Kampf um die goldene Muschel

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Das 53. Internationale Filmfestival in San Sebastian wurde mit dem spanisch-deutschen Film "Obaba" eröffnet. Bis zum 24. September konkurrieren im baskischen Seebad 19 Filme um die "concha de oro”, die goldene Muschel. San Sebastian zeigt kaum US-amerikanischen "mainstream”, dagegen ist der internationale Autorenfilm stark vertreten.
Peter Lohmeyer: " Dann hört man ein "preparado", dann noch einmal nach zehn Sekunden "preparado", also alles ist klar, alles ist vorbereitet, dann "sonido" und es wird immer lauter und dann "acción"."

Der deutsche Schauspieler Peter Lohmeyer ist längst ein alter Hase im spanischsprachigen Film. Nach zwei kubanischen Komödien in Havanna und einem spanischen Historiendrama in Buenos Aires ist der 45-Jährige jetzt als Ingenieur in dem geheimnisvollen kleinen Land "Obaba" zu sehen. Die deutsch-spanische Coproduktion eröffnete heute das 53. Internationale Filmfestival in San Sebastian und erzählt von den Erfahrungen einer jungen Frau auf ihrer Reise in einen geheimnisvollen Mikrokosmos voll unverarbeiteter Vergangenheit. Für den 56-jährigen Regisseur Montxo Armendariz auch eine menschliche Grunderfahrung:

Montxo Armendariz: " Wenn ich mich für eine Geschichte entscheide, dann interessiert mich an ihr besonders, dass sie etwas über den Menschen, also das menschliche Wesen im Allgemeinen erzählen – und alle Menschen suchen die Geheimnisse, suchen diese geheimnisvolle Welt, die wir alle vielleicht in uns spüren, weil wir von Geheimnissen umgeben sind, vom Unbekannten und immer diesen Antrieb spüren, es zu entschlüsseln."

19 Filme stehen im Wettbewerb um die "concha de oro", die goldene Muschel. San Sebastian zeigt kaum US-amerikanischen "mainstream", dagegen ist der internationale Autorenfilm stark vertreten: darunter auch die neusten Filme der britischen Regisseure Michael Winterbottom und Terry Gilliams, eine chinesische Familiensaga von der Kulturevolution bis hin zum jüngsten Wirtschaftsboom und eine schwarze Komödie aus Slowenien. Als deutscher Wettbewerbsbeitrag läuft Sommer vorm Balkon, der neue Film von Andreas Dresen.

Der besondere Charakter des Festivals in San Sebastian wird von eigenwilligen Autorenfilmen bestimmt und häufig von Themen, die die Zerissenheit des Einzelnen als Metapher für die kollektive Zerissenheit eines ganzen Landes nehmen. So erzählt der argentinische Film Illuminados por el fuego (Vom Feuer erleuchtet) von Tristan Bauer über den Selbstmord eines ehemaligen Soldaten von den offenen Wunden in der argentinischen Gesellschaft durch den Falkland-Krieg in der Endphase der Militärdiktatur 1982.

San Sebastian ist besonders wichtig für den spanischen Film. Neben dem Eröffnungsfilm "Obaba" laufen noch drei weitere spanische Filme, alle von Nachwuchsregisseuren im Wettbewerb.

Das hat Tradition, denn das Festival begann vor 53 Jahren als ein glamouröses Aushängeschild des Francoregimes, wurde aber bereits in der Endphase der Diktatur zu einem wichtigen Treffpunkt junger spanischer Filmemacher, die von einem Neuanfang träumten, erzählt der 63-jährige spanische Filmemacher Manuel Gutierrez Aragón, diesjähriger Träger des spanischen Nationalfilmpreises:

Manuel Gutierréz Aragón: " In der "Transición", dem Übergang von der Diktatur zur Demokratie, wurde das Festival wirklich wichtig, man konnte hier unzensierte ausländische Filme sehen und auch die eigenen Filme wurden von der Zensur gnädiger behandelt, wenn man wusste, die gehen nach San Sebastian. Hier liefen mythenumrankte spanische Filme wie "Furtivos" und "Canciones para despues de una guerra" aber eben auch Filme aus dem Ausland, die man sonst nirgendwo sehen konnte."
Später verlor das Festival seine Bedeutung, wurde zum unbedeutenden Kampfplatz spanischer Produktionsfirmen und entwickelte erst in dem letzten elf Jahren ein Profil mit den Schwerpunkten auf dem iberoamerikanischen und dem jungen unabhängigen Film. Aber der Ruf, in erster Linie ein Festival der heimischen Produktionsfirmen und Fernsehanstalten zu sein, schadet dem internationalen Prestige San Sebastians bis heute:

Manuel Gutierréz Aragón: " Das Festival ist etwas hausbacken geworden – ich kann mich erinnern, dass einer meiner Filme einmal einen Preis dort gewann, nachdem wirklich 18 Jahre lang kein spanischer Film ausgezeichnet worden war – aber jetzt bekommt jedes Jahr mindestens ein spanischer Film einen wichtigen Preis – vielleicht ist man überall etwas hausbackener geworden, aber San Sebastian ist kein grosser Markt und die wichtigen Festivals, so wie Berlin und Cannes haben eben einen grossen Markt. "
Dem kleinen Markt und dem geringen Interesse internationaler Einkäufer setzt das Festival unkonventionelle Koproduktionsstrategien entgegen. Besonders die Reihe "En construcción" – im Aufbau - entwickelt sich zu einer Werkstatt, in der Filmemacher aus Lateinamerika - und in diesem Jahr auch aus dem Maghreb und aus den portugiesischsprachigen Ländern Afrikas - ihre Filme im Entwurfsstadium vorstellen um mit möglichen Koproduzenten ins Gespräch zu kommen.

Einige dieser Projekte aus den letzten Jahren sind dieses Jahr als fertige Filme im Wettbewerb, in der Nebensektion "Zabaltegui" oder in der Reihe "Horizonte" zu sehen.

Das Profil San Sebastians wird heute ganz stark von der Ausrichtung auf den iberoamerikanischen Film bestimmt, aber auch von der Ausrichtung auf junge Filmemacher.

Neben dem offiziellen Wettbewerb um die "concha de oro" ist daher längst der mit 90.000 Euro dotierte Preis für Nachwuchsfilme, also dem ersten oder zweiten abendfüllenden Film, die attraktivste Auszeichnung. Der Filmjournalist Vincenzo Bugno sitzt dieses Jahr in der Jury, die aus den 24 Nachwuchsfilmen aus 18 Ländern aus Wettbewerbsprogramm und der Nebensektion Zabaltegui den Gewinner ermittelt:

Vincenzo Bugno: " Es gibt natürlich weltweit unzählige Festivals, die sich mit Erstlings- oder zweiten Filmen auseinandersetzen, aber hier in San Sebastian dürfen wir als Jury 90.000 Euro vergeben. Ich würde sagen, es ist auch eine große Verantwortung, weil 90.000 Euro tatsächlich die Geschichte eines Filmes verändern können, wir dürfen auch nicht vergessen, dass manchmal Filme, die fertig sind, nicht unbedingt hundertprozentig finanziert sind. Es kann sein, dass irgendetwas schiefgegangen ist, oder das es viele Schulden gibt. Das heißt, diese 90.000 Euro können wirklich das Leben eines Filmes eindeutig beeinflussen und dazu auch die Zukunft eines Regisseurs und einer Regisseurin irgendwie neu gestalten."

Ein Preis steht bereits jetzt fest: Die internationale Filmkritikervereinigung FIPRESCI vergab ihren Jahrespreis heute abend auf der Eröffnungsgala - an den Film BIN 3 des koreanischen Regisseurs Kim Ki-Duk.