Kampf um Schriftzeichen und Fremdwörter

Von Martin Sander · 01.07.2013
In der ostkroatischen Donaustadt Vukovar tobt ein Sprachenstreit: Die dort lebenden Serben wollen kyrillische Schriftzeichen, die Kroaten bemühen sich um Abgrenzung von tatsächlichen oder vermeintlichen serbischen Sprachelementen.
Ljiljana Gehrecke: "Serbisch und Kroatisch sind keine zwei Sprachen. Man bemüht sich zwar nach dem Krieg, daraus zwei Sprachen zu machen. Aber trotzdem gibt es keine zwei Sprachen."

Ljiljana Gehrecke, Leiterin des Europahauses im ostkroatischen Vukovar. Die Wissenschaftlerin, die deutsche Vorfahren hat und lange in Belgrad lebte, fühlt sich noch heute als Jugoslawin.

"Nur dann, wenn es zwischen zwei Sprachen mehr als 30 Prozent Unterschiede gibt, können die zwei Sprachen als Extrasprachen erklärt werden. Und Serbisch und Kroatisch unterscheiden sich viel weniger. Sie unterscheiden sich sogar viel weniger als verschiedene kroatische Dialekte oder verschiedene serbische Dialekte. Das sind zwei Varianten einer Sprache, die vor dem Krieg kroatoserbische oder serbokroatische Sprache genannt wurde. Ich finde, dass es ein großer Schaden ist, dass dieses Problem entstanden ist. Denn da wird unendlich viel Energie verbraucht."

Im ostkroatischen Vukovar, in dem 1991 serbische Militärs den Krieg gegen Kroatien entfachten, fließt besonders viel Energie in den Streit. Für die Serben, über ein Drittel der Bevölkerung, gibt es eigene Schulen in serbischer Sprache. Seit einigen Wochen entbrannte zudem ein Streit um die Schrift im öffentlichen Raum. Die Serben wollen kyrillische Buchstaben neben dem lateinischen Alphabet bei allen amtlichen Aufschriften. Für sie ist die kyrillische Schrift ein Ausweis ihrer nationalen Identität.

Für die kroatische Mehrheit in Vukovar ist das kyrillische Alphabet aber nicht hinnehmbar. Man assoziiert es mit dem serbischen Angriff auf die Stadt 1991. Dass Kyrillisch historisch auch einmal die Schrift der Kroaten war, interessiert da nicht. Insgesamt geht es in Kroatien heute um die Abgrenzung der kroatischen Standardsprache von tatsächlichen oder vermeintlichen serbischen Elementen.

Željko Jozić leitet das Institut für kroatische Sprache und Sprachwissenschaft in Zagreb:

"Leider waren wir in Jugoslawien mit der serbischen Sprache zwangsvereinigt. Die kroatische Sprache litt unter den Angriffen durch das Serbische. Heute haben wir in unserem eigenen Staat das in der Verfassung garantierte nationale Recht, unsere Sprache zu sprechen. Viele kroatische Wörter sind nun in die kroatische Sprache zurückgekehrt, die man in den vorausgegangenen einhundert Jahren vertrieben hatte."

Als serbisch gelten in Kroatien viele Fremdworte, die zu jugoslawischen Zeiten im kroatischen Zagreb so gängig waren wie im serbischen Belgrad, zum Beispiel "avion", "aerodrom" oder "muzika". Heute nehmen die Kroaten dafür Begriffe kroatischen Ursprungs: "zrakoplov", "zracna luka" oder "glazba". Es geht um die Rekroatisierung des Kroatischen. Zwar galt auch das Serbokroatische in Jugoslawien als eine Standardsprache mit zwei Varianten. Doch viele Kroaten sind der Ansicht, dass in Jugoslawien die kroatische Variante von der serbischen verdrängt wurde. Der Zagreber Linguist Mario Grčević erinnert sich an seinen Dienst in der Jugoslawischen Volksarmee:

"Mein Kommandeur, der war sehr negativ mir gegenüber orientiert. Er hat es nicht ertragen, dass ich ‚deka‘, das ist ein Germanismus (Decke), dass ich das ‚deka‘ nennen, er wollte 'cebe' haben. Das sei Serbokroatisch. Ich durfte nicht 'gumb' sagen – für den Knopf. Es sollte 'dugme' sein. Das ist ein Turzismus, der im Serbischen standardsprachlich ist und im Kroatischen ging damals sowohl das eine als auch das andere. ‚Gumb‘ war für die Zagreber Region normal. Er war darauf allergisch. Ich wusste gar nicht, dass 'dugme' existiert. Also es gab mehrere Worte, die ich nicht verwenden durfte. Dann hat er mehrmals gesagt: Druže Grčeviću, die Amtssprache hier in der Armee ist Serbokroatisch. Worunter er offensichtlich das reine Serbisch verstanden hat."

In der alltäglichen Kommunikation verursachen alle Unterschiede zwischen Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und Montenegrinisch, also zwischen den vier Sprachen, die aus der Konkursmasse des Serbokroatischen hervorgingen, kaum Probleme. Da sind sich die Linguisten weithin einig. Indes entsteht mit dem Eintritt Kroatiens in die EU ein eigener Sprachendienst mit Übersetzern und Dolmetschern. Wenn man Serbien in die EU aufnimmt, wird man einen weiteren Sprachdienst aufbauen. Wohl auch deshalb gab es in letzter Zeit europäische Initiativen, zu einer gemeinsamen Sprache für Kroaten und Serben zurückzukehren.

Mario Grčević: "Es ist ein deutsches Problem, wie sich die deutsche Standardsprache konstituiert. Es ist ein Schweizer Problem, ob man sich zugehörig zum hochdeutschen Sprachraum definiert oder nicht definiert. Dazu haben die Kroaten und Serben und anderen Völker kein Recht sich einzumischen."

- sagt der in Deutschland aufgewachsene Zagreber Sprachwissenschaftler Mario Grčević. Die kroatischen Linguisten und Sprachpolitiker wollen sich keinesfalls von den europäischen Nachbarn in ihr Metier hineinreden lassen. Eine Rückkehr zum jugoslawischen Konzept des Serbokroatischen als einer Standardsprache mit mehreren Varianten scheint somit ausgeschlossen – es sei denn, die politische Stimmung in Kroatien würde sich in Zukunft noch einmal grundlegend verändern und die alte Idee der Vereinigung aller Südslawen käme erneut auf die Tagesordnung. Im Augenblick spricht dafür nichts.
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