Kampfdrohnen für die Bundeswehr

Wo sind die Stimmen der Opfer?

04:35 Minuten
Eine afghanische Familie sitzt im Dorf Javari im Distrikt Khogyani im Süden der Provinz Nangarhar, Afghanistan vor ihrem Haus.
Eine afghanische Familie aus der Provinz Nangarhar, die Mitglieder durch einen US-Drohnenangriff verlor: Statt eines IS-Verstecks traf die ferngesteuerte Waffe unschuldige Bauern. © laif / Guardian / eyevine / Stefanie Glinski
Ein Standpunkt von Emran Feroz · 28.05.2020
Audio herunterladen
"Todesengel" - so nennen Afghanen die US-Kampfdrohnen, die nicht nur viele Zivilisten getötet, sondern auch die Überlebenden traumatisiert haben. Deren Stimme sollte in der Debatte um Kampfdrohnen in der Bundeswehr gehört werden, fordert Emran Feroz.
Wenn Kabir Aluzai von seinem Bruder spricht, wirkt er traurig und gebrochen. "Er wurde einfach getötet. Sogar seine Knochen verbrannten im Auto", sagt er. Aluzais Bruder Karim wurde 2013 zum Ziel eines amerikanischen Drohnenangriffs in der afghanischen Provinz Wardak. Er war Obsthändler. Sein Auto war mit Melonen beladen.
2017 traf ich Aluzai in seinem Heimatdorf, das von den "Todesengeln" – so werden die Drohnen von vielen Einheimischen genannt – heimgesucht wird. Aluzai und andere Menschen aus dem Dorf beschrieben, wie die Drohnen ihren Alltag bestimmen. Die Kinder haben Angst beim Spielen und können nicht schlafen, während Erwachsene, etwa Feld- oder Minenarbeiter, nicht sorglos im Freien arbeiten können. Jeder wirkte traumatisiert. Sobald der Himmel frei ist, tauchen die Predator-Drohnen der US-Armee auf und feuern ihre Hellfire-Raketen ab. Sie unterscheiden nicht zwischen aufständischen Taliban-Kämpfern und unbewaffneten afghanischen Zivilisten.

Das Töten per Knopfdruck wird romantisiert

Weltweit haben bereits gut 40 Staaten bewaffnete Kampfdrohnen angeschafft, darunter auch so kleine Länder wie Belgien, die Niederlande und die Schweiz. Nun möchte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer auch die Bundeswehr mit Kampfdrohnen bewaffnen.
Während sich die Ministerin, Staatssekretäre, Militärs und Politiker im Bundestag ganz offen für die unbemannten Todesmaschinen aussprechen, bleiben Stimmen von Betroffenen, etwa Menschen wie Kabir Aluzai, ungehört. Man könnte fast meinen, sie existieren gar nicht. Stattdessen wird der Tod per Knopfdruck romantisiert. Die "Todesengel" sind allem Anschein nach präzise und schützen das Leben "unserer" Soldaten. Das Narrativ der "Präzisionswaffen" wird schon lange gepflegt. Die Amerikaner haben es bereits vor zwei Jahrzehnten etabliert. Doch es führt gänzlich in die Irre.
Das beste Beispiel hierfür ist der Alltag in Afghanistan und anderen Ländern, die von Drohnen heimgesucht werden. Im Jemen gab es Zeiten, in denen die unbemannten Luftfahrzeuge mehr Zivilisten töteten als Al-Qaida. In Pakistan waren die meisten identifizierten Drohnen-Opfer keine militanten Kämpfer, sondern unschuldige Zivilisten. Und in Afghanistan, dem am meisten von Drohnen bombardierten Land der Welt, werden regelmäßig Zivilisten wie Kabir Aluzais Bruder getötet. Dass man selten von ihnen hört, hat viele Gründe. Die meisten Drohnen-Morde passieren in abgelegenen, ländlichen Regionen, die schwer zu erreichen sind. Hinzu kommt, dass diese Art der Kriegsführung heimtückisch ist und die Tötungsschwelle seitens der Piloten, die sich meist in virtuellen Cockpits am anderen Ende der Welt aufhalten, stets sinkt.

Töten wie in einem Computerspiel

Ein Auto. Ein Knopfdruck. Mal sind es drei Tote, mal fünf, mal einer. Immer und immer wieder. Im Schatten jeglicher Öffentlichkeit. Gleichzeitig findet die Entmenschlichung der Opfer statt. Man sieht keine Bauern oder spielende Kinder, sondern vermeintlich bewaffnete Kämpfer oder Terrorverdächtige. Fast immer. Überall. Wie in einem Computerspiel. Terror-Fürsten wie Osama bin Laden oder Taliban-Gründer Mullah Omar wurden nie von den Drohnen getötet. Viele dieser militanten Anführer leben weiterhin. Wer statt ihrer sterben musste, weiß niemand, weil fast nie danach gefragt wird.
Es sind Menschenrechtsaktivisten, Whistleblower und einige Investigativjournalist*innen und Rechercheure, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diesen Kriegsverbrechen nachzugehen. Die Arbeit ist mühselig, langwierig und gefährlich. Doch im Kontext der deutschen Drohnen-Debatte werden nicht nur all diese Menschen und deren Expertise übertönt, sondern vor allem auch die Opfer, auf die man hören sollte.
"Man kann Terror nicht mit Terror bekämpfen. Wir können niemals mit voller Gewissheit sagen, auf wen wir schießen", sagt Lisa Ling immer wieder. Sie weiß, wovon sie spricht. Einst war sie für die US-Luftwaffe in Afghanistan tätig und wartete Drohnen. Doch dann stieg sie aus dem Programm aus und wurde zur lautstarken Kritikerin der Angriffe. Ling ist der Meinung, dass keine Debatte ohne jene stattfinden sollte, die dem stetigen Drohnen-Terror ausgesetzt sind. Denn anstatt den Terror einzudämmen, sorgen die halbblinden Luftangriffe mit Kampfdrohnen wahrscheinlich dafür, den Terror noch zu verstärken. Man kann nur hoffen, dass dies bald auch in Berlin und anderswo ankommt.

Emran Feroz ist freier Journalist mit afghanischen Wurzeln. Er hat in Tübingen Politologie und Philosophie studiert. Regelmäßig berichtet er über die politische Lage im Nahen Osten und Zentralasien in deutsch- und englischsprachigen Medien. Im Oktober 2017 veröffentlichte das Buch "Tod per Knopfdruck: Das wahre Ausmaß des US-Drohnen Terrors".

Porträtaufnahme von Emran Feroz , der an einer Säule lehnt.
© picture alliance / Frank May
Mehr zum Thema