnetou erledigt?" heißt es dort, Karl May sei ein Kind seiner Zeit und müsse so auch gelesen werden. Er habe sich aber mit seinen Geschichten für die Benachteiligten eingesetzt, nämlich die Ureinwohner Amerikas, und Rassismus und Kolonialismus angeprangert.

Gibt es eine Lese-Diktatur?

Florian Schleburg, Vorsitzender der Gesellschaft, sagt: "Wir können nicht hinnehmen, dass eine kleine Gruppe von nicht legitimierten, selbst ernannten Anwälten der großen Mehrheit diktiert, was sie noch zu lesen oder zu sagen habe." Karl May sei im Wertekanon seiner Zeit gefangen gewesen. "Das heißt, gewisse zeitgenössische und zeitbedingte Vorstellungen muss man ihm zugutehalten", sagt Schleburg: "Er hat im wilhelminischen Deutschland am Vorabend des Ersten Weltkriegs gelebt und geschrieben, diese ganze chauvinistische, säbelrasselnde Stimmung mitbekommen. Das hat er überwunden."
Man würde den Schriftsteller nicht verherrlichen, so der Vorsitzende der Karl-May-Gesellschaft, aber: "Er hat, sowohl in seinen populären Abenteuererzählungen als auch dann vor allem in seinem symbolistischen Spätwerk, immer stärker den Menschen und den Wert außereuropäischer Kulturen in den Mittelpunkt gerückt."

Mehr als Pierre Brice und Winnetou-Melodie

Es greife zu kurz, Karl May mit Pierre Brice und der Winnetou-Melodie zu identifizieren und ihm vorzuwerfen, er habe ein verklärtes Bild des Wilden Westens gezeichnet, sagt Schleburg: "Das hat er nicht getan, selbst für seine Zeit nicht. Und auch aus heutiger Sicht kann man ihm das nicht vorwerfen."

Abonnieren Sie unseren Weekender-Newsletter!

Die wichtigsten Kulturdebatten und Empfehlungen der Woche, jeden Freitag direkt in Ihr E-Mail-Postfach.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
"Winnetou I" beginnt mit einer gewaltigen Anklage der Vernichtung der materiellen und kulturellen Existenz der amerikanischen Ureinwohner durch die kapitalistische weiße Gesellschaft und der Jugendroman "Die Sklavenkarawane" ist eine gewaltige Anklage der Sklaverei und ihrer Verbrechen, sagt Schleburg.
Diese Motive würden sich durch das ganze Werk Mays ziehen, später trete er schon im Titel für Verbrüderung und überkonfessionelle Toleranz ein, wie in "Friede auf Erden". "Jemand, der behauptet, Karl May beschönige oder ignoriere die Verbrechen des Kolonialismus, der kann eigentlich mit seinen Texten nie zu tun gehabt haben", sagt Schleburg.

Übergabe an die nächste Generation

Um diese Ansichten auch kommenden Generationen zu erhalten, arbeitet die Karl-May-Gesellschaft an einer historisch-kritischen Ausgabe aller Werke des Autors. Dabei kann durchaus auf die Fähigkeit der Leser vertraut werden, mit historischen Quellen in unzensierter Form umzugehen, meint Schleburg.
Bestimmte Begriffe bedürfen einer geschichtlichen Einordnung, so Schleburg, aber man solle die jungen Leser nicht dadurch bevormunden, dass man ihnen Dinge vorenthält, die sie verstören könnten: "So viel kritische Intelligenz müssen wir der nächsten Generation zutrauen."
(beb)
Mehr zum Thema