Kampf um Fachkräfte

Korea-Krise in Oberkochen

Oberkochen im Ostalbkreis: Die Verwaltung der Carl Zeiss AG dominiert das Ortsbild von Oberkochen (Ostalbkreis), aufgenommen am 5.9.2011
Oberkochen ist so wirtschaftsstark, dass die Ansiedlung neuer Unternehmen keine Freude, sondern Ängste vor der Abwerbung von Fachkräften auslöst. © picture alliance / Stefan Puchner
Von Uschi Götz · 08.08.2018
Wirtschaftskrise einmal anders herum: In Oberkochen muss sich der Bürgermeister dafür rechtfertigen, dass er Jobs geschaffen hat. Alteingesessene Firmen fühlen sich durch die Ansiedlung eines koreanischen Unternehmens bedroht.
Wachholderheiden, Wälder, der schwarze Kocher fließt gemächlich dahin. Oberkochen wirkt auf den ersten Blick wie ein Kurort. Doch das kleine Städtle und die ganze Region haben eine gewaltige Wirtschaftskraft:
"Das ist eine sehr hochindustrialisierte Region. Wir haben 48 Prozent Industrieanteil. Wir haben eine Arbeitslosenquote im Moment von zwei Prozent. Und Oberkochen speziell ist ein Ort mit über 9.000 Arbeitsplätzen bei 7.500 Einwohnerinnen und Einwohnern."

Welle der Empörung

Nicht weit von Oberkochen ist der CDU-Landtagsabgeordnete Winfried Mack geboren. Öffentlich hat sich der Landespolitiker zur "Korea-Krise", wie der Streit in Oberkochen verkürzt genannt wird, bislang nicht geäußert. Die Sache ist heikel.
Im November 2017 stimmte der Oberkochener Gemeinderat der Ansiedlung des südkoreanischen Werkzeugherstellers YG-1 zu. Tausend neue Arbeitsplätze hatte zuvor das asiatische Unternehmen versprochen.
YG 1-Geschäftsführer Hokeun Song soll bei einem Treffen in Oberkochen zugesagt haben, man werde den örtlichen Unternehmen nicht aktiv Fachkräfte abwerben. Dieses Signal war wichtig, denn in der Gegend herrscht schon längst ein Facharbeitermangel.
Doch über Bürgermeister und Gemeinderäte brach eine Welle der Empörung herein. Vor allem örtliche Unternehmen verstanden nicht, wie man der Ansiedlung zustimmen konnte:
"Sie sind nicht gegen Offenheit, sie wollen sich nicht abschotten. Sie wissen, dass der Weltmarkt auf dem Prinzip der Offenheit basiert. Aber sie können natürlich nicht verstehen, wenn wir in Baden-Württemberg einen aktiven Beitrag zum Technologietransfer nach Südkorea leisten."
Gemeint ist Industriespionage - konkret im Bereich der Werkzeugherstellung. Europaweit gilt die Region als Zentrum der Werkzeugherstellung. Namhafte Unternehmen wie die Leitz-Gruppe im benachbarten Aalen und der Werkzeugbauer Mapal beschäftigen Tausende Mitarbeiter.
Medzintechnik bei Carl Zeiss: Blick in ein Labor
Medzintechnik bei Carl Zeiss in Oberkochen© imago / Wilhelm Mierendorf
Vor allem ist Oberkochen ein großer Standort der Carl Zeiss AG, der weltweit tätige Konzern ist unter anderem auf den Bereich Messtechnik spezialisiert. Roland Hamm von der IG Metall Aalen:
"Ich glaube schon, dass eine Firma Zeiss oder eine Firma Leitz und auch andere ein renommiertes Ansehen haben. Alle halten sich an Tarifverträge, alle haben Betriebsräte und von daher kann man sagen, gibt es da schon ein vernünftiges Miteinander und keinen Grund in Scharen wegzulaufen."

Die örtlichen Unternehmen fühlen sich übergangen

Aus dem Handelsregister geht hervor: YG-1 ist unter anderem auf die Entwicklung, Produktion und Herstellung von Zerspannungswerkzeugen spezialisiert. Bislang hat das südkoreanische Unternehmen einen Sitz in Eschborn. "Technologietransfer von Deutschland nach Korea" steht außerdem im Handelsregister.
Zur geplanten Ansiedlung von YG-1 in Oberkochen hätte sich die IG Metall ein Anhörungsverfahren gewünscht, sagt Hamm: "Dazu hätte möglicherweise durchaus auch der DGB und die IG Metall gehört."
Doch vor allem die Unternehmen vor Ort hätten vor der Entscheidung gehört werden müssen, so der IG Metall-Mann:
"Für die traditionell am Ort ansässigen Unternehmen, die ja nicht erst seit gestern hier ganz viel Geld in die Hand nehmen, allein Zeiss hat in den letzten Jahren mehr als 500 Millionen Euro am Standort Oberkochen investiert."
Als globaler Technologieführer der optischen Industrie stehe man seit Jahrzehnten im weltweiten Wettbewerb, teilt Zeiss auf Anfrage mit. Weiter heißt es in einem Schreiben an den Deutschlandfunk:
"Die Ansiedlung des koreanischen Werkzeugherstellers YG-1 selbst ist daher für uns ein Nebenthema. Wir sehen aber, dass aus dem Beschluss des Gemeinderats Nachteile gerade für kleinere und mittelständische Betriebe in der Region resultieren können, da eine solche Ansiedlung nicht ohne Auswirkungen bleiben wird."
Es gebe noch keine Antworten auf die damit verbundenen Herausforderungen an die Verkehrs- und sonstige Infrastruktur oder auf das bereits existierende Problem der Verfügbarkeit von Fachkräften.

Der Bürgermeister als persona non grata

Oberkochens parteiloser Bürgermeister Peter Traub nannte es bei seiner Wiederwahl im Dezember 2017 paradox, dass er sich für die Schaffung von Arbeitsplätzen habe kritisieren lassen müssen. Ein Interview mit dem Deutschlandfunk lehnt er ab und bittet schriftlich um Verständnis:
"Die Entscheidung des Gemeinderats zur Ansiedlung des südkoreanischen Unternehmens YG-1 in Oberkochen hatte extreme Reaktionen einiger ansässiger Unternehmen zur Folge. Das reicht vom erklärten Vertrauensbruch über den Versuch, meine Wiederwahl als Bürgermeister zu verhindern, bis hin zu dem Umstand, dass ich seitdem als persona non grata für diese Unternehmen gelte. Wenngleich die Situation sich sehr langsam beruhigt, hat sich an der beschriebenen Situation im Grunde nichts geändert."
Zum Neujahrsempfang bei Zeiss waren Traub und der Gemeinderat erstmals nicht geladen, berichtete der Südkurier. Das Unternehmen Leitz kündigte wohl nach 27 Jahren die Zusammenarbeit mit der Stadt beim Kulturevent "Jazz Lights" auf.
Mit Zeiss zeichne sich eine Normalisierung des Verhältnisses ab, fügt der Bürgermeister in seiner Nachricht an uns hinzu. Baden-Württembergs CDU-Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut trägt indes die Entscheidung des Bürgermeisters und der Gemeinderäte voll und ganz mit. Als exportorientiertes Bundesland stehe gerade Baden-Württemberg für offene Märkte und für den internationalen Wettbewerb.
Und "auch für internationale Arbeitsteilung. Unsere Unternehmen sind auch im Ausland engagiert. Das muss der ganzen Diskussion zugrunde liegen. Diese Grundausrichtung, die wir auch in Ba-Wü vorfinden, von denen die Unternehmen, aber auch die Kommunen - über Arbeitsplätze und entsprechende Strukturen - natürlich profitieren."

Die Antwort der Politik: Ein Welcome-Center

Natürlich verstärke die Neuansiedlung des südkoreanischen Unternehmens das Problem des Fachkräftemangels, sagt die Wirtschaftsministerin. Ihr Ministerium unterstütze deshalb auch finanziell eine regionale Fachkräfteallianz:
"Wir haben ein Welcome-Center eingerichtet, an den Hochschulen; die Hochschulen, die hier ausländische Studierende für die Region gewinnen wollen, ein neues Programm starten, damit eben qualifizierte Fachkräfte den Unternehmen zur Verfügung stehen."
YG-1 hat mittlerweile ein Büro in Oberkochen eröffnet. Unsere schriftliche Bitte nach einem Interview bleibt unbeantwortet.
Laut Schwäbischer Post soll der Leiter des Büros ein früherer Mitarbeiter eines Werkzeugherstellers aus der Gegend sein. Man werde hier in Oberkochen kontinuierlich und in gut durchdachten Schritten wachsen, sagte der Geschäftsführer der örtlichen Zeitung. Ebenso kündigte er an, die derzeit in Paris angesiedelte Europa-Zentrale und das Logistik-Zentrum werde nach Oberkochen verlagert.
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