Kapitalstock ohne Zinsen

09.11.2013
Stiftungen leiden unter der Niedrigzinspolitik der EZB. Der Ratsvorsitzende der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Markus Meckel, sieht zahlreiche Projekte und Initiativen im Land vor dem Aus.
Nana Brink: Vielleicht haben Sie ja gestern auch auf Ihr Sparbuch geblickt oder auf die Police Ihrer Lebensversicherung und einen Schreck bekommen? Der EZB-Rat hatte ja am Donnerstag überraschend den Leitzins von 0,5 auf 0,25 herabgesetzt. Fazit: Wer fürs Alter spart, der wird bestraft! Aber nicht nur wir Sparer haben ein Problem, auch für die Stiftungen in Deutschland sind die extrem niedrigen Zinsen ein Schlag ins Kontor. Mehrere Zehntausend Stiftungen gibt es ja hierzulande, die meisten von ihnen sind gemeinnützig und viele Stiftungen legen ihr Geld konservativ an, also als Sparanlagen.

Auch die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur ist betroffen, nicht nur weil sich heute der Mauerfall zum 24. Mal jährt. Markus Meckel ist Vorsitzender des Stiftungsrates, schönen guten Morgen, Herr Meckel.

Markus Meckel: Einen schönen guten Morgen Ihnen.

Brink: Wie wird sich denn der niedrige Leitzins auf die Arbeit der Stiftung auswirken?

Meckel: Die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, das heißt zur gesellschaftlichen Aufarbeitung, wir machen, um das kurz zu erklären, eine Arbeit seit 15 Jahren, indem wir einen hohen Anteil unserer Mittel – das sind im Jahr in der Vergangenheit 5,5 Millionen ungefähr gewesen, wovon 2,5 Millionen aus Zinsen finanziert werden. Das war damals die Grundidee, dass man da von den Mitteln von SED- und anderen Institutionen, die man wiederbekommen hat, dass davon ein Stiftungskapital gebildet wurde, um zu sagen, ja, die Träger der Diktatur finanzieren jetzt auch einen Teil der Aufarbeitung mit zurück.

Bis 2004 sind wir 100 Prozent aus dem Bundeshaushalt finanziert worden, jetzt hat sich sozusagen diese Dimension der Anteile des Bundeshaushalts entsprechend deutlich verringert um diese Summe. Und dadurch haben wir jetzt diesen ungeheuren Nachteil, dass wir 1,3 bis 1,5 Millionen weniger Mittel haben. Das heißt, wenn wir in der Vergangenheit 2,9 Millionen aus diesen Mitteln weitergegeben haben an die vielfältigen Initiativen in der Gesellschaft – für Stipendien, für Projekte, man konnte für jeweilige Projekte, für Konferenzen, Tagungen, Ausstellungen, Gesprächsveranstaltungen in der Fläche des Landes, für Stipendien, für Opferverbände, all das haben wir bezahlt –, so fällt dies weg.

Es fällt nicht nur dies weg: Weil auch die Kommunen, die dann Kofinanziers sind, dies zusätzlich bezahlt haben, fällt noch viel mehr weg in der konkreten Arbeit, weil auch in der Fläche dann sehr viel weniger zu diesen Themen passieren kann, was angesichts der Jahrestage, von denen Sie ja schon sprachen – nächstes Jahr friedliche Revolution, übernächstes Jahr Jahrestag der Deutschen Einheit –, ein besonders misslicher Zustand ist.

Brink: Und Sie finanzieren sich, wenn wir das noch mal zusammenfassen, aus Zinsen? Das heißt, das ist eigentlich das Kapital, was Ihnen zur Verfügung steht?

Meckel: Wir finanzieren uns zur knappen Hälfte aus Zinsen. Von 5,5 Millionen insgesamt kommen 2,5 Millionen aus Zinsen, so war der Anteil. Früher 100 Prozent aus dem Bundeshaushalt, seit 2004, also seit knapp zehn Jahren ist diese Situation da. Und wir kämpfen im Augenblick darum, im Bundeshaushalt und jetzt auch in der Koalitionsvereinbarung zu sagen, Leute, es ist in unserer Situation wichtig, dass der Bundeshaushalt hier etwas drauflegt. Das ist jetzt die spezifische Situation der Bundesstiftung.

Sie haben in der Einleitung mit Recht gesagt, dass alle Stiftungen im Land dieses Problem zurzeit haben und gerade eben ja auch allgemeine, für gemeinnützige Arbeit. Wir haben hier diesen speziellen Bundesauftrag, weil wir durch ein Gesetz geschaffen worden sind, und insofern kämpfen wir jetzt darum, diesen Ausgleich zu erhalten. Das ist die politische Herausforderung, vor der wir stehen, neben der allgemein misslichen finanzpolitischen, von der Sie gesprochen haben.

Brink: Das heißt, Sie haben auch eigentlich wenig Spielräume? Denn die meisten Stiftungen – ich habe es erwähnt – legen das Geld ja konservativ an, sie können es auch gar nicht anders, weil sie ja auch diesem Stiftungsrecht unterliegen. Das heißt, Sie haben keinen Spielraum.

Meckel: Wir unterliegen dem Bundesrecht, wir haben überhaupt gar keine Spielräume. Wir können nicht sagen, wir riskieren einfach mal mehr. Das war ganz am Anfang, in einer ersten Tranche, die wir bekamen, und da haben wir dann auch einen großen Reinfall erlebt, dass schon auch aus dieser Erfahrung, wo damals übrigens von der Vereinigung der Stiftungen uns empfohlen worden ist, es anders anzulegen, das hat nicht geklappt.

In der Finanzkrise haben wir große Verluste gehabt, so dass die ganz klar konservativ auch angelegt haben in den letzten Jahren. Was uns durch die Krise gut durchgebracht hat, einigermaßen gut, aber jetzt ist nun wirklich alles verloren und wir verlieren 1,3 bis 1,5 Millionen, mit erheblichen Einschnitten dann in der Förderung der vielfältigen Initiativen im Land von Projekten, die wir nicht machen können, und auch eigene Projekte, die wir nicht machen können, etwa wenn es darum geht, dass Mitarbeiter – das war ein so ein Projekt von ostmitteleuropäischen und deutschen Gedenkstätten – sich austauschen, weil die Zusammenarbeit über die Grenzen hinaus von zentraler Wichtigkeit ist, um unsere gemeinsame Geschichte, die ja auch von unserer eigenen Schuldvergangenheit her geprägt ist, um dies voranzubringen.

Ein anderes Projekt ist, die Forschungsfragen zu 1990, der deutschen Vereinigung. Da ist so vieles nicht erforscht, da wollten wir ein Stipendienprogramm machen für Wissenschaftler, um hier ganz gezielt das Jahr 1990, die Zusammenhänge und Hintergründe zu erforschen, insbesondere auch den ostdeutschen Anteil, etwa die Volkskammersituation, die Frage der ostdeutschen Regierung, wozu es überhaupt noch nichts gibt an ordentlichen Arbeiten. All dies kann jetzt im Augenblick nicht gemacht werden. Und dazu natürlich viele Veranstaltungen in der Fläche des Landes.

Brink: Ganz kurze, abschließende Frage noch: Würden Sie so weit gehen und sagen, dass durch diese Entwicklung jetzt die Bundesstiftung der SED-Diktatur kurzfristig auch in ihrer Existenz bedroht ist?

Meckel: Nein, in der Existenz ist sie nicht bedroht, aber viele Initiativen, die wir fördern – und wir sind ja durchaus auch mit geschaffen worden oder wir haben diese Stiftung damals im Deutschen Bundestag geschaffen, damit viele Initiativen vor Ort arbeiten können –, diese sind zum Teil in den nächsten Jahren in ihrer Existenz bedroht, wenn sie solche Förderungen nicht mehr machen können. Weil allein die Kommunen, die Städte und Gemeinden, auch die Länder das nicht finanzieren können. Sie haben auch die Kofinanzierung gemacht, wenn sie es jetzt vollständig machen, wird viel Arbeit, nicht nur in Berlin, sondern im ganzen Land nicht geschehen können zu diesen Themen.

Brink: Markus Meckel, Vorsitzender des Stiftungsrats der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Schönen Dank, Herr Meckel, für das Gespräch!

Meckel: Sehr gerne!

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Markus Meckel, Vorsitzender des Stiftungsrates der Bundesstiftung Aufarbeitung
Markus Meckel© picture alliance / dpa / Michael Reichel