Kanada fordert mehr Soldaten für Afghanistan

Moderation: Christopher Ricke |
Der kanadische Botschafter in Deutschland, Paul Dubois, hat an Deutschland appelliert, trotz des tödlichen Anschlags auf deutsche Polizisten mehr Soldaten nach Afghanistan zu entsenden. Gerade jetzt sei es wichtig, die Stabilität in dem Land zu gewährleisten, sagte Dubois.
Christopher Ricke: Heute findet in der deutschen Botschaft in Kabul eine Trauerfreier für die drei bei einem Anschlag getöteten Polizisten statt. Danach werden die Särge mit den Leichen nach Deutschland übergeführt. Dann am Wochenende morgen wird dem Tod mit einem Gottesdienst im Berliner Dom gedacht. In Deutschland stellt bislang nur die Links-Partei den Afghanistan-Einsatz infrage. Die Mehrheit in der Politik fragt sich eher, ob man mehr Soldaten nach Afghanistan verlegen sollte, das Mandat ausweiten eventuell auch in den umkämpften Süden. Im Herbst steht die Verlängerung aller drei Bundeswehrmandate an und über Afghanistan diskutiert man auch in Kanada. Im Süden Afghanistans kämpfen und sterben kanadische Soldaten. Wegen der Kritik vieler Kanadier an dem Afghanistan-Einsatz ihres Landes hat der Ministerpräsident Stephen Harper sein Kabinett erneut umgebildet. Dabei musste der Verteidigungsminister Gordon O’Connor sein Amt abgeben. – Ich spreche nun mit dem Botschafter Kanadas in Deutschland Paul Dubois. Guten Morgen Exzellenz!

Paul Dubois: Guten Morgen Herr Ricke!

Ricke: Vielleicht hilft es uns Deutschen ja, wenn wir uns die Argumente des NATO-Partners Kanada anhören, warum es sich lohnt, in Afghanistan notfalls auch zu sterben. Wie erklären Sie es denn den Soldaten und den Menschen?

Dubois: Zunächst möchte ich den Familien der drei deutschen Polizeibeamten mein tief empfundenes Mitgefühl aussprechen für diesen schrecklichen Vorfall in Kabul. Kanada bedauert, dass Deutschlands Beitrag zu diesem Einsatz mit solchen Opfern verbunden ist. Wir stehen diese Woche an der Seite Deutschlands bei der Trauer um die getöteten Polizisten in Kabul. - Ich hatte am Mittwoch die Gelegenheit, mein Beileid auszusprechen an Herrn Staatsminister Erler.

Wir Kanadier kennen leider nur zu gut diese Schwierigkeiten, da wir inzwischen heute schon 66 unserer Soldaten in Afghanistan verloren haben und einen Diplomaten. Diese Verluste führen uns einmal mehr vor Augen, wie wichtig es ist, Sicherheit und Stabilität in diesem Land zu gewährleisten. Für uns bleibt Afghanistan Priorität Nr. 1 in der Entwicklungs- und Sicherheitspolitik und wir werden nicht von diesem Kurs abweichen.
Es ist aber auch eine Frage der menschlichen Solidarität. Wir glauben daran und wir sind bereit, unseren Beitrag zu leisten auch unter schwierigen Verhältnissen.
Bekanntlich, Herr Ricke, hat Kanada keine territorialen Ansprüche in Afghanistan. Wir sind dort mit unseren Partnern, um die afghanische Regierung und die Bevölkerung zu unterstützen, um Demokratie und Menschenrechte, also einen Rechtsstaat aufzubauen. Im Grunde sind wir da, um Ordnung in Bildung, Gesundheit und Wirtschaftspolitik zu geben.

Ricke: Ich lese aber auch Berichte, wonach nur noch 50 Prozent der Kanadier die Rolle ihres Landes bei dem NATO-Einsatz in Afghanistan befürworten. Die Hälfte ist nur noch dafür. Ist denn die Zeit gekommen, den Einsatz neu zu überdenken?

Dubois: Kanada ist in Afghanistan auf Anfrage der demokratisch gewählten afghanischen Regierung, um zu einer stabilen demokratischen und selbstbestimmenden Gesellschaft beizutragen, zusammen mit insgesamt 37 Staaten - das muss man auch nicht vergessen; wir sind dort nicht alleine – sind wir im Rahmen einer UNO-sanktionierten, NATO-geführten Mission in Afghanistan. Unser Einsatz findet auch nicht in einem Vakuum statt, sondern in einem Afghanistan-Compax. Das wurde in London im Januar 2006 verabschiedet und ist ein Programm für fünf Jahre. Das wurde verabschiedet zwischen der afghanischen Regierung, den Vereinten Nationen und mehr als 60 Staaten aus internationalen Organisationen. Das ist sozusagen eine Road Map, die wir nicht vergessen sollten und die im Übrigen auch erfolgreich ist.

Unser integrierter Einsatz in Afghanistan basiert auf drei Dimensionen: Sicherheit, Entwicklung und Wiederaufbau und Diplomatie, ähnlich der deutschen sozusagen. In der südlichen Provinz Kandahar haben wir Diplomaten, Entwicklungshelfer, Truppen, Zivilpolizei eingesetzt, um die afghanische Regierung bei der Verbesserung der Sicherheit seiner Bevölkerung zu unterstützen.
Ich sage wir sind auch erfolgreich, Herr Ricke. Ich möchte vielleicht ein paar Beispiele von diesen Fortschritten erwähnen, die vielleicht nicht so oft vorgetragen worden sind. Ich gebe Ihnen ganz kurz vier, fünf Beispiele. Wenn man einmal an die grundmedizinische Versorgung denkt. 2001 gab es nur neun Prozent der Afghanen, die Zugang hatten. Heute sind es 85 Prozent. Polio-Impfungen haben wir inzwischen sieben Millionen Kindern gegeben und Millionen von Vitamin-A-Tabletten verteilt. Schulen, Langzeitgeschichten. 2001 waren das insgesamt 700.000 Schüler, alles Männer beziehungsweise Jungen. Heute sind es sechs Millionen Schüler und darunter sind ein Drittel Mädchen. Microkredit. Wir haben 335.000 Afghanen - darunter sind 75 Prozent Frauen -, die Kleinkredite aufgenommen haben, um kleine Geschäfte zu starten oder ein Grundstück zu kaufen, um deren Familien zu helfen.

Ricke: Herr Botschafter, das sind die wichtigen Aufbauaktionen, aber wahrgenommen wird natürlich auch der sie begleitende Kampfeinsatz. Deutschland ist auch von Deutschen durchaus kritisiert worden, weil man sich bislang zurückgehalten hat. Man war im Norden engagiert, dort wo die Lage lange nicht so gefährlich ist wie im Süden. Deutsche Soldaten sind schlichtweg nicht den Risiken ausgesetzt, in denen sich zum Beispiel kanadische befinden. Und um den Unmut der NATO etwas zu dämpfen, hat man Aufklärungstornados geschickt, aber keine Bodentruppen. Wie könnte denn Deutschland besser helfen? Brauchen wir deutsche Soldaten, viele deutsche Soldaten auch für den Süden, so wie es jetzt wieder diskutiert wird?

Dubois: Deutschland leistet als Teil der NATO-geführten ISAF-Mission einen sehr wertvollen Beitrag zum Wiederaufbau in Afghanistan. Die Aufklärungstornados sind aus unserer Sicht besonders nützlich. Wir begrüßen außerdem Deutschlands entscheidende Rolle beim Aufbau einer professionellen afghanischen Polizei, wo Kanada und Deutschland im Rahmen der EU-Pol aktiv sind. Das wurde übrigens dieses Kanada-EU-Gipfels in Berlin am 4. Juni zwischen Frau Merkel und Herrn Harper verabschiedet. Wir begrüßen auch gleichermaßen Deutschlands kontinuierliche Führung in der PRT, also bei diesem Provincial Reconstruction Team im Norden Afghanistans.

Ricke: Aber brauchen wir zusätzliche deutsche Soldaten im Kampfeinsatz?

Dubois: Wir würden sagen, es ist eine Frage, die beantwortet werden muss, wenn man sich ansieht, dass wir insgesamt in Afghanistan, Nord, Süd, Ost oder West, bisher höchstens 40.000 haben. Um so ein großes Land, ein schwieriges Terrain zu verarbeiten, ist das immer noch zu wenig. Wir können etwas damit machen und wir versuchen, das Beste daraus zu machen. Wir werden natürlich sehr begrüßen, wenn Deutschland und auch andere Länder – das ist eine gemeinsame Sache der NATO – zusammen arbeiten und mehr Soldaten schicken. Das Ziel der Sache ist aber, nicht mehr Soldaten zu haben, sondern die afghanische Armee aufzubauen, damit sie selbst deren Verantwortung übernehmen kann. Das gilt im Übrigen auch für die Polizei.

Ricke: Vielen Dank Exzellenz. – Paul Dubois ist der Botschafter Kanadas in Deutschland.