"Kampf ist Teil des soldatischen Daseins"

Moderation: Ulrike Timm |
Nach Ansicht von General a.D. Klaus Reinhardt ist die Ausbildung von Soldaten realistischer geworden als vor der Wende, da sie auch auf Kampfeinsätze vorbereitet. Auslandseinsätze der Bundeswehr seien inzwischen "Teil des Vertrages". Dies schließe Kampferprobung mit ein, um auf alle Risiken vorbereitet zu sein. Dass man sich derzeit über den Begriff "kämpfen" aufrege, sei völlig absurd.
Timm: Der Frieden ist nicht mehr unbedingt der Ernstfall. Vorbei die Zeiten, als deutsche Soldaten in erster Linie als Sandsackstapler im Kampf gegen Jahrhundertfluten wirkten, oder als Wiederaufbauhelfer von kriegszerstörten Brücken und Häusern. Der Einsatz im Nahen Osten wird gefährlich und man kann ihn nur sehr bedingt kalkulieren. Was bedeutet das alles für das Selbstverständnis der Bundeswehr? Wie geht man damit um, dass aus dem Staatsbürger in Uniform nun womöglich verstärkt wieder ein Kämpfer wird, der bei seinem Einsatz sterben kann? Darüber möchte ich sprechen mit General a.D. Klaus Reinhardt. Er kennt die Innenwelt und die Außenwahrnehmung der Bundeswehr seit Jahrzehnten. Guten Morgen, Herr Reinhardt.

Reinhardt: Guten Morgen, Frau Timm.

Timm: Herr Reinhardt, Anfang der 90er gingen die ersten Soldaten als Sanitäter nach Kambodscha - dann Hilfseinsatz in Somalia, in den letzten Jahren Kosovo, Afghanistan, jetzt Kongo und, es scheint beschlossene Sache, in den Nahen Osten. Wie hat sich dabei in dieser Zeit das Selbstverständnis der Bundeswehr verändert?

Reinhardt: Wir haben ja in der längsten Zeit der Bundeswehr die Konfrontation gehabt und waren eigentlich immer der festen Überzeugung, durch die Hochrüstung beider Seiten und die nukleare Abschreckung würde es nie dazu kommen, dass man kämpfen würde, weil man sich gegenseitig durch die Abschreckung paralysiert hat. Das hat ja auch gestimmt. Seit dem Einsatz in Somalia, also seit Ende '93 nun ist die Bundeswehr eigentlich ununterbrochen in Auslandseinsätzen und dort wird geschossen.

Dort geht man zwar nicht hin, um zu kämpfen, aber man geht ja hin, weil es ein großes Risiko gibt. Deswegen schickt man Soldaten, weil sie für das Risiko bestmöglich vorbereitet und ausgerüstet sind. Und dabei kann es natürlich passieren, viel, viel realer als das früher der Fall war, dass Soldaten bekämpft werden, dass sie ihr Leben verlieren. Darauf hin ist auch die gesamte Ausbildung unserer Soldaten mental wie auch im Bereich des Gebrauchs von Waffen anders geworden, realistischer geworden, als das früher der Fall war.

Timm: Was sagen Sie Ihren Soldaten über Themen wie Todesangst, das Sterben, Angst, die man selber hat und die Angst des Gegners?

Reinhardt: Es ist gut, dass Sie sagen, die Angst, die man selber hat. Denn ein General ist nicht davor gefeit, auch Angst zu haben. Und ich habe mehrmals Angst gehabt und ich war mehrmals in sehr bedrohlichen Situationen. Man muss mit den Soldaten sprechen. Das tun wir vor den Auslandseinsätzen. Wir schicken alle unsere Führer, die 30, 40 Soldaten und mehr führen, an unsere Einrichtung, die "Zentrum für innere Führung" heißt, und da ist eines der Themen, dass man sich auseinandersetzt mit den Konsequenzen von Verletzung, von Tod, von Gefangennahme, diese Probleme mit den Vorgesetzten durchspricht und sie ermuntert, dies mit ihren Soldaten anzusprechen.

Und ich kann Ihnen nur sagen, wenn Sie mit den Soldaten unterwegs sind, werden Sie auf die Dinge angesprochen und können das nicht ausschließen und sagen, da rede ich jetzt nicht mit dir drüber. Sondern Sie müssen denen genauso sagen, dass sie Angst haben und dass sie alles tun, um das Risiko zu minimieren, dass aber das Risiko nicht völlig wegzukriegen ist, dass man dort tatsächlich eine hohe Gefährdung hat und dass man alles tut, um diese Gefährdung so gering wie möglich zu machen.

Timm: Sie sprechen jetzt über die Ausbildung. Ist das im Gespräch der Soldaten untereinander eigentlich ein immer währendes Thema: Todesangst?

Reinhardt: Ich glaube nicht. Der Soldat hat einen Unterdrückungsmechanismus wie jeder Mensch eigentlich auch. Dass ich die Dinge, die negativ sein können - man könnte krank werden oder im Fall des Soldaten: Man könnte angeschossen werden - das unterdrückt man, das schiebt man weg. Man sagt, es kann passieren, aber mir wird es nicht passieren. Ich bin bestmöglich geschützt. Ich bin gut ausgerüstet. Man drängt das Thema wirklich zur Seite, weil es einen sonst wahrscheinlich verrückt machen würde.

Timm: Herr Reinhardt, der Oberbefehlshaber der Bundeswehr ist eigentlich das Parlament. Nur das Parlament kann einen Einsatz beschließen. Lassen wir uns mal zurückdenken. Es gab eine leidenschaftliche Debatte um die Wiederbewaffnung Westdeutschlands in den 50er Jahren. Sternstunden der Diskussion im Parlament. Es gab eine große Diskussion um den Einsatz in Ex-Jugoslawien. Wenn ich jetzt auf dieses Jahr schaue: Kongo, während der WM quasi durchgewinkt und schon Diskussionen um einen Nahost-Einsatz wegen der besonderen Beziehung zu Israel. Aber so eine richtig fundamentale Debatte auf ganz breiter gesellschaftlicher Basis ausgetragen im Parlament - eigentlich Fehlanzeige bislang. Bundespräsident Köhler sprach mal vom "wohlwollenden Desinteresse an der Bundeswehr". Hat er Recht?

Reinhardt: Er hat völlig recht. Ich bin sehr erstaunt gewesen, wie man den Kongo-Einsatz an einem Freitagvormittag, an dem ein Punkt nach dem anderen im Parlament beschlossen worden ist, wirklich durchgepeitscht hat. Wenn nicht im Parlament, wo denn sonst sollen die Fürs und Widers eines solchen Einsatzes wirklich intensiv miteinander durchgesprochen werden? Auch als Anreiz dafür, dass das dann anschließend in die Öffentlichkeit geht. I

Ich erinnere mich sehr wohl, als wir in Somalia in der Wüste von Belet Uen saßen und hörten, dass das Bundesverfassungsgericht damals unseren Einsatz für rechtmäßig erklärt hat, der ja von der damaligen Opposition für verfassungswidrig erklärt worden ist. Und ich kann Ihnen nur sagen, es ist alles andere als lustig, einen Einsatz zu führen, bei dem einige Leute im Lande, die sehr wichtig sind, sagen, er ist verfassungswidrig. Wir waren heilfroh, dass der Bundestag dem in Zukunft zustimmen sollte.

Aber ich meine, da muss der Bundestag auch mehr tätig werden und diese Dinge in breiter Diskussion durchführen, nicht jeweils erst dann, wenn ein solcher Einsatz unmittelbar bevorsteht. Sondern mir ging es eigentlich darum, die Frage des Bundeswehreinsatzes im Ausland, unsere Interessen, die damit verbunden sind, die Rahmenbedingungen, die man dafür braucht, die Ausrüstung, die die Bundeswehr dafür braucht, breit im Parlament zu diskutieren. Aber da kann ich nur sagen: Fehlanzeige.

Timm: Herr Reinhardt, die Rekruten, die leisten den Eid "Recht und Freiheit des deutschen Volkes" zu verteidigen. Ich will jetzt gar nicht groß eingehen auf die viel strapazierte Formulierung von Ex-Verteidigungsminister Struck, Deutschland würde auch am Hindukusch verteidigt, sondern möchte Sie fragen: Wie wurde das in der Bundeswehr selbst diskutiert, dass man plötzlich Recht und Freiheit anderer Völker verteidigt?

Reinhardt: Also als wir damals, nach dem Zusammenbruch des Ostens plötzlich in eine neue Situation kamen und Somalia hochkam, war ich kurz davor ja noch Kommandeur der Führungsakademie, wo wir alle unsere Stabsoffiziere haben. Eine der zentralen Diskussionen damals bei diesen Offizieren war, ist dieser Auslandseinsatz, der jetzt auf uns zukommt, mit unseren Vorstellungen von Eid und Gelöbnis überhaupt noch in Übereinstimmung zu bringen. Und viele haben damals den Hut genommen und sind gegangen, weil Sie gesagt haben, da mache ich nicht mit.

Für die Soldaten, die heute vereidigt werden oder ihr Gelöbnis ablegen als Wehrpflichtige, sieht die Situation völlig anders aus, weil sie mit jetzt über 14 Jahren Auslandseinsatz so weit vertraut sind, dass sie sagen, das ist ein Teil des Vertrages, den der Bund mit mir eingeht. Das heißt, es wird nicht mehr als es etwas Außergewöhnliches wahrgenommen. Man hat sich darauf eingestellt. Und es zeigt sich ja auch, dass von den Wehrpflichtigen bei jedem Auslandseinsatz eine erhebliche Portion mit dabei ist, die sagen, das wollen wir machen, dafür setzen wir uns ein, das lohnt sich für uns und das lohnt sich auch einen solchen Einsatz tatsächlich mitzumachen, weil man Menschen irgendwo helfen kann.

Timm: Die Öffentlichkeit wird ja derzeit scheibchenweise darauf vorbereitet, dass es sich beim kommenden Einsatz eben doch um einen Kampfeinsatz handeln könnte. Bundesverteidigungsminister Jung sprach kürzlich vom Soldaten als Kämpfer in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Welchen Stellenwert hat das Wort kämpfen im täglichen Sprachgebrauch bei der Bundeswehr derzeit?

Reinhardt: Es ist einer der zentralen Begriffe, denn Soldaten werden ausgebildet, um zu kämpfen, sonst könnte man die Feuerwehr von Passau schicken, wenn es völlig unproblematisch wäre. Man schickt ja Soldaten nur deswegen in einen solchen Einsatz, weil es dort ein erhebliches Risiko gibt und man sagt, der der das Risiko am besten noch abkann, ist der Soldat, weil er dafür ausgebildet und ausgerüstet ist. Und ich verstehe diese völlig aufgeregte und skurrile Diskussion überhaupt nicht, denn seit Somalia haben wir bei all unseren Auslandseinsätzen primär Kampftruppen eingesetzt. Nicht, um zu kämpfen: Fallschirmjäger, Gebirgsjäger, Infanteristen haben wir nicht geschickt, damit sie dort kämpfen, und sie haben in der Regel auch nicht gekämpft, sondern weil sie bestmöglich auf so ein solches Risiko, was damit verbunden ist, vorbereitet werden.

Und dass man jetzt plötzlich anfängt, nach den vielen, vielen Jahren - über 130.000 Männer und Frauen des deutschen Heeres waren in Auslandseinsätzen - sich über diesen Begriff so aufzuregen, ist für mich völlig, völlig absurd und ich kann es nicht verstehen, außer dass es aus innenpolitischen Gründen plötzlich hoch gezogen worden ist. Denn das ist überhaupt nichts Neues. Kampf ist ein Teil des soldatischen Daseins. Und wir tun alles um den Kampf zu vermeiden. Aber wir müssen vorbereitet sein, notfalls unseren Auftrag auch mit Gewalt durchzuziehen oder andern zu helfen. Es darf doch kein zweites Srebrenica in einem Bereich kommen, in dem deutsche Bundeswehrsoldaten eingesetzt sind.

Timm: Die Bundesregierung wartet derzeit auf Post aus dem Libanon, die Bundeswehr auch. Ein Gespräch mit General a.D. Klaus Reinhardt über das Selbstverständnis und die Außenwahrnehmung der Bundeswehr heute.