Kampf gegen den IS

"Man muss mit Assad reden"

Baschar al-Assad
Seit Jahren führt er Krieg gegen sein eigenes Volk: Baschar al Assad. Dennoch brauche man ihn zur Bekämpfung des Islamischen Staates, sagt Eberhard Sandschneider. © picture alliance/dpa/Sana Handout/Handout
Eberhard Sandschneider im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.09.2015
Soll man sich mit Syriens Diktator Baschar al-Assad an einen Tisch setzen? Ja, sagt der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider. Denn es gehe zuerst darum, den Islamischen Staat zu bekämpfen - und erst dann um Moral.
In der Diskussion um die richtige Strategie im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat plädiert der Politikwissenschaftler Eberhard Sandschneider für eine Einbindung des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Es gehe nicht darum, Assad aufzuwerten, sagte Sandschneider am Montag im Deutschlandradio Kultur: "Die nüchterne Analyse sagt: Man muss mit diesem Menschen reden, damit man in der Lage ist, ein noch weit größeres Problem - ISIS nämlich - in den Griff zu bekommen."
"Assad ist und bleibt ein Massenmörder am eigenen Volk"
Das sei eine Frage der "machtpolitischen Realität am Boden", so der Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Man könne mit Assad punktuell kooperieren, ohne "eine wunderbare Reisediplomatie für ihn zu eröffnen oder ihn zum neuen Freund des Westens zu erklären". Allerdings dürfe man dabei auch nicht die moralischen Aspekte und politischen Bewertungen vergessen: "Assad ist und bleibt ein Massenmörder am eigenen Volk."
Man muss auch den russischen Präsidenten einbinden
Sandschneider sprach sich auch dafür aus, mit dem russischen Präsidenten und Assad-Verbündeten Wladimir Putin in der Syrien-Frage zusammenzuarbeiten - trotz Ukraine-Krise und Krim-Annexion: "Wer internationale Probleme lösen will, der kann mit einem Staat der Größe Russlands und des Einflusses von Russland nicht schlicht und ergreifend schweigend verfahren", sagte Sandschneider.

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es ist eine Art Gretchenfrage der aktuellen Weltpolitik, sie lautet: Wie hältst du es mit Baschar al-Assad? Sollte man mit dem syrischen Diktator reden, um einen Bündnispartner im Kampf gegen die IS-Terroristen zu gewinnen oder doch lieber nicht – mit dem Mann also, der einen Krieg gegen das eigene Volk führt, vor dem Hunderttausende Syrer geflohen sind. Die Frage wird höchst unterschiedlich beantwortet, und auch einst klare Gegner eines Dialogs mit Assad schwenken um – wie Angela Merkel, die vor ein paar Tagen sagte:
Angela Merkel: Es muss mit vielen Akteuren gesprochen werden, dazu gehört auch Assad, dazu gehören andere, dazu gehören vor allen Dingen nicht nur die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland, sondern dazu gehört der Iran, dazu gehören sunnitische Länder wie zum Beispiel auch Saudi-Arabien.
Billerbeck: Und der erklärte Assad-Gegner und türkische Präsident Erdogan hat der Kanzlerin beigepflichtet. In New York beginnt heute die UN-Generaldebatte, voraussichtlich werden sich dort auch der russische und der US-amerikanische Präsident treffen, und da wird es auch darum gehen, mit Assad zu sprechen, ja oder nein – Putin ist bekanntlich dafür, Barack Obama bisher dagegen –, und so lautet die Frage: Den IS bekämpfen mit oder ohne Assad? Und die will ich auch stellen meinem Gesprächspartner, Professor Eberhard Sandschneider. Er ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und lehrt an der FU Berlin. Schönen guten Morgen!
Eberhard Sandschneider: Schönen guten Morgen!
Es geht nicht darum, Assad aufzuwerten
Billerbeck: Das Gewissen sagt nein, sofort und unerbittlich nein, mit einem Mann wie Assad redet man nicht, sagt heute auch der "SZ"-Chefredakteur. Gilt das Nein auch in der Realpolitik?
Sandschneider: Mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht. Eines der Probleme, mit dem wir es immer wieder in der internationalen Politik unserer Zeit zu tun haben, heißt, da gibt es Politiker, die tun Dinge, die wir nicht nur für unmoralisch, sondern geradezu verwerflich halten. Der Bürgerkrieg, den Assad gegen sein eigenes Volk führt, seit vielen Jahren, mit über 300.000 Toten, ist ein solches Beispiel, aber trotzdem muss man mit solchen Menschen gelegentlich reden, um Schlimmeres zu verhindern.
Assad ist letztendlich nur ein Beispiel, aber er ist ein besonders aktuelles Beispiel, und das zeigt auch, wie unterschiedlich die Reaktionen einzelner Staaten – und die USA und Russland sind nur ein Beispiel – auf eine solche Frage letztendlich ausfallen. Und auch in der deutschen Außenpolitik kennt man diese Debatte zur Genüge. Der Umgang mit schwierigen Partnern, mit Partnern, die beispielsweise Menschenrechte verletzen, ist etwas, was nicht leichtfällt, aber was im Sinne der Sache und einer realistischen Perspektive wahrscheinlich ohne Alternative ist.
Billerbeck: Trotzdem noch mal nachgefragt: Rehabilitiert man damit den Kriegsführer gegen das syrische Volk nicht?
Sandschneider: Nein, keineswegs. Das darf man auch nicht, das ist auch kein Automatismus. Das ist eine dieser moralisch bewegenden Fragen, die uns dann sofort beschäftigen, wenn man an die Bilder denkt, die dieser Mann wieder bekommt, mit Staatsführern – man wertet ihn auf. De facto wird es darum nicht gehen. Ich glaube auch nicht, dass das im Interesse des russischen Präsidenten ist, Herrn Assad nun sonderlich aufzuwerten. Die nüchterne Analyse sagt, man muss mit diesem Menschen reden, damit man in der Lage ist, ein noch weit größeres Problem – ISIS nämlich – in den Griff zu bekommen.
Ohne Assads Truppen lässt sich der IS nicht zurückdrängen
Billerbeck: Nun ist die syrische Exilopposition bekanntlich dagegen. Sie sagt, Assad dürfe keine Rolle spielen für Syriens Zukunft, das ist verständlich bei dem Krieg, den Assad gegen die eigenen Leute führt, dennoch: Lässt sich der Präsident Syriens ausschließen oder muss man am Ende doch mit ihm reden, egal was man von ihm hält?
Sandschneider: Ja, das ist ein bisschen die Gretchenfrage, und vermutlich lautet die Antwort, die Herrn Obama heute durch Herrn Putin vorgetragen wird, ja, man muss – die deutsche Bundeskanzlerin hat es angedeutet. Das ist keine Frage der moralischen Bewertung, es ist letztendlich eine Frage der machtpolitischen Realität am Boden, on the ground, wie man im Englischen so schön sagt, und an dieser Stelle wird es offensichtlich keinen Weg geben, der an Assad beziehungsweise seinen Truppen, die mithelfen müssen, die ISIS-Kämpfer zurückzudrängen, vorbeigeht.
Billerbeck: Nun wird ja auch immer wieder betont, man wolle Assad als Bündnispartner nur für eine gewisse Zeit gewinnen. Nun ist der Mann ja bekanntlich keine Glühlampe, die man anknipst und wieder aus. Wie stellt man sich das vor?
Sandschneider: Na ja, man kann natürlich schon punktuell kooperieren in einer bestimmten Sache, ohne jetzt beispielsweise eine wunderbare Reisediplomatie für ihn zu eröffnen oder ihn zum neuen Freund des Westens zu erklären. Punktuelle Zusammenarbeit mit schwierigen Partnern muss eigentlich immer möglich sein, man darf dabei allerdings nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und die moralischen Aspekte, die politischen Bewertungen, die wir vornehmen, deshalb gleich vergessen.
Assad ist und bleibt ein Massenmörder am eigenen Volk, aber wenn man, um zur Bekämpfung von ISIS beizutragen, punktuell mit ihm zusammenarbeitet, dann wird diese Bereitschaft offensichtlich in der nächsten Zeit in der internationalen Politik wachsen.
Billerbeck: Was bedeutete das denn für das Kräfteverhältnis in der Region: Wird auch Putin, der ja ein Bündnispartner von Assad ist, dadurch aufgewertet, wenn der Westen beginnt, mit Assad zu sprechen?
Sandschneider: Das ist zumindest die klare Intention des russischen Präsidenten. Er hat zunächst einmal auch ein Problem, das wir aus unserer eigenen Diskussion ganz gut kennen: Wir wissen grob geschätzt, dass etwa 3.000 ISIS-Kämpfer Russisch sprechen, das heißt potenziell auch zu Attentätern und terroristischen Anschlägen in Russland führen können – das ist sicherlich eine Motivation für Putin.
Die zweite, überlagernde Motivation hat mit Sicherheit damit zu tun, dass er zurück möchte an den Verhandlungstisch, gemeinsam mit Barack Obama, sein Land und sich selbst aus dieser Teilisolierung nach der Krimkrise herauszuführen, und beide Motivationen werden sicherlich zusammenkommen bei seinem Vorstoß, den er heute in New York versuchen will.
Man kann mit Russland nicht schweigend verfahren
Billerbeck: Nun hat ja Vizekanzler Gabriel am Donnerstag auch gesagt, man müsse mit Putin reden, und da gab es dann noch so einen Nachsatz: Die Ukrainekrise könne schließlich nicht auf ewig verhindern, dass der Mann in anderer Hinsicht Partner sein könne. Das wiederum wurde vom Außenministerium gleich heftig kritisiert, denn das hieße ja in letzter Konsequenz, man gibt die Ukraine preis, um Putin als Bündnispartner in der Zusammenarbeit für die Lösung der Syrienkrise, also um Assad zu gewinnen, auch zu gewinnen. Ist das so?
Sandschneider: Das war wahrscheinlich ein Schritt zu weit, wenn man sagt, die Ukraine aufzugeben. Das wird mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht passieren, so schwierig die Situation in der Ukraine selbst auch ist. Da ist manches im Argen, was die wirtschaftliche Struktur angeht und Ähnliches mehr. Die Krim ist eine andere Frage. Früher oder später werden wir vermutlich damit leben müssen, dass die Krim tatsächlich russisch ist, auch wenn wir es nicht anerkennen.
Das haben wir – darauf ist zu Recht verwiesen worden – während des Kalten Krieges in weiten Teilen auch getan, das ändert aber nichts, dass man trotzdem – das ist richtig – mit Putin reden muss. Wer internationale Probleme lösen will, der kann mit einem Staat der Größe Russlands und des Einflusses von Russland nicht schlicht und ergreifend schweigend verfahren.
Billerbeck: Wenn Obama das tut, was kann er gewinnen, was kann er verlieren?
Sandschneider: Na ja, das Interesse von Obama ist natürlich zunächst einmal, bei der Bekämpfung von ISIS die amerikanischen Streitkräfte nicht wieder in eine Überdehnungssituation zu bekommen. Es ist, glaube ich, mittlerweile klar, dass nur eine gut koordinierte internationale Koalition mit diesem Konflikt umgehen kann. Was Obama gewinnen kann, ist tatsächlich ein weiterer Schritt in Richtung der Lösung dieses Problems, aber er muss sich natürlich mit Macht auf die innenpolitische Kritik, die ihn erreichen wird in seinem eigenen Land, einstellen, die Republikaner werden das nicht ungeschoren durchgehen lassen sozusagen.
Billerbeck: Professor Eberhard Sandschneider von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vor den geplanten Gesprächen zwischen Putin und Obama.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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