Kunstsinniger Barbar
Der Frankenkönig ist einer der Gründungsväter Europas. Obwohl er kriegerisch war, hat Karl der Große die karolingische Renaissance eingeleitet. Doch er habe das nur gemacht, um seine Macht zu legitimieren, meint Kunsthistoriker Michael Imhof.
Frank Meyer: Wir haben ein Karlsjahr, rund um den 1200. Todestag von Karl dem Großen, dem ersten nachrömischen Kaiser in Westeuropa. In Aachen wird dieser Kaiser ab heute mit einer Großausstellung gefeiert, und dieser Herrscher, der hatte zwei Seiten: Auf der einen Seite war er rücksichtslos, geradezu barbarisch, auf der anderen Seite kunstsinnig und christlich. Wie ging das aber zusammen? Der Kunsthistoriker Michael Imhof hat sich viel mit Karl dem Großen beschäftigt und ein Buch über ihn geschrieben. Er ist jetzt für uns am Telefon. Seien Sie willkommen, Herr Imhof!
Michael Imhof: Guten Tag!
Meyer: Schauen wir uns erst mal die brutale Seite dieses Kaisers an: Er soll auch in seiner eigenen Familie skrupellos alle Konkurrenten ausgeschaltet haben. Wen hat er denn da aus dem Weg geräumt?
Imhof: Man könnte ihn beschuldigen, dass er etwa seinen Bruder aus dem Weg geräumt hat, weil er bereits mit 22 Jahren gestorben ist. Und auch vom Erbrecht wäre es so gewesen, dass auch seine Neffen hätten erben müssen, sondern am Ende ergreift er die Macht und das Territorium eben auch seines Bruders.
Meyer: Und die Neffen, die Neffen sind dann aber auch auf merkwürdige Weise ums Leben gekommen, oder?
Imhof: Das weiß man eben nicht genau, was mit denen passiert ist. Möglicherweise endeten die im Kloster oder sonst wie. Jedenfalls war er eben so stark, hatte eine solche Macht, dass er unumschränkter Herrscher dann des gesamten Frankenreiches geworden ist. Insofern liegt vieles im Dunkeln, aber man kennt natürlich die Tradition seiner Vorfahren, und die waren barbarisch in der Tat und haben, um ihre Macht zu erhalten, dann selbst vor einem Brudermord nicht zurückgeschreckt.
Meyer: Und zu diesen barbarischen Machttechniken zählte offenbar, dass Karl der Große Konkurrenten blenden oder verstümmeln ließ, wenn sie Glück hatten, sind sie nur hinter Klostermauern verschwunden, so wie Sie das gerade auch schon angedeutet haben. War das denn zu seiner Zeit noch die übliche Machtsicherungstechnik, so mit Konkurrenten umzugehen?
Imhof: Ja, das haben wir ja in späteren Zeiten nicht anders. Herrscher haben sich immer irgendwie anderer entledigt. Wenn man der unumschränkte Herrscher war, hat man das auch irgendwie dann vertuschen können, weil man sich ja auch auf Gottesgnadentum berufen hat, allmächtig gewesen ist, und dann spielte das alles eigentlich keine Rolle. Wenn man sein Handeln, auch seine Krieger anschaut, dann weiß man, dass das nicht auszuschließen ist.
"Das war natürlich der Machthunger"
Meyer: Genau, seine Kriege. Er hat 45 Jahre lang regiert und so weit ich weiß nur in drei von diesen 45 Jahren keinen Krieg geführt, also 42 Jahre Krieg. Warum diese vielen, vielen Kriege in seiner Amtszeit?
Imhof: Das war natürlich der Machthunger. Man muss sich immer klarmachen, warum wurde er größter Herrscher im heutigen Europa – weil er eben so machthungrig gewesen ist, musste sich immer wieder bestätigen. Auf der anderen Seite ist es nicht anders wie heute teilweise mit dem Islam, dass man eben auch eine Legitimation darin fand, dass man gesagt hat, wir breiten das Christentum aus. Deshalb hat man eben diesen Krieg auch gegen die Sachsen geführt, mit der Legitimation der Missionierung.
Meyer: Aber die Frage ist ja dann, wie man solche Missionierung betreibt. Sie schreiben in Ihrem Buch, es sollte ein Krieg geführt werden von Karls Seite gegen die treulosen und bündnisbrüchigen Sachsen, ein Krieg, der entweder durch ihre Auslöschung oder durch ihre Unterwerfung unter den christlichen Glauben beendet werden sollte. Also die Auslöschung von feindlichen Völkern, nicht christlichen Völkern war dann durchaus im Kalkül?
Imhof: Ja. Man muss sich eben vorstellen, dass man gesagt hat, wir tun etwas Gutes, und durch die Taufe kommen sie anschließend in den Himmel, und wenn sie weiterhin heidnisch gewesen sind, eben nicht.
Meyer: Deutschlandradio Kultur, wir reden über Karl den Großen, den großen Kaiser, mit dem Kunsthistoriker Michael Imhof. Herr Imhof, wie kam es dann aber, dass dieser rücksichtslose, brutale Herrscher einen großen Aufschwung von Kultur und Wissenschaft eingeleitet hat, was wir heute die karolingische Renaissance nennen, warum war er da der Gründervater?
Imhof: Die karolingische Renaissance hat er eingeleitet zur eigenen Legitimation seiner Macht. Er war ja von Gottesgnadentum, und wenn man von Gottesgnadentum ist, muss ich den Gott, der mich dafür bestimmt hat, ehren, und natürlich mussten auch die entsprechenden Gebete ankommen. Deshalb hat man wertvolle Kunstwerke errichtet zu Ehren Gottes, ein himmlisches Jerusalem, wenn man so möchte, hat er quasi auch in Aachen versucht zu errichten, oder mit Kirchen, die dann so ein Abbild des himmlischen Jerusalems gewesen sind. Und ihm war auch daran gelegen, dass die Mönche richtig Latein sprachen, denn es soll ja schließlich dann kein falsches Gebet an Gott gesendet werden. Also wenn der Mönch falsch Latein sprach, dann konnte ja auch ein falsches Gebet nach oben gesendet werden.
"Ihm verdanken wir die Abschriften von antiken Schriften"
Meyer: Was sind denn aus Ihrer Sicht die größten Leistungen, die größten kulturellen Leistungen, die in dieser karolingischen Renaissance entstanden sind?
Imhof: Ja, er knüpft ja unmittelbar von seinen Gedanken an das römische Reich an. Er greift die Architektur, die Kunst der römischen Antike auf. Ihm verdanken wir die Abschriften von antiken Schriften, weil er sich auch darauf beruft, und wir hätten die Kenntnis gar nicht, der römischen und vor allem der griechischen Antike hätten wir gar nicht, wenn es nicht diese Abschriften in den Klosterschulen gegeben hätte. Und er errichtet dann so prächtige Bauten in Aachen, Ingelheim letztlich auch hängt damit zusammen, die bedeutendste Kirche nördlich der Alpen nämlich, die Ratgar-Basilika in Fulda – das Kloster Fulda war damals das größte Kloster nördlich der Alpen. Und er führte eine besondere Schrift ein, eine Schrift, die wir bis heute haben. Das heißt, wir sind heute auch von der Schrift her geprägt noch von den Leistungen Karls des Großen.
Meyer: Wie gebildet war er eigentlich selbst? Es heißt über ihn, dass er lesen konnte, aber nicht schreiben konnte?
Imhof: Eigentlich war er Analphabet. Er konnte wahrscheinlich auch nicht unbedingt lesen. Er hat dann das Schreiben versucht später mal, im höheren Alter, aber das war jetzt nichts Ungewöhnliches, weil seine Vorgänger und seine Nachkommen konnten nun als Herrscher auch nicht zwingend lesen und schreiben – dafür hatte man ja andere. Aber er sprach immerhin auch Latein und hätte eigentlich diese Leistungen auch nicht erbracht, wenn er nicht irgendwo gebildet gewesen war. Und er gehörte natürlich auch zu den Menschen, die die wichtigsten, klügsten Köpfe seines Reiches in Aachen um sich versammelten, um einfach mehr Kenntnisse, auch göttliche Erkenntnisse zu erhalten. Also insofern war er so klug, alles an Kreativen um sich zu versammeln, um einfach auch mehr zu erfahren. Dazu gehört auch Leistung.
"Wäre es zu Aufständen gekommen, wäre er nicht so erfolgreich gewesen"
Meyer: Karl der Große, diese Figur ist ja für uns auch interessant, weil er ja so ein Gründervater des abendländlichen Europas ist, Vater Europas wurde er ja auch schon früh genannt. Muss man jetzt sagen, dass bei ihm das zwingend zusammengehört, dass ohne sein brutales Machtstreben – wir haben über seine blutigen Missionierungen gesprochen – die karolingische Renaissance nicht hätte geben können, dass es also diese Grundlage der abendländischen Kultur ohne die Brutalität dieser Kaisers nicht gegeben hätte?
Imhof: Das, würde ich sagen, musste so sein, er wäre nicht so erfolgreich geworden. Es gibt einen Aspekt, den habe ich jetzt so in der Literatur eigentlich gar nicht gelesen, der mir eigentlich erst bewusst geworden ist, weil ich ein Buch vor acht Jahren verlegt habe über den Klimawandel: Er hat zu einer Zeit gelebt, als wir ein relativ mildes Klima hatten. Dadurch gab es offenbar eine Situation, indem es weniger Hungersnöte gegeben hat, sodass dieses Gebiet, in dem wir im Augenblick auch leben, relativ gute Ernten hatte und florierte und er deshalb auch so erfolgreich sein konnte. Wenn das jetzt anders gewesen wäre, das heißt, die Menschen hätten mit Hungersnöten zu tun gehabt und es wäre zu Aufständen gekommen, wäre er nicht so erfolgreich gewesen.
Meyer: Der kunstsinnige Barbar, der brutale Kaiser, Karl der Große hat die karolingische Renaissance eingeläutet. Darüber haben wir mit dem Kunsthistoriker Michael Imhof gesprochen, der ein Buch über Karl den Großen geschrieben hat. Heute wird Bundespräsident Joachim Gauck in Aachen die dreiteilige Karl-der-Große-Ausstellung dieses Karlsjahres 2014 eröffnen. Herr Imhof, vielen Dank!
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