Karikatur einer Angstgesellschaft

Von Stefan Keim |
Hochstapler sind immer spannende Bühnenfiguren. Denn sie entlarven die Schwächen einer Gesellschaft. Der Hochstapler in Jean-Paul Sartres "Nekrassow" heißt George de Valeras - und er enthüllt die Machtstrukturen im Frankreich des Kalten Krieges.
Die Zeitungsverleger sind Handlanger der Regierung. Von ganz oben kommt der Druck, die kommunistische Partei fertigzumachen. Denn die Franzosen haben Mitte der 50er-Jahre die Furcht vor dem Ostblock verloren. Sie glauben sogar, dass sie einmal im Bett sterben, nicht an einer Atombombe. Die Angst muss wieder geschürt werden, Zeitungszar Palotin fordert von seinen Mitarbeitern Skandalgeschichten über die Kommunisten. Auch Palotins Stuhl wackelt, wenn er keine Enthüllungen bringt. Und die Journalisten machen mit, weil sie um ihre Jobs fürchten.

Da taucht ein Mann auf, mit Pelzmütze, Uniformmantel und russischem Klischee-Akzent. Er behauptet, der sowjetische Innenminister Nekrassow zu sein. Und erzählt bereitwillig Staatsgeheimnisse, zum Beispiel, wer nach einem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Armeen in Frankreich sofort erschossen wird. Fast alle Journalisten des konservativen Wochenblattes sind dabei, sie erschrecken, aber sie suhlen sich auch in ihrer Angst. Denn es liegt ja auch ein Kompliment darin. Der Feind nimmt sie so ernst, dass sie auf der Todesliste stehen. Doch Nekrassow ist in Wahrheit der Hochstapler George de Valeras, ein zynischer Meister der Masken, der sich am Anfang von Jean-Paul Sartres Stück umbringen will. Doch dann findet er als Nekrassow neue Lebensenergie.

Regisseur Philipp Preuss inszeniert Sartres satirische Farce als Spiel der Identitäten. Nicht nur George de Valeras, auch die anderen Schauspieler wechseln oft die Rollen und tun dies auf offener Bühne. Indem sie Masken und Perücken auf- und absetzen, eine Frau schminkt sich in einem Dialog den ganzen Körper schwarz, weil sie - wie sie sagt - ausgehen will. Statt einer Handtasche nimmt sie dann einen Molotow-Cocktail mit. Manchmal erstarren die Schauspieler zu lebenden Bildern. Dann hat die Angst sie ganz in ihren Klauen. Der Betrug des falschen Innenministers kann nur gelingen, weil sich alle so sehr fürchten.

Die Bühne von Ramallah Aubrecht ist eine Skulptur aus Türen, die sich häufig dreht. Michael Kamp spielt den Hochstapler erst mit theatralisch ausgestellten Gesten und dann ganz berührend, als er feststellt, dass nicht er die Fäden in der Hand hält, sondern vom System benutzt wird. Die Dortmunder haben Sartres ausufernden Text gekürzt, sie hätten aber noch mehr streichen können. Denn eine Farce braucht knappe Präzision, in Dortmund dauert "Nekrassow" drei Stunden. Trotz einiger Längen gelingt es dem kraftvollen Ensemble, Sartres etwas kommunistisch-linientreue Satire auf die gegenwärtige Angstgesellschaft zu übertragen.

Service:

Das Stück "Nekrassow" wird am 28. November sowie am 9. und 17. Dezember 2009 im Theater Dortmund aufgeführt. Karten unter Tel. 0231 - 50 27 222.