Karikaturen aus dem Kreml
Humor ist nicht gerade das, was man mit der bolschewistischen Führung in den 20er und 30er Jahren verbindet. Und dennoch: die Mächtigen des sowjetischen Staatsapparates kommentierten das Geschehen und die Akteure mit spitzer Feder. Alexander Vatlin und Larissa Malaschenko zeigen in "Schweinefuchs und das Schwert der Revolution" eine Auswahl von Karikaturen, die ihren Schöpfern zum Verhängnis werden konnten.
Wie mag es zugegangen sein, damals im Kreml, in den zwanziger und dreißiger Jahren bei Stalin & Co.? Man glaubt, ein Bild zu haben von den Genossen: Griesgrämig belauerten sie einander bei ihren Sitzungen, dogmatische Bürokraten, Überzeugungstäter, denen für den Aufbau der neuen Gesellschaft kein Verbrechen zu groß war. Eine Eigenart hätte man den Herren gewiss nicht zugetraut – dass sie einander nach Kräften verspotteten.
Der Moskauer Historiker Alexander Vatlin und die Archivarin Larissa Malaschenko fanden im Russischen Staatsarchiv ein faszinierendes Konvolut: eine umfangreiche Sammlung von Karikaturen direkt aus dem bolschewistischen Olymp. Die Genossen kritzelten nicht nur, sie schufen aussagestarke Porträts und lieferten inoffizielle Kommentare zur Brachialpolitik der sowjetischen Führung. Der britische Forscher Simon Sebag Montefiore nennt die Blätter deshalb "wahre Perlen" für Historiker: "Sie erzählen auf unnachahmliche Weise die Geschichte einer ganzen Ära."
Die Zeichnungen gerieten mal witzig-geistvoll, mal vulgär, obszön, oft waren sie von boshafter Schonungslosigkeit. Die Chronisten dokumentierten die Wutausbrüche der Alphatiere und die Unterwerfungsgesten ihrer Opfer, das Gerangel um Positionen, den teilweise niedrigen Bildungsstand der Führer, auch die quälende Langeweile ihrer Treffen. Die Skizzen ermöglichen uns im doppelten Sinn ein neues Bild der ‚Nomenklatura’: Wie war die Stimmung der Genossen, die Atmosphäre auf Parteitagen und Sitzungen des Politbüros? Wie funktionierte das Regime in seiner Spitze von Mensch zu Mensch, wer intrigierte gegen wen?
Karikiert wurde, wie es gerade kam, mit Federhalter, Bleistift, Pinsel, auf Heftseiten, am Rand oder auf der Rückseite von Dokumenten. Die einsame Beschäftigung, das entdeckten die Moskauer Forscher, entwickelte sich rasch zum kollektiven Spiel. Ein Entwurf ging herum, wurde ergänzt und schriftlich interpretiert. Die Bilder – nur für den kleinen Zirkel der Machthaber bestimmt – sind nach Ansicht der Herausgeber keine großen Kunstwerke, doch etliche ihrer Schöpfer zeigten Begabung.
Dargestellt sind (neben vielen uns unbekannten Personen) die großen Figuren der frühen Sowjet-Ära: Lenin, Kalinin und Kirow, Molotow und Mikojan, Ordschonikidse, Radek.
Gezeichnet wurden: Der Aufstieg von Apparatschiks mit fettem Hintern; Kamenew als urinierendes Ferkel; Trotzki als spanischer Troubadour; Dserschinski mit dem "strafenden Schwert"; ein charmanter Bucharin, der eitle Woroschilow. Wir sehen ein ZK-Mitglied mit "Raffhänden, gierigem Blick" und Oppositionelle winzig wie Liliputaner auf Gullivers Hand. Marschall Budjonny wird (im Maschinen-Zeitalter) liebevoll von seinem Pferd geherzt, so mancher Stalin-Gegner hingegen ausgepeitscht, kastriert ...
Und er selbst, "Väterchen" Stalin? Auch er porträtierte gelegentlich, etwa einen Bank- und Industriemanager, den er später in den Tod schicken sollte. Häufig machte er mit blauem Farbstift Zusätze ("Richtig", "An alle Plenumsmitglieder"). Vor allem aber war er – im ersten Jahrzehnt nach der Revolution – oft Motiv: Josef Stalin, der Despot, ein Partei-Gendarm in zaristischer Uniform, grimmig und langnasig, mit Stiefelleckern zu Füßen.
Das Buch zeigt einen Teil der Archiv-Sammlung. Neben knapp 200 Bildern finden wir Hintergrund-Essays, biographische Anmerkungen, Porträtfotos (zum Vergleich; die Zeichnungen sind kräftiger) und Übersetzungen der Randglossen. Durch geschickte Zusammenstellung wurde das Werk zu einer einzigartigen Galerie, auch zu einem facettenreichen Psychogramm der Sowjetführung, für Fachleute und Laien gleichermaßen einladend gestaltet.
Wie aber kamen die Bilder, Produkte des Augenblicks, auf die Nachwelt? Viele gelangten aus dem Besitz der Urheber in das Archiv der Geheimpolizei – nach deren meist gewaltsamem Tod. Geheimdienstchef Berija schickte Zeichnungen der Opfer gezielt an Parteibonzen, als Bestechung oder Drohung. Die meisten dieser grausigen Geschenke erhielt für seine private Kollektion der Volkskommissar für Verteidigung, Marschall Woroschilow, ein Kunstliebhaber mit dämonischem Zug. Er wusste von der drohenden Verurteilung seiner zeichnenden Freunde, auch von der Folter, er unterschrieb die Todesurteile. Und er bewahrte ihre Werke, nachdem man die Schöpfer verscharrt hatte. Woroschilow starb 1969 als allseits beliebter Held.
Manche der Karikaturen sind von grausamer Hellsichtigkeit, papierne Vorboten des "Großen Terrors", das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Der talentierteste Zeichner der Runde ist Nikolai Bucharin (*1888), laut Lenin der "Liebling der Partei". Einmal skizzierte er sich als "Schweinefuchs", mit Schweif, spitzer Schnauze, spitzen Ohren. 1938, im dritten großen Schauprozess, wird auch er verurteilt. Chefankläger Wyschinski beleidigt den Todgeweihten, vielleicht mit einer Anspielung auf das Selbstporträt – "Bucharin, diese verfluchte Spottgeburt von einem Fuchs und einem Schwein ..."
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Alexander Vatlin, Larissa Malaschenko: Schweinefuchs und das Schwert der Revolution. Die bolschewistische Führung karikiert sich selbst
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz
Kunstmann Verlag, München 2007
216 Seiten, 24,90 Euro
Der Moskauer Historiker Alexander Vatlin und die Archivarin Larissa Malaschenko fanden im Russischen Staatsarchiv ein faszinierendes Konvolut: eine umfangreiche Sammlung von Karikaturen direkt aus dem bolschewistischen Olymp. Die Genossen kritzelten nicht nur, sie schufen aussagestarke Porträts und lieferten inoffizielle Kommentare zur Brachialpolitik der sowjetischen Führung. Der britische Forscher Simon Sebag Montefiore nennt die Blätter deshalb "wahre Perlen" für Historiker: "Sie erzählen auf unnachahmliche Weise die Geschichte einer ganzen Ära."
Die Zeichnungen gerieten mal witzig-geistvoll, mal vulgär, obszön, oft waren sie von boshafter Schonungslosigkeit. Die Chronisten dokumentierten die Wutausbrüche der Alphatiere und die Unterwerfungsgesten ihrer Opfer, das Gerangel um Positionen, den teilweise niedrigen Bildungsstand der Führer, auch die quälende Langeweile ihrer Treffen. Die Skizzen ermöglichen uns im doppelten Sinn ein neues Bild der ‚Nomenklatura’: Wie war die Stimmung der Genossen, die Atmosphäre auf Parteitagen und Sitzungen des Politbüros? Wie funktionierte das Regime in seiner Spitze von Mensch zu Mensch, wer intrigierte gegen wen?
Karikiert wurde, wie es gerade kam, mit Federhalter, Bleistift, Pinsel, auf Heftseiten, am Rand oder auf der Rückseite von Dokumenten. Die einsame Beschäftigung, das entdeckten die Moskauer Forscher, entwickelte sich rasch zum kollektiven Spiel. Ein Entwurf ging herum, wurde ergänzt und schriftlich interpretiert. Die Bilder – nur für den kleinen Zirkel der Machthaber bestimmt – sind nach Ansicht der Herausgeber keine großen Kunstwerke, doch etliche ihrer Schöpfer zeigten Begabung.
Dargestellt sind (neben vielen uns unbekannten Personen) die großen Figuren der frühen Sowjet-Ära: Lenin, Kalinin und Kirow, Molotow und Mikojan, Ordschonikidse, Radek.
Gezeichnet wurden: Der Aufstieg von Apparatschiks mit fettem Hintern; Kamenew als urinierendes Ferkel; Trotzki als spanischer Troubadour; Dserschinski mit dem "strafenden Schwert"; ein charmanter Bucharin, der eitle Woroschilow. Wir sehen ein ZK-Mitglied mit "Raffhänden, gierigem Blick" und Oppositionelle winzig wie Liliputaner auf Gullivers Hand. Marschall Budjonny wird (im Maschinen-Zeitalter) liebevoll von seinem Pferd geherzt, so mancher Stalin-Gegner hingegen ausgepeitscht, kastriert ...
Und er selbst, "Väterchen" Stalin? Auch er porträtierte gelegentlich, etwa einen Bank- und Industriemanager, den er später in den Tod schicken sollte. Häufig machte er mit blauem Farbstift Zusätze ("Richtig", "An alle Plenumsmitglieder"). Vor allem aber war er – im ersten Jahrzehnt nach der Revolution – oft Motiv: Josef Stalin, der Despot, ein Partei-Gendarm in zaristischer Uniform, grimmig und langnasig, mit Stiefelleckern zu Füßen.
Das Buch zeigt einen Teil der Archiv-Sammlung. Neben knapp 200 Bildern finden wir Hintergrund-Essays, biographische Anmerkungen, Porträtfotos (zum Vergleich; die Zeichnungen sind kräftiger) und Übersetzungen der Randglossen. Durch geschickte Zusammenstellung wurde das Werk zu einer einzigartigen Galerie, auch zu einem facettenreichen Psychogramm der Sowjetführung, für Fachleute und Laien gleichermaßen einladend gestaltet.
Wie aber kamen die Bilder, Produkte des Augenblicks, auf die Nachwelt? Viele gelangten aus dem Besitz der Urheber in das Archiv der Geheimpolizei – nach deren meist gewaltsamem Tod. Geheimdienstchef Berija schickte Zeichnungen der Opfer gezielt an Parteibonzen, als Bestechung oder Drohung. Die meisten dieser grausigen Geschenke erhielt für seine private Kollektion der Volkskommissar für Verteidigung, Marschall Woroschilow, ein Kunstliebhaber mit dämonischem Zug. Er wusste von der drohenden Verurteilung seiner zeichnenden Freunde, auch von der Folter, er unterschrieb die Todesurteile. Und er bewahrte ihre Werke, nachdem man die Schöpfer verscharrt hatte. Woroschilow starb 1969 als allseits beliebter Held.
Manche der Karikaturen sind von grausamer Hellsichtigkeit, papierne Vorboten des "Großen Terrors", das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Der talentierteste Zeichner der Runde ist Nikolai Bucharin (*1888), laut Lenin der "Liebling der Partei". Einmal skizzierte er sich als "Schweinefuchs", mit Schweif, spitzer Schnauze, spitzen Ohren. 1938, im dritten großen Schauprozess, wird auch er verurteilt. Chefankläger Wyschinski beleidigt den Todgeweihten, vielleicht mit einer Anspielung auf das Selbstporträt – "Bucharin, diese verfluchte Spottgeburt von einem Fuchs und einem Schwein ..."
Rezensiert von Uwe Stolzmann
Alexander Vatlin, Larissa Malaschenko: Schweinefuchs und das Schwert der Revolution. Die bolschewistische Führung karikiert sich selbst
Aus dem Englischen von Norbert Juraschitz
Kunstmann Verlag, München 2007
216 Seiten, 24,90 Euro