Kampf um die Mitbestimmung

Von Monika Köpcke · 19.02.2013
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Rolle der Frau im britischen Empire klar definiert: Kindererziehung und Haushalt. Von politischer Mitbestimmung keine Spur. Im Kampf um das Wahlrecht auch für Frauen radikalisierten sich die Frauenrechtlerinnen und sprengten das Haus des britischen Schatzkanzlers in die Luft.
In Walton Hill, nur wenige Kilometer südlich von London, scheint die Welt in Ordnung: Prächtige Bäume säumen die ruhigen Straßen, stilvolle Häuser stehen in weitläufigen Gärten, gepflegte Golfplätze laden zu geselligem Clubleben. Wie viele andere Größen der britischen Politik möchte auch der Schatzkanzler David Lloyd George in diesem Idyll sein Landhaus errichten. Im Frühjahr 1912 haben die Bauarbeiten begonnen und für Mai 1913 ist der Einzug geplant. Doch einige britische Frauen haben andere Pläne mit seinem Haus.

Am 19. Februar 1913 um sechs Uhr in der Frühe zerreißt eine Explosion die Stille. Scheiben zerspringen, ein Schornstein stürzt ein, in einer Mauer klafft ein Loch. Glücklicherweise wird niemand verletzt, denn die Arbeiter sind an diesem Morgen noch nicht auf der Baustelle eingetroffen.

"Männer stellen den Moralkodex auf und erwarten von den Frauen seine Annahme. Sie haben entschieden, dass es für Männer völlig richtig ist, um ihre Rechte zu kämpfen, aber für Frauen nicht. "

Emmeline Pankhurst hatte 1903 gemeinsam mit ihrer ältesten Tochter Christabel den "Sozialen und politischen Frauenverein" ins Leben gerufen. Die Zeitung "Daily Mail" nannte seine Mitglieder abfällig "Suffragetten", aus dem Lateinischen: Suffragium - Stimmrecht. Die Frauen machten sich den Namen kurzerhand zu eigen.

"Wenn es für Männer richtig ist, für ihre Rechte zu kämpfen, dann ist es auch richtig für Frauen. Auf diese Überzeugung gründen die militanten Frauen Englands ihre Sache. "

"We have waited too long ... "

Zu lange haben wir bislang auf unser Recht gewartet, so Christabel Pankhurst 1908 auf einer Kundgebung, wir wollen nicht noch länger warten.

Taten, nicht Worte lautet das neue Credo. Die zumeist gutbürgerlichen Suffragetten provozieren Tumulte bei Wahlveranstaltungen, sie ketten sich an Zäune, sie pinseln ihre Parolen an Wände und durchbrechen Polizeisperren, um in das Parlamentsgebäude zu gelangen. Die "Daily Mail" fragt besorgt:

"Wenn solche Dinge von hochgebildeten Frauen angestellt werden, wozu mögen dann erst die weniger Gebildeten fähig sein? Wie sollten wir sie da für vernünftig genug erachten, ihnen das Wahlrecht zu geben? "

Einige Liberale, unter ihnen auch David Lloyd George, sind durchaus Befürworter des Frauenwahlrechts - zumindest solange sie in der Opposition sind. Endlich an der Regierung tun die Liberalen nichts für dessen Umsetzung. Für 1912 haben sie eine große Wahlrechtsreform angekündigt. Noch ist das Wahlrecht an das Steueraufkommen gebunden, und die Frauen hoffen, dass wenigstens die Wohlhabenden unter ihnen bald wählen dürfen. Doch das neue Gesetz erweitert lediglich den Kreis der wahlberechtigten Männer, die Frauen gehen leer aus. Das bringt das Fass zum Überlaufen, der Kampf der Suffragetten wird zusehends radikaler. Emmeline Pankhurst schreibt:

"Wir handeln nicht unrecht, wir handeln richtig, wenn wir unsere revolutionären Methoden gegen privates Eigentum anwenden. Es ist unsere Aufgabe, auf diese Weise die richtigen Werte wieder einzusetzen und den höheren Wert der Menschenrechte gegenüber den Eigentumsrechten zu betonen."

Für den Bombenanschlag auf das Landhaus des Schatzkanzlers wird Emmeline Pankhurst im April 1913 zu drei Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis tritt sie in den Hungerstreik und wird wegen ihrer schlechten Verfassung nach nur neun Tagen wieder entlassen. Doch diese Bombe war nur der Anfang: Die Suffragetten verwüsten Busse, sie schütten Säure in Briefkästen und werfen Schaufenster ein, sie stecken Kirchen in Brand, liefern sich Straßenschlachten mit der Polizei und schleudern Katzenkadaver auf den Premierminister.

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs beendet die gewaltsamen Aktionen. Auch Emmeline Pankhurst wird vom allgemeinen patriotischen Taumel erfasst. Sie lässt den Kampf für das Frauenwahlrecht ruhen und unterstützt stattdessen die Kriegspolitik der Regierung. Die Männer sind an der Front, die Frauen übernehmen zu Hause ihre Arbeitsplätze und werden nach Kriegsende dafür belohnt: 1918 bekommen die britischen Frauen das Wahlrecht - wenn sie mindestens 30 Jahre alt sind und über ein eigenes Einkommen verfügen.
Britische Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst
Emmeline Pankhurst - Kampf ums Wahlrecht© picture alliance / dpa