Kampf ums Überleben

Die Christen von Mossul

Christinnen in Ankawa, die für die Befreiuung ihrer Heimatstadt Mossul beten
Christinnen in Ankawa, die für die Befreiuung ihrer Heimatstadt Mossul beten © picture alliance / EPA / AHMED JALIL
Von Martin Gerner · 05.02.2017
2014 flohen die Christen von Mossul vor den Terroristen des IS, viele von ihnen ins kurdische Erbil. Dort kämpft der chaldäisch-katholisch Erzbischof Bashar Warda ums Überleben seiner Glaubensgemeinschaft, aber auch für Versöhnung und Dialog mit den Muslimen.
An der katholischen St. Josef-Kirche in Erbil wird gebaut. Vier junge Männer mit dunkler Haut und schwarzen Haaren bohren, hämmern, rühren Beton an und spachteln den frischen Mörtel an die Außenwand der Kirche. Mar Josef gilt den Einheimischen als ihre Kathedrale. Gedrungen, mit wehrhaftem Mauerwerk statt mit Spitztürmen. Die jungen Bauarbeiter sind Flüchtlinge aus der Region Mossul. Christliche Araber, die 2014 nach Erbil flüchteten vor dem IS:
"Alles ist zerstört, wo wir herkommen. Es gibt kein Wasser dort, keinen Strom, keine Sicherheit. Wohin sollen wir zurückkehren? Unsere Häuser wurden verbrannt und geplündert. Es gibt keine Nahrung. Es ist wie nach einer Naturkatastrophe. Wir sind eine verfolgte Minderheit als Christen im Irak, schon immer. Der IS hat es auf uns abgesehen. Sie sagen, sie seien Muslime. Aber sie stehen nicht für den Islam. Sie suchen nur irgendwelche Rechtfertigungen für ihr Tun. We have no future after this war."

Nur noch eine Viertelmillion Christen lebt im Irak

No future. Keine Zukunft. Sieht so das Schicksal der Christen im Irak aus? Erzbischof Bashar Warda ist Hausherr von St. Josef und Oberhaupt der chaldäischen Christen, die seit fast zweitausend Jahren im Irak heimisch sind.
"Wenn wir über den Irak sprechen, reden wir von 1,2 Millionen Christen noch im Jahr 2003. Heute leben nur noch rund 250.000 Christen im Irak. Das heißt ganz einfach: wir Christen kämpfen hier ums Überleben. Ohne eine Mindestanzahl geht es nicht."
Auf dem Gang zu Wardas Büro hängt eine Karte der Region Niniveh. Der Erzbischof zeigt mit dem Finger auf Orte der Zerstörung. Ein altes Kloster, ein historischer Schrein, wertvolle Manuskripte.
"Es wird keine Flucht von Christen aus Mossul mehr geben. Alle Christen, die dort gelebt haben, sind 2014 geflüchtet. Aber ich bin sicher, dass es nicht ausreicht, den IS nur militärisch zu bekämpfen. Es braucht ein ganzes Bündel von Maßnahmen der Versöhnung und Umerziehung. Wenn man den IS nur mit Gewalt bekämpft, bekommt man am Ende neuen islamischen Fundamentalismus und radikale Gruppen."
Mit Kämpfern des IS zu reden, hält der Erzbischof für unmöglich. Es gehe vielmehr um Mitläufer, Zwangs-Konvertierte und Fehlgeleitete:
"Natürlich akzeptiert der IS den Gedanken einer Aussöhnung nicht. Ich rede von Menschen, die unter IS-Einfluss leben mussten und müssen. Die nicht selbst aktiv waren für den IS, sondern sich unter Druck beugen mussten. Ich hoffe, die Befreiung von Mossul bedeutet, dass man sich der Generationen annimmt, die unter der IS-Herrschaft missbraucht worden sind. Wir müssen das Erziehungssystem wieder normalisieren. Es hat unheimlichen Missbrauch gegeben."

Koran-Verse, die zur Gewalt aufrufen, müssen neu interpretiert werden

Für einen verbesserten Dialog mit muslimischen Würdenträgern sieht Warda Anzeichen, wenngleich er politischen Missbrauch von Glauben und Religion geißelt.
"Alles hat angefangen mit der Art, wie einige Radikale den Islam interpretieren. Einige Koran-Verse rufen zur Gewalt auf. Sie müssen neu interpretiert werden, müssen entschärft werden. Ich beobachte ein Erwachen unter Islam-Gelehrten, die moderater daherkommen, und Verse, die 1000 Jahre alt sind, aktuell und neu interpretieren. Ich denke an kurdisch-islamische Gelehrten, die mit gutem Beispiel vorangehen in der Koran-Exegese."
In Ankawa, dem christlichen Viertel von Erbil, hängt an den Türen traditionell hier verwurzelter Christen noch Weihnachtsschmuck mit Sternen und Schleifen. Tannenbäume warten darauf, entsorgt zu werden. Die unlängst geflüchteten Christen aus Mossul und Niniveh dagegen sind sich ihres Platzes noch nicht sicher.
"Seit 2003 gibt es keine wirkliche irakische Regierung, die die Minderheiten schützt, wie es nötig wäre. In Ankawa werden Christen von den kurdischen Autoritäten gut behandelt. Ich rede nicht von Privilegien. Aber hier ist man sich bewusst, dass Erbil auch eine christliche Stadt ist. Und es gibt hier Gesetze, die respektiert werden. Das macht es hier einfacher als anderswo im Irak. Wenn solche Gesetze fehlen, gibt es keinen Grund für Christen zu bleiben."

Mossul muss befreit, gesichert und verwaltet werden

Auf den Hauptstraßen von Ankawa flanieren junge Männer und Frauen. Hand in Hand, in engen Hosen, mit gestylten Frisuren. Die Männer fahren wie in Europa ihre Freundin im Cabrio spazieren. Aus nicht-christlichen Vierteln kommen Menschen, um sich zu amüsieren. Denn in Ankawa werden auch Bier und Wein ausgeschenkt. Bis vor kurzem kampierten wenige Meter von hier Tausende Flüchtlinge, erinnert sich John, einer der engsten Mitarbeiter des Erzbischofs.
"Vor zwei Jahren sind hier 75.000 Menschen aufgeschlagen, ohne ein Dach über dem Kopf. Anfangs schliefen sie im Freien, auf dem Boden. Vor zwei Monaten haben wir die letzten Spuren der Notlager beseitigt. Eine einmalige Geschichte von Mitgefühl. Unser Team ist klein. Ein Wunder, dass all das so geklappt hat."
Mit internationaler Hilfe konnten die meisten Flüchtlinge in Erbil von Not- in Übergangslager umsiedeln. Ein schwacher Trost. 2017 wird ein hartes Jahr, das wissen John und der Erzbischof. Denn ein Sieg der Anti-IS-Koalition in Mossul, den viele erwarten, bedeutet nicht gleich Rückkehr.
Erzbischof Warda: "Wir können nicht zurück in die Niniveh-Ebene, bis Mossul befreit ist, gesichert und irgendwie verwaltet wird. Diese drei Punkte müssen geklärt sein, bevor man irgendeinen Christen auffordert, wieder zurückzugehen."
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