Kampf gegen den Krieg und für den Frieden
Das hat es lange nicht gegeben: Standing Ovations im Ehrenhof des Papstpalastes. Wajdi Mouawad kann sie für sich und sein Ensemble verbuchen: der Theatermann aus Montréal, ein Frankokanadier mit libanesischen Wurzeln, spielte sage und schreibe elf Stunden und zeigte drei Stücke (s)einer Tetralogie unter dem Titel: "Das Blut der Versprechen".
Der Inhalt von "Küste", dem ersten Stück der "Sang des promesses", kann in einem Satz wiedergegeben werden: Ein Sohn versucht seinen eben verstorbenen Vater zu begraben. Das Stück ist für die schmale Handlung viel zu lang, wirkt verquast und sentimental. Die Symbolik ist aufdringlich, alles bedeutungsschwer. Erst, wenn der Zuschauer sich der Bedeutungsebene öffnet, gewinnt "Die Küste" einen gewissen Reiz. Die Leitfrage, mehrfach wiederholt, lautet: Wer bin ich? Der Sohn stellt sie, Wilfried (überragend, charmant, täppisch und virtuos zugleich: Emmanuel Schwartz). Um diese Frage, die den ersten Teil der Tetralogie, gewissermaßen die Exposition, bestimmt, beantworten zu können, muss sich Wilfried wandeln.
Zuerst genießt er gerade ein Schäferstündchen und beschreibt mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt, wie sehr seine Gespielin ihn ergötzt. Gerade beim Höhepunkt klingelt das Telefon und ein Arzt teilt ihm mit, sein Vater sei gestorben. Wilfried, ein Egomane, ein narzisstischer Sozialisationstyp der hartgesottenen Sorte, beginnt von sich abzusehen. Er will wissen, wer sein Vater war, um herauszubekommen, wo er angemessen beerdigt werden könnte und sollte. Das ist der Beginn einer Odyssee, die an der Küste endet – der Vater, der zwischenzeitlich wieder ins Leben zurückkehrt, spricht, geht, räsoniert, während er gleichzeitig verwest, wird sein Grab im Meer finden.
"Littoral" – auf deutsch "Küste" - ist ein erster Schritt der Identitätsfindung – ein widersprüchlicher Prozess. Auf der einen Seite nabelt sich Wilfried von seinem Vater ab, auf der anderen Seite muss er ihn kennenlernen, um zu wissen, woher er kommt. Auf seinem Weg zur Küste trifft er Gefährten, die wie er - jung und orientierungslos - wissen möchten, wer sie sind. Alle sind Opfer des Krieges, ihre Eltern sind verschwunden, verstorben, getötet, ermordet. Schritt für Schritt erkennt Wilfried, dass er keineswegs in einer friedlichen Welt lebt, die ihm zu geben hat, was immer er begehrt, sondern inmitten von Gewalt und Krieg.
Die Entfaltung des Themas, das zuerst so klein schien, wird nach und nach gewaltig – sie ist die Eröffnung eines großen Epos, in dem ein junger Mann erkennt, worin sein Erbe liegt: im Kampf gegen den Krieg und für den Frieden, den sein Vater und die Väter seiner Gefährten nicht erfolgreich zu Ende bringen konnten.
Die Vorteile der "Sang des promesses" überwiegen die Nachteile: der Inhalt attackiert die Sicht vieler Europäer, wir lebten in einer friedlichen Welt. Und Mouawad, 1968 geboren, hebt nicht zum in seiner Generation weit verbreiteten 68er-Bashing an, sondern versucht, die Vätergeneration zu verstehen. So wie sie gegen den Vietnamkrieg kämpften, kämpft er – und die besten seiner Generation - jetzt gegen andere Kriege. Sie werden nicht konkret benannt, im ersten Teil ist aber deutlich der Nahostkonflikt erkennbar. Da Mouawad aus dem Libanon kommt, liegt es nahe, die Kriege, von denen im Stück gesprochen wird, eben dort zu situieren.
Die anderen Stücke variieren die "Küste". Sie sollen der Forderung nach Frieden Nachdruck verleihen - sind aber an sich kontraproduktiv. Elf Stunden sind zu lang, der Zuschauer wird von der Stoff- und Personenfülle überfordert. Mouawad hat auch Regie geführt. "Die Küste" ist humor- und phantasievoll, nimmt die Zuschauer mit einem Augenzwinkern mit ins Boot, keine Einfühlung, episches Theater mit ganz einfachen, für jeden entschlüsselbaren Zeichen. Doch dann fallen der Regisseur und sein Ensemble in alte und schlechte Routinen zurück, Theaterpathos dominiert - und Mouawad ist zu selbstverliebt, um Doppelungen im Text und übermäßig lange Monologe energisch einzustreichen. Er ist ein hochtalentierter Dramatiker mit großer Fabulierlust - aber gerade darin muss er beschnitten werden, wenn ihm die Gäule durchgehen oder er dem Affen Zucker gibt.
Avignons Festivaldirektoren haben Mouawad zum "artiste associé" gewählt, eine Art Pate, der die Leitung bei der Programmauswahl berät. Sie haben ein gutes Gefühl bewiesen. Das Publikum war ehrlich begeistert - und inhaltlich muss jeder Mouawad dankbar sein, denn er bricht energisch mit der Geschichtsvergessenheit, die die neoliberale Dramatik bislang noch immer dominiert. Zwei Stücke Mouawads sind schon bei uns gespielt, deutsche Bühnen sollten die Texte sorgfältig prüfen. Zwischen dem Gestein findet sich pures Theatergold.
Der Erfolg ist den Festivalmachern zu gönnen, denn der Auftakt war ein Flop.
"Der Jüdische Krieg" ist ein Meisterwerk des klassischen Altertums. Sein Verfasser, Flavius Josephus, wurde als Sohn einer vornehmen jüdischen Familie geboren, nahm am Aufstand gegen die Römer teil, wurde gefangen genommen, ein Günstling Vespasians und beobachtete als Augenzeuge den Feldzug. Er nahm den Hausnamen der Flavier an und schrieb seine Beobachtungen und Reflexionen nieder: über den Aufstand der Juden, dessen Niederschlagung durch die Römer, die Belagerung Jerusalems, die Zerstörung der Stadt, des Tempels und das Nachspiel in Massadah.
Der Entschluss, die Chronik, die die Ereignisse im ersten nachchristlichen Jahrhundert nachzeichnet, für die Bühne zu bearbeiten, erwies sich als Schnapsidee: der Stoff ist episch, nicht dramatisch. Vorn, an der Rampe, sitzt auf einem Podium hinter einem Tisch, Jeanne Moreau, und liest Passagen aus einem großen Buch - sie soll Josephus darstellen. Links und rechts, weiter hinten, stehen filigrane Türme aus Metallstäben zusammengeschraubt, dort nehmen Schauspieler Platz, die Vespasian darstellen, den römischen Feldherrn und späteren Imperator, der den jüdischen Aufstand niederschlug, und Titus, seinen Sohn, der Jerusalem dem Erdboden gleichmachte. Auf dem Boden treten Figuren auf, die nicht hinreichend eingeführt werden - Führer der Juden. Szenisch gibt das nichts her, es wirkt langweilig. Musikalische Elemente stehen daneben, sind nicht mit dem Stoff wirklich verwoben, Dramatisches wird hier laut behauptet, nie verwirklicht.
Alle Schauspieler tragen Kleidung von heute, aber die Aktualisierung gelingt nicht. Vespasian spricht englisch - sollen die Römer von damals die Amerikaner von heute sein? Oder sind die Israelis gemeint und mit den Juden von damals die Palästinenser von heute? Auch die Haltung gegenüber dem Krieg wirkt indifferent: die Römer halten ihn für unausweichlich, Josephus würde gern den Krieg vermeiden. Der Regisseur, Amos Gitai, nimmt keine bestimmbare Stellung ein - das Elend des Krieges wird nicht sichtbar oder fühlbar, der Jammer wird ästhetisiert und damit bagatellisiert.
Jeanne Moreau findet einen überzeugenden, klaren Ton, unter der distanzierten Haltung des Chronisten auch seine erschütternde Klage, alle anderen Darsteller fallen einem schlechten Pathos anheim - Theater von vorgestern. Jeanne Moreau ist nach wie vor eine der Grandes Dames des europäischen Theaters.
Es fällt so leicht, zu erkennen, wie missraten die Aufführung ist, weil eine geglückte Aktualisierung des "Jüdischen Krieges" vorliegt: die gleichnamige Romantrilogie von Lion Feuchtwanger. Ihm gelang die Aktualisierung und er beschreibt ebenso extensiv wie intensiv das Elend des Krieges - vor allem den Hunger der Juden während der Belagerung Jerusalems und die Schrecken bei dem Angriff auf dem Tempel. Die Figur von Josephus Flavius wird wunderbar plastisch, sein Wunsch nachvollziehbar, den Krieg ein für allemal zu überwinden durch mehr Verständnis zwischen Juden und Römern - der Historiker überwindet seinen Nationalismus und wird zum Weltbürger.
Von diesen Vertiefungen ist Gitai Lichtjahre entfernt - und von der Einsicht, dass der "Jüdische Krieg" ein epischer Stoff ist. Lion Feuchtwanger hat es sofort erkannt und klug die rechte Form gewählt: den Roman.
Gut, dass Le Sang des promesses die Scharte halbwegs ausgewetzt hat.
Internet:
www.festival-avignon.com
Zuerst genießt er gerade ein Schäferstündchen und beschreibt mit einer Deutlichkeit, die nichts zu wünschen übrig lässt, wie sehr seine Gespielin ihn ergötzt. Gerade beim Höhepunkt klingelt das Telefon und ein Arzt teilt ihm mit, sein Vater sei gestorben. Wilfried, ein Egomane, ein narzisstischer Sozialisationstyp der hartgesottenen Sorte, beginnt von sich abzusehen. Er will wissen, wer sein Vater war, um herauszubekommen, wo er angemessen beerdigt werden könnte und sollte. Das ist der Beginn einer Odyssee, die an der Küste endet – der Vater, der zwischenzeitlich wieder ins Leben zurückkehrt, spricht, geht, räsoniert, während er gleichzeitig verwest, wird sein Grab im Meer finden.
"Littoral" – auf deutsch "Küste" - ist ein erster Schritt der Identitätsfindung – ein widersprüchlicher Prozess. Auf der einen Seite nabelt sich Wilfried von seinem Vater ab, auf der anderen Seite muss er ihn kennenlernen, um zu wissen, woher er kommt. Auf seinem Weg zur Küste trifft er Gefährten, die wie er - jung und orientierungslos - wissen möchten, wer sie sind. Alle sind Opfer des Krieges, ihre Eltern sind verschwunden, verstorben, getötet, ermordet. Schritt für Schritt erkennt Wilfried, dass er keineswegs in einer friedlichen Welt lebt, die ihm zu geben hat, was immer er begehrt, sondern inmitten von Gewalt und Krieg.
Die Entfaltung des Themas, das zuerst so klein schien, wird nach und nach gewaltig – sie ist die Eröffnung eines großen Epos, in dem ein junger Mann erkennt, worin sein Erbe liegt: im Kampf gegen den Krieg und für den Frieden, den sein Vater und die Väter seiner Gefährten nicht erfolgreich zu Ende bringen konnten.
Die Vorteile der "Sang des promesses" überwiegen die Nachteile: der Inhalt attackiert die Sicht vieler Europäer, wir lebten in einer friedlichen Welt. Und Mouawad, 1968 geboren, hebt nicht zum in seiner Generation weit verbreiteten 68er-Bashing an, sondern versucht, die Vätergeneration zu verstehen. So wie sie gegen den Vietnamkrieg kämpften, kämpft er – und die besten seiner Generation - jetzt gegen andere Kriege. Sie werden nicht konkret benannt, im ersten Teil ist aber deutlich der Nahostkonflikt erkennbar. Da Mouawad aus dem Libanon kommt, liegt es nahe, die Kriege, von denen im Stück gesprochen wird, eben dort zu situieren.
Die anderen Stücke variieren die "Küste". Sie sollen der Forderung nach Frieden Nachdruck verleihen - sind aber an sich kontraproduktiv. Elf Stunden sind zu lang, der Zuschauer wird von der Stoff- und Personenfülle überfordert. Mouawad hat auch Regie geführt. "Die Küste" ist humor- und phantasievoll, nimmt die Zuschauer mit einem Augenzwinkern mit ins Boot, keine Einfühlung, episches Theater mit ganz einfachen, für jeden entschlüsselbaren Zeichen. Doch dann fallen der Regisseur und sein Ensemble in alte und schlechte Routinen zurück, Theaterpathos dominiert - und Mouawad ist zu selbstverliebt, um Doppelungen im Text und übermäßig lange Monologe energisch einzustreichen. Er ist ein hochtalentierter Dramatiker mit großer Fabulierlust - aber gerade darin muss er beschnitten werden, wenn ihm die Gäule durchgehen oder er dem Affen Zucker gibt.
Avignons Festivaldirektoren haben Mouawad zum "artiste associé" gewählt, eine Art Pate, der die Leitung bei der Programmauswahl berät. Sie haben ein gutes Gefühl bewiesen. Das Publikum war ehrlich begeistert - und inhaltlich muss jeder Mouawad dankbar sein, denn er bricht energisch mit der Geschichtsvergessenheit, die die neoliberale Dramatik bislang noch immer dominiert. Zwei Stücke Mouawads sind schon bei uns gespielt, deutsche Bühnen sollten die Texte sorgfältig prüfen. Zwischen dem Gestein findet sich pures Theatergold.
Der Erfolg ist den Festivalmachern zu gönnen, denn der Auftakt war ein Flop.
"Der Jüdische Krieg" ist ein Meisterwerk des klassischen Altertums. Sein Verfasser, Flavius Josephus, wurde als Sohn einer vornehmen jüdischen Familie geboren, nahm am Aufstand gegen die Römer teil, wurde gefangen genommen, ein Günstling Vespasians und beobachtete als Augenzeuge den Feldzug. Er nahm den Hausnamen der Flavier an und schrieb seine Beobachtungen und Reflexionen nieder: über den Aufstand der Juden, dessen Niederschlagung durch die Römer, die Belagerung Jerusalems, die Zerstörung der Stadt, des Tempels und das Nachspiel in Massadah.
Der Entschluss, die Chronik, die die Ereignisse im ersten nachchristlichen Jahrhundert nachzeichnet, für die Bühne zu bearbeiten, erwies sich als Schnapsidee: der Stoff ist episch, nicht dramatisch. Vorn, an der Rampe, sitzt auf einem Podium hinter einem Tisch, Jeanne Moreau, und liest Passagen aus einem großen Buch - sie soll Josephus darstellen. Links und rechts, weiter hinten, stehen filigrane Türme aus Metallstäben zusammengeschraubt, dort nehmen Schauspieler Platz, die Vespasian darstellen, den römischen Feldherrn und späteren Imperator, der den jüdischen Aufstand niederschlug, und Titus, seinen Sohn, der Jerusalem dem Erdboden gleichmachte. Auf dem Boden treten Figuren auf, die nicht hinreichend eingeführt werden - Führer der Juden. Szenisch gibt das nichts her, es wirkt langweilig. Musikalische Elemente stehen daneben, sind nicht mit dem Stoff wirklich verwoben, Dramatisches wird hier laut behauptet, nie verwirklicht.
Alle Schauspieler tragen Kleidung von heute, aber die Aktualisierung gelingt nicht. Vespasian spricht englisch - sollen die Römer von damals die Amerikaner von heute sein? Oder sind die Israelis gemeint und mit den Juden von damals die Palästinenser von heute? Auch die Haltung gegenüber dem Krieg wirkt indifferent: die Römer halten ihn für unausweichlich, Josephus würde gern den Krieg vermeiden. Der Regisseur, Amos Gitai, nimmt keine bestimmbare Stellung ein - das Elend des Krieges wird nicht sichtbar oder fühlbar, der Jammer wird ästhetisiert und damit bagatellisiert.
Jeanne Moreau findet einen überzeugenden, klaren Ton, unter der distanzierten Haltung des Chronisten auch seine erschütternde Klage, alle anderen Darsteller fallen einem schlechten Pathos anheim - Theater von vorgestern. Jeanne Moreau ist nach wie vor eine der Grandes Dames des europäischen Theaters.
Es fällt so leicht, zu erkennen, wie missraten die Aufführung ist, weil eine geglückte Aktualisierung des "Jüdischen Krieges" vorliegt: die gleichnamige Romantrilogie von Lion Feuchtwanger. Ihm gelang die Aktualisierung und er beschreibt ebenso extensiv wie intensiv das Elend des Krieges - vor allem den Hunger der Juden während der Belagerung Jerusalems und die Schrecken bei dem Angriff auf dem Tempel. Die Figur von Josephus Flavius wird wunderbar plastisch, sein Wunsch nachvollziehbar, den Krieg ein für allemal zu überwinden durch mehr Verständnis zwischen Juden und Römern - der Historiker überwindet seinen Nationalismus und wird zum Weltbürger.
Von diesen Vertiefungen ist Gitai Lichtjahre entfernt - und von der Einsicht, dass der "Jüdische Krieg" ein epischer Stoff ist. Lion Feuchtwanger hat es sofort erkannt und klug die rechte Form gewählt: den Roman.
Gut, dass Le Sang des promesses die Scharte halbwegs ausgewetzt hat.
Internet:
www.festival-avignon.com