Kampf gegen die Mafia

Von Jochen Stöckmann |
Der italienische Politiker und Autor Leoluca Orlando erhält am Freitag in Osnabrück den Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis. Der 57-Jährige bekommt die mit 15.000 Euro dotierte Auszeichnung für seinen Einsatz für Demokratie und Menschenrechte. Er war durch seinen Kampf gegen die Mafia bekannt geworden.
Natürlich wird Leoluca Orlando - darin ganz Sizilianer - die Preisverleihung in Osnabrück zu einem großen Auftritt machen. Der aber dient weniger seinem eigenen Ego - und das zeugt vom neuen Denken des ehemaligen Bürgermeisters von Palermo, der den Kampf gegen die Mafia zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat:

Leoluca Orlando: "Es gab nur eine Möglichkeit keine Angst zu haben: In der Öffentlichkeit zu sagen, was man privat sagt! Ich habe immer alles gesagt, was ich gedacht habe über die Mafia. "

Der öffentliche Diskurs nämlich, und sei es eine von massivem Polizeiaufgebot geschützte Marktplatz-Rede in Orlandos Heimat, der Mafiahochburg Corleone, bringt ja überhaupt erst an den Tag, was die vorgeblich so erfolgreichen Kriminalstatistiken vieler autoritärer Staaten vertuschen:
Leoluca Orlando: "In der Diktatur gibt es keine Mafia, denn der Diktator ist der Mafiaboss. Mit der Demokratie kommt das Risiko der Mafia. Bei der Diktatur dagegen gibt es keine Möglichkeit, Korruption überhaupt zu entdecken. Da ist die Diktatur perfekt, aber perfekte Demokratie gibt es nicht. "

Gegen das Patentrezept einer stromlinienförmigen Globalisierung beharrt der eingefleischte, aber weltläufige Regionalist darauf, dass es keine perfekte Demokratie geben kann, also auch kein weltweit exportierbares Modell "der" einzig möglichen freiheitlichen Staatsform.

Leoluca Orlando: "Präsident George W. Bush hat perfekte Demokratie und er möchte sie als Geschenk an den Irak geben. Nein, das funktioniert nicht! Nicht Krieg funktioniert, wir müssen akzeptieren, dass es einen islamischen Weg zur Demokratie gibt, der etwas anderes ist als ein deutscher Weg nach Demokratie, als ein sizilianischer Weg nach Demokratie. "

Nur mit der Entwicklung einer eigenen Kultur gegen den erstickenden Konsens mafioser Gewalt sei Sizilien dem teuflischen Kreislauf von Blutrache und Revanchegelüsten entronnen:

Leoluca Orlando: "Unsere Alltagserfahrung in Sizilien ist ein weltweites Modell geworden. Die UNO hat 2002 entschieden, dass man im Kampf gegen Kriminelle, die eine Kultur pervertieren, einen "sizilianischen Karren" braucht, das heißt Legalität und Kultur. "

Mit dem "Sizilianischen Karren", so der Titel seiner jüngst herausgegebenen Aufzeichnungen, meint Orlando jenes zweirädrige Vehikel, das sich unweigerlich im Kreis dreht, wenn eines der beiden Räder blockiert oder zu schnell angetrieben wird.

Leoluca Orlando: "Ein Rad heißt Gefängnis, Polizei, Gesetze, Staatsanwälte. Ein anderes Rad ist das rad der Kultur, das heißt Lehre, Schule, Kirche, Presse, Zivilgesellschaft. Und diese zwei Räder müssen gleichzeitig fahren. "

Schon in seiner Autobiographie "Ich sollte der Nächste sein" hatte der enge Freund des von der Mafia ermordeten Richters Falcone seine realistische Utopie eines sizilianischen Modells gegen die Hollywood-Klischees gesetzt:

Leoluca Orlando: "Dasselbe passiert mit einem Roman, "Der Leopard", nach der Verfilmung kann man denken, dass Fatalismus eine sizilianische Kulisse ist. "

Diesem Fatalismus, so erzählt Orlando, hätten seinerzeit vor allem jene Mütter Paroli geboten, die bereit waren, ihre Kinder im gepanzerten Wagen des bedrohten Bürgermeisters mitfahren zu lassen:

Leoluca Orlando: "Diese Frauen haben klar verstanden, dass die Mafiosi einen Menschen töten können, zehn Menschen töten können. Aber sie können nicht Tausende Frauen und Kinder töten. Die Mafia hat mehr Angst vor den Frauen und Kindern als vor den Waffen der Polizisten. Das ist unsere Botschaft: Zivilcourage. "

Auch gegen politisch motivierten Terror von Basken, Iren - und Islamisten preist Orlando sein Kultur-Konzept. Da allerdings möchte man dem Berater der Weltbank in Fragen internationaler Kriminalität doch wünschen, dass er auch jenes eiskalt berechnende Kalkül in Erwägung zieht, dem derzeit im Irak Tausende zum Opfer fallen: Bürger - die vermutlich nicht einmal verschont würden, wenn die eigenen Kinder der Selbstmordattentäter neben den Zivilisten sitzen würden. Doch Leoluca Orlando beharrt auf einer Meinung, die er in Sizilien gegen tief verwurzelte Vorurteile und Sprichwortweisheiten durchzusetzen verstand:

Leoluca Orlando: "Wer rund geboren ist kann nicht quadratisch sterben. Falsch, denn wir haben den beweis gegeben, dass, wer rund geboren ist, quadratisch sterben kann. Änderung ist möglich, aber Änderung kommt aus der Kultur, nicht von der Polizei. "